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    Die Hollywood-Verschwörung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Hollywood-Verschwörung
    Von Carsten Baumgardt

    Die Renaissance des Film Noir ist bei Licht betrachtet, recht eigenartig. Bis auf L.A. Confidential überzeugte keiner der Neo-Noirs an der Kinokasse und doch produziert Hollywood unbeirrt weiter, als ob dies ein Trend sei, dem es kommerziell zu folgen gelte. Gott sei Dank. Cineasten und Kritiker nehmen das wohlwollend zur Kenntnis. Allen Coulters Thriller „Hollywoodland“ (ungehobelt deutsch getitelt: „Die Hollywood-Verschwörung“) setzt das Muster fort, überzeugt als Film, scheitert aber an der Kasse. Doch eines hat „Hollywoodland“, was unwirklich klingt, aber tatsächlich als kleine Sensation bezeichnend werden kann: Schmalspur-Star Ben Affleck spielt alles an die Wand, was ihm an Hochkarätern in die Quere kommt. Chapeau!

    Los Angeles, 1959: Der kleine Privatdetektiv Louis Simo (Adrien Brody) hechelt jedem Dollar hinterher, den er abgreifen kann. Durch Kontakte bei der Polizei bekommt er einen Tipp. Der wankende Hollywoodstar George Reeves (Ben Affleck) ist tot in seiner Wohnung aufgefunden worden, sein Gehirn an der Wand verteilt. Die Polizei stuft den Fall als Selbstmord ein, Reeves’ Mutter (Lois Smith) beauftragt Simo, Beweise für einen Mord zu suchen. Der Schnüffler fängt an zu graben und stößt schnell auf Material, dass einigen Leuten ganz und gar nicht gefällt... Die zweite Zeitebene setzt in den späten 40er Jahren an, als Reeves auf dem Weg ist, in Hollywood Fuß zu fassen. Doch die Auftragslage ist schlecht. Obwohl er es hasst, nimmt der Schauspieler die Rolle in der TV-Serie „Superman“ an. Dass er diese überhaupt bekam, verdankt er seiner Geliebten Toni Mannix (Diane Lane), der Frau des einflussreichen Filmmoguls Eddie Mannix (Bob Hoskins), dem Verbindungen zur Mafia nachgesagt werden. Nach einiger Zeit wird „Superman“ doch noch zum Hit und Reeves ein Star – allerdings nur beim kindlichen Publikum...

    Die Konzeption von „Hollywoodland“ ist ausgesprochen smart. Autor Paul Bernbaum widmet sich einem der größten Rätsel des realen Hollywoods, den nie geklärten Umständen des Todes von George Reeves, und fügt eine fiktionale Ebene hinzu, die dem Film als Rückgrat dient. Der Part um Privatdetektiv Simo, der seine eigenen Probleme hat, stellt sogar die vordergründige Story dar, der linkische P.I. muss bei seiner gefährlichen Odyssee in die Abgründe Hollywoods seinen Platz im Leben finden und sein Verhältnis zu seinem Sohn Evan (Zach Mills) und seiner Ex-Frau Laurie (Molly Parker) neu definieren. Der Charakter beruht nur sehr lose auf dem realen Jerry Geisler, der von Reeves’ Mutter in Wirklichkeit beauftragt wurde. Der Haken: Simo ist alles andere als ein Sympathieträger, die kann „Hollywoodland“ nämlich nicht aufbieten. Doch für Freunde des Film Noir sollte dies kein Manko sein.

    Oscargewinner Adrien Brody (Der Pianist, King Kong) ist punktgenau besetzt, der New Yorker transportiert das langsame moralische Erwachen sensibel. Obwohl Simo link ist, ist dies nur ein Überlebensreflex. Molly Parker (The Wicker Man) bildet als Ex-Frau Laurie einen guten Gegenpol zu Louis’ Leichtspurigkeit. Da der Tod von Reeves bis heute viele Fragezeichen hinterlässt, bietet Regisseur Poulter die drei populärsten Theorien auf: a) Selbstmord; b) Reeves wurde in einem Streit versehntlich von seiner Verlobten Lenore Lemmon (Robin Tunney, Vertical Limit, Paparazzi) erschossen; c) Filmmogul Mannix ließ Reeves töten, weil er dessen jahreslanges Verhältnis mit seiner Frau Toni nicht mehr ertrug. Anders als in Paul Schraders artverwandtem Auto Focus (über den Tod von Bob Crane) offeriert „Hollywoodland“ keine offensichtliche, finale Lösung – das Publikum darf seine eigenen Schlüsse ziehen. Und hier kommt Ben Affleck ins Spiel. In Chasing Amy und „Good Will Hunting“ zeigte der Beau, dass er unter den richtigen Umständen tatsächlich spielen kann oder zumindest nicht stört, in Man About Town unterstrich er diese These zuletzt. Affleck gibt seinen George Reeves, der immerhin eine kleine Rolle in „Vom Winde verweht“ hatte, aber nicht in großen Posen. Mit lethargischem Charme und kleinen Gesten bringt er dem Publikum bei, welch tieftraurige, tragische Figur Reeves eigentlich war. Afflecks gesamte, überragende Darstellung mündet in einer zentralen Szene, die einen der besten Kinomomente der vergangenen Jahre hervorbringt. Innerhalb einer Sekunde erklärt Affleck mit seinem Spiel in einer alten Schwarz/Weiß-Amateuraufnahme den ganzen Film. Die Möglichkeit einer derart großartigen Fähigkeit hätte Affleck kaum jemand zugetraut. Die Co-Stars Diane Lane (Untreu, Unter der Sonne der Toskana) und Bob Hoskins (Falsches Spiel mit Roger Rabbit, Stay) leisten zwar tadellose Arbeit, aber der Fokus liegt auf Brody und die große, stille Show zieht Affleck ab.

    Dass „Hollywoodland“ dennoch nicht in Dimensionen von Meisterwerken wie „L.A. Confidential“ oder Chinatown vordringt, ist in erster Linie Regisseur Poulter geschuldet. Der TV-Veteran („Sex And The City“, „Die Sopranos“) versteht es bei seinem Leinwand-Debüt nicht, die Atmosphäre der 50er Jahre auch nur annährend so perfekt einzufangen, wie dies zum Beispiel Curtis Hanson in besagtem „L.A. Confidential“ glückte. „Hollywoodland“ ist ein sonnendurchfluteter Film Noir, aber die Produktionswerte können mit dem hohen Standard der Darstellerleistungen nicht Schritt halten. „Hollywoodland“ ist nicht schick, sondern vielmehr schmuddelig – mit einer Spur Eleganz, die durch die zweite, nicht chronologische Zeitachse um Reeves und Toni Mannix verströmt wird. Aber auch dieser Glanz ist eher morbide, weil unter Reeves’ Oberfläche dunkle Facetten schimmern.

    „Hollywoodland“ kommt als Ganzes spät ins Rollen, über weite Strecken fehlt die große emotionale Schwere, einige Passagen lassen griffige Spannung vermissen, diese Unzulänglichkeiten werden aber – je näher sich der Film dem Ende neigt – ausgebügelt. Coulter glänzt nicht als überragendes inszenatorisches Talent, aber sein Film hat so viel Potenzial, dass immer noch ein guter Noir-Thriller herausspringt, selbst wenn der Regisseur einiges an Möglichkeiten ungenutzt lässt.

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