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    Bleeder
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Bleeder
    Von Björn Becher

    Das jüngere, international präsente skandinavische Kino im Allgemeinen und das dänische Kino im Speziellen kann man größtenteils in zwei Bereiche teilen. Auf der einen Seite stehen die Dramen (jüngstes Beispiel: Nach der Hochzeit), auf der anderen sehr schwarzhumorige Komödien (kürzlich: Adams Äpfel), bei denen sich öfters Möchtegern-Gangster und viele Tote tummeln. „Bleeder“ von Nicolas Winding Refn vermutet man eher in der letzten Kategorie, doch er weist erstaunlich viele Elemente beider Gattungen auf und entpuppt sich zudem noch als Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt im amerikanischen Stil. Der schon 1999 in den dänischen Kinos und auf zahlreichen Festivals gelaufene Film schafft nun mit reichlich Verspätung Direct-To-DVD auch den Sprung nach Deutschland. Der Grund ist wohl der enorme Erfolg der schnell zum Kult avancierten, in den vergangenen zwei Jahren veröffentlichten „Pusher“-Trilogie von Winding Refn. Aber auch inhaltlich war der Release längst überfällig, auch wenn der Filmemacher sich in „Bleeder“ mit der etwas zu starken Orientierung an die Movie-Buff-Kollegen Quentin Tarantino und Kevin Smith sowie Vorbild Martin Scorsese teilweise selbst im Wege steht.

    Leo (Kim Bodnia) hängt am liebsten rum und schaut Filme. Das alles sieht er gefährdet als seine Freundin Louise (Rikke Louise Andersson) ihm eröffnet, dass sie schwanger ist. Deren Bruder Louis (Levino Jensen), ein rassistischer Schläger, ist dagegen über die Aussicht Onkel zu werden mehr als glücklich. Leos Freund Lenny (Mads Mikkelsen), der seine Lieblings-B-Horror-Streifen wie The Texas Chainsaw Massacre, „Maniac“ oder „Andy Warhol's Frankenstein“ rezitieren kann, ist dagegen frisch verliebt. Lea (Liv Corfixen), das Objekt seiner Begierde, arbeitet in der Nähe, interessiert sich zwar mehr für Bücher denn für Filme, doch der schüchterne Filmgeek schafft es trotzdem, sie in kurze Gespräche zu verwickeln. Das hilft ihm, den Frust hinter sich zu lassen, den es mit sich bringt, dass in der Videothek, in welcher er arbeitet und an der ein großes Poster von Lee Frosts „Dynamite Trio“ hängt, sich die Kunden größtenteils weder die Klassiker von David Lean, Jacques Tourneur oder Seijun Suzuki noch für die neuen Meisterwerke von Tarantino, Lynch oder Woo interessieren, sondern für Pornos. Das ist der Alltag der fünf unterschiedlichen Menschen, deren Vornamen die gleichen Anfangsbuchstaben haben. Doch als Leo eine Schießerei miterlebt, an deren Anschluss sein Schwager Louis ausrastet und einen Anderen fast tot prügelt, erliegt er der Faszination dieser Gewalt. Er besorgt sich eine Waffe und fängt an Louise zu schlagen.

    Als Nicolas Winding Refn 1996 „Pusher“ veröffentlichte, galt er als die dänische Version von Quentin Tarantino, der zwei Jahre zuvor mit Pulp Fiction seinen endgültigen Durchbruch schaffte. Auch Kevin Smith dürfte mit dem ebenfalls 1994 erschienenen „Clerks“ ein Bruder im Geiste von Winding Refn sein. Als großes Vorbild und für seine Arbeit prägenden Film nennt der dänische Regisseur selbst Martin Scorseses Casino und die Einflüsse all dieser Werke sind in „Bleeder“ zu spüren. Teilweise ist dies von Vorteil, teilweise aber auch von Nachteil.

    So weist der größtenteils mit Handkamera gedrehte Film einige wunderbare Unterhaltungen auf, die sofort Assoziationen zu den weit schweifenden Dialogen der „Clerks“ Randal und Dante oder den Killern Vincent und Jules wecken. Die Protagonisten von „Bleeder“ nehmen dabei in ihren Gesprächen die halbe Filmgeschichte auseinander, mit dem klaren Schwerpunkt auf dem Horror- und Action-Bereich der Siebziger, allen voran jenen Filmen, die man heutzutage als dem Grindhouse-Cinema zugehörig betrachtet. Immer wieder wird hier die Qualität des Vorbilds erreicht, immer wieder einmal fällt man aber auch in Plattitüden ab, die den Eindruck eines billigen Versuches erwecken, jene Vorbilder zu kopieren. Glücklicherweise sind die ersteren Momente aber deutlich in der Überzahl.

    Daneben ist „Bleeder“ ähnlich wie Scorseses „Casino“ eine Studie über Gewalt. Die Abende von Leo, Louis, Lennie und dessen Boss Kitjo (Zlatko Buric) bestehen meist aus dem Anschauen von Gewaltfilmen, die sie durchaus unterschiedlich rezipieren. Der Faszination von Gewalt erliegt Leo aber nicht, weil er diese immer wieder in Filmen erlebt, sondern erst als er ihr real begegnet. Sehr eindrücklich wird hier gezeigt, wie sich der eher schlichte Leo daraufhin verändert und die dramatischen Ereignisse ihren Lauf nehmen.

    Mit Kim Bodnia (Old Men In New Cars) spielt eines der Hauptgesichter des dänischen Kinos diesen Leo mit unglaublicher Präsenz. An seiner Seite agiert mit Mads Mikkelsen (James Bond 007 - Casino Royale, Dänische Delikatessen) das zweite große bekannte Schauspielergesicht unseres nördlichen Nachbars (einer von beiden scheint in jedem dänischen Film mitzuwirken). Wie auch die anderen Darsteller überzeugen sie mit einem sehr intensiven Spiel. Angeblich bekam Nicolas Winding Refn einmal Ärger mit der einheimischen Schauspielergewerkschaft, weil er seine Darsteller körperlich viel zu stark fordern würde. Wenn man „Bleeder“ sieht, mag man das durchaus glauben, doch die Mitwirkenden scheinen sich nicht zu beschweren, zumindest kann der junge Regisseur (Jahrgang 1970) immer wieder dieselben Namen um sich versammeln und sich auf sein eingespieltes Team verlassen. Hier sind die Darsteller auf jeden Fall ein Glanzpunkt.

    Die Verknüpfung der einzelnen, in dieser Konstellation eher ungewöhnlichen Storyelemente ist natürlich gewöhnungsbedürftig. Hier trifft kultiger Filmgeek-Humor auf beinhartes Drama und brutaler Gewaltexzess auf schüchtern-komische Romantik. Das funktioniert nicht durchweg und phasenweise ist der Bruch mehr als hart, wenn man sich gerade noch amüsiert und einem im nächsten Moment der reale Horror unter die Haut geht. Doch gerade letzteres wird natürlich bei vielen Zuschauern die Wirkung der Dramatik verstärken und macht „Bleeder“ zu einem besonderen Film, der nicht nur Freunden des dänischen Kinos zu empfehlen ist. Von Nicolas Winding Refn, der neben „Bleeder“ und seiner „Pusher“-Trilogie bisher noch durch den komplexen, nach einem Drehbuch des (auch hier erwähnten) Kultautors Hubert Selby Jr. (Requiem For A Dream) entstandenen Thriller „Fear X“ (der an den US-Kinokassen allerdings gnadenlos floppte) auffiel, wird man sicher noch einiges zu hören und zu sehen bekommen.

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