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    Das geheime Leben der Worte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Das geheime Leben der Worte
    Von Nicole Kühn

    Schweigen kann eine Mauer sein: zum Schutz vor anderen Menschen, die einem zu nahe kommen und an Gefühle rühren könnten, vor denen man sich fürchtet. Die gleiche Funktion kann ein Wortschwall erfüllen, der vorgibt, Kontakt zu suchen und sich dabei doch wie eine Schicht über das Eigentliche legt. Isabel Coixet, die vor zwei Jahren wunderbar „Mein Leben ohne mich“ auf die Leinwand brachte, lässt in ihrem neuen Film zwei Charaktere aufeinander treffen, die ihren Schmerz hinter diesen zwei konträren Taktiken verbergen. Das Ergebnis ist ein tiefsinniger Beitrag zur Kommunikationsfähigkeit von Menschen.

    Hanna (eindringlich: Sarah Polley) ist ein verschlossener Mensch, der funktioniert und nicht mehr vom Leben verlangt oder auch nur erwartet. Die junge Frau nutzt ihre Taubheit, um sich von der Welt abzuschotten: das Hörgerät schaltet sie nur ein, wenn es unbedingt erforderlich ist. Emotionslos und gründlich verrichtet sie ihre Arbeit, emotionslos führt sie sich die täglich gleiche notwendige Nahrung zu. Herausgerissen wird sie aus ihrem Trott durch den Auftrag ihres Arbeitgebers, Urlaub zu nehmen. Dieses Heraustreten aus dem mit Aufgaben gefüllten Alltag fällt Hanna sichtlich schwer, und so sucht und findet sie schnell eine neue Pflicht, die sie zu erfüllen hat. Sie heuert auf einer Bohrinsel an, um dort den schwer verletzten Josef (Tim Robbins) gesund zu pflegen. Beim Versuch, einen Kollegen aus den Flammen einer Explosion zu retten, hat er sich Verbrennungen am ganzen Körper und eine vorübergehende Erblindung zugezogen.

    Noch bevor sie ihren Patienten persönlich kennen lernt, dringt Hanna über eine Mailbox-Nachricht auf seinem Handy in seine Intimsphäre ein. Fasziniert hört sie die Nachricht immer wieder, in der eine Frau über ihre innige Verbindung zu ihrem entfernten Geliebten spricht, die sie über das Lesen des Buches „Briefe einer portugiesischen Nonne“ (Buch von Maria Alcoforado, in Deutschland erhältlich unter dem Titel „Liebesbriefe einer portugiesischen Nonne“) aufrecht erhält. Ganz im Gegensatz zu dieser Offenbarung tritt Hanna Josef gegenüber. Sie spricht zunächst kein Wort, gibt nichts von ihrer Person preis, reduziert sich selbst auf ihre Funktion als Krankenschwester. Josef dagegen plaudert munter und ohne Unterlass. Während sie ihre Behinderung nutzt, sich von der Welt abzuschotten, sucht er Mittel und Wege, seine Behinderung zu kompensieren. Was er nicht sieht, will er hören. Gleichzeitig drängt er eine seelische Qual mit dem Redefluss in den Hintergrund. Sehr zögerlich finden beide eine Ebene, auf der sie wirklich miteinander kommunizieren und sich ihre inneren Wunden offenbaren können. Doch der Zeitpunkt naht, an dem Josef in eine Klinik auf dem Festland überstellt wird und damit Hannas Auftrag beendet ist. Die Frage stellt sich beiden, was die hart errungene Intimität in ihnen ausgelöst hat.

    Coixet stellt in klaren Bildern in einer rauen Umgebung die Frage, ob jeder Mensch für sich eine Insel ist. Der Ort des Geschehens ist mit einer Bohrinsel geschickt gewählt, steht diese doch sinnbildlich selbst verlassen in der tosenden See und vereint als Mannschaft eine Gruppe von Einzelgängern, die sich jeder für sich ein eigenes Universum schaffen, ohne recht miteinander in Kontakt zu treten. Der gemütliche Koch Simon (Javier Cámara) scheint als einer der wenigen mit Sinnlichkeit ausgestattet, die er in kulinarischen Köstlichkeiten mit passender Musik auslebt. Über das Essen findet das Gefühl von Genuss wieder Eingang in Hannas Leben. Mit dem Genussmenschen Josef steht ihr ein Antipode gegenüber, der sich jedoch als ebenso gezeichnet vom Leben erweist wie sie. Mit dem Bezug auf den Bosnien-Krieg und seine Gräuel lädt Coixet eine schwere Ladung auf den Film, die ihm nichts wirklich Neues hinzufügt. Die auratische Julie Christie lediglich für diese Konkretion im Aktuellen einzusetzen, ist etwas schade. Dass sie in den wenigen Minuten viel Kluges über traumatisierte Opfer sagt, ist löblich, wirkt aber aufgesetzt auf eine Geschichte, die mit einer Lücke an dieser Stelle mindestens ebenso berühren würde.

    Dass die Beobachtung menschlicher Schutzmechanismen vor emotionaler Schwäche unter die Haut geht, liegt in großem Maße an der unprätentiösen Leistung der Darsteller. Sarah Polley, der die Rolle auf den Leib geschrieben wurde, beeindruckt mit ihrer zurückhaltenden Präsenz. Hier und da durchscheinenden Alltagsweisheiten über Psychologie verleiht sie Glaubwürdigkeit. Angenehm distanziert bleibt die Kamera von Jean-Claude Larrieu, der die Personen in den Fokus rückt, ohne in ihr Innerstes dringen zu wollen. In den begrenzten Räumlichkeiten der Bohrinsel verschafft er ihnen Freiräume, um aufeinander zuzugehen. Das Drehbuch lässt ihnen hierfür Zeit, die sie brauchen und weist den Nebenfiguren dabei passende Aufgaben zu. Jeder von ihnen eröffnet Hanna eine neue Perspektive auf die Welt und hilft ihr damit, aus ihrer egozentrischen Position heraus zu treten. Schade, dass dieser genauen Analyse eine unerwartet leichte Lösung folgt. Wenn detailgenau gezeigt wird, wie schwer selbst die kleinsten Schritte aufeinander zu für die Protagonisten sind, dann ist es wenig überzeugend, wenn am Ende wenige poetische Worte genügen, um die tief liegenden Probleme (fast) komplett zu nivellieren. Die Eindringlichkeit des zuvor Gezeigten wird in den letzten Filmminuten weitgehend aufgehoben und das undifferenzierte Credo von der alles heilenden Macht der Liebe legt sich mit einem schalen Beigeschmack über die aufgeworfenen Fragen von der Stärke des Schweigens und des Sprechens.

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