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    The Namesake
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Namesake
    Von Ulf Lepelmeier

    Indien dürfte im Zusammenhang mit dem Medium Film meist dieselben Assoziationen hervorrufen. Farbenprächtige Kostüme, ausschweifende Tanz- und Gesangseinlagen und jede Menge Herzschmerz - oder einfach kurz und bündig: Bollywood. Die in den Vereinigten Staaten lebende, indischstämmige Regisseurin Mira Nair thematisiert zwar auch gerne den Subkontinent und hat mit Monsoon Wedding selbst einen stark an das indische Erfolgskino angelehnten Film inszeniert, versteht es aber stets, in ihren Werken einen Bogen zwischen westlichen und indischen Einflüssen zu spannen. Mit dem ohne jeglichen Bollywoodbombast auskommenden Familiendrama „The Namesake“ präsentiert die Regisseurin nun mit viel Sensibilität und einem stimmungsvollen Erzählstil die generationsübergreifende Suche einer Immigrantenfamilie nach Heimat, Freiheit und sich selbst.

    Nach einer arrangierten Eheschließung nimmt der bereits zwei Jahre in den USA lebende Doktorant der Ingenieurswissenschaften Ashoke Ganguli (Irfan Khan) seine Braut mit nach New York. Der jungen Ashima (Tabu) fällt es zunächst schwer, sich mit dem grauweißen Szenario des kalten amerikanischen Winters und den vielen fremden Eindrücken anzufreunden. Doch in dieser fremden Welt bildet sich schnell ein zartes Band der Vertrautheit zwischen den Eheleuten, und mit der Geburt des ersten Kindes verschieben sich ohnehin die Problematiken. Der Junge wird provisorisch nach dem russischen Literaten Gogol benannt und soll zu einem späteren Zeitpunkt, wie in Indien üblich, seinen offiziellen Namen erhalten. Doch der anfangs noch als Übergangslösung gedachte Name bleibt bis zu seinem Highschoolabschluss bestehen. Gogol (Kal Penn) sieht sich genauso wie seine Schwester Sonia (Sahira Niar) als Amerikaner und kann mit den kulturellen Wurzeln seiner Eltern nichts mehr anfangen. Bevor er in Yale sein Architekturstudium aufnimmt lässt, er seinen Namen ändern und sich fortan Nick nennen. Er nimmt die Familie seiner wohlhabenden amerikanischen Freundin bald als die eigene an und bricht den Kontakt zu seinen indischen Eltern fast vollständig ab. Als sich aber ein Schicksalsschlag ereignet, sieht er sich gezwungen, sich mit seiner Vergangenheit und seiner eigenen Identität auseinander zu setzen...

    Die auf dem ersten Roman von Pulitzerpreisträgerin Jhumpa Lahiri basierende, generationsübergreifende Geschichte der indischen Immigrationsfamilie Ganguli transportiert mit kultureller Entwurzelung und Identitätssuche die zwei zentralen Themenkomplexe der Filmschaffenden Mira Nair („Salaam Bombay“, Vanity Fair), die zwar in Amerika lebt und arbeitet, ihre Seele aber in Indien beheimatet sieht. Gerade weil die Regisseurin selbst weiß, was ein Leben zwischen den Kontinenten bedeutet und welche Reize und Probleme dies mit sich bringt, kann sie sich perfekt in die Situation der Familienmitglieder hineinfühlen. Mit einem präzisen Gespür für ihre Figuren und einem guten Blick für vermeintliche Kleinigkeiten schafft sie es, einen sensiblen, leichten Film mit einer fließenden Erzählstruktur zu konzipieren, bei dem trotz der Dramatik nie Schwermut aufkommt und auch heitere Passagen geschickt eingestreut werden. Die an sich linear aufgebaute Geschichte wird zwischenzeitlich durch Erinnerungen der Hauptpersonen durchbrochen, die ihre Handlungsweisen untermauern und noch verständlicher machen.

    Obwohl das Ehepaar Ganguli intelligent und belesen ist, sich immer wieder dazu bereit zeigt, sich anzupassen, um in Amerika wirklich das Land des Erfolges zu finden, wird es sich auch immer nach seiner Heimat Indien sehnen und auch ein hauptsächlich aus bengalischen Landsleuten bestehenden Freundeskreis aufbauen, so dass eine völlige Integration einfach nicht gelingen kann. Die in New York geborenen Kinder fühlen sich in Indien bereits nur noch als Touristen. Einerseits bestaunen sie die Schönheit und Exotik des Taj Mahals, aber andererseits machen die Enge, das Durcheinander sowie die im Vergleich zu Amerika rückständigen technologischen Gegebenheiten, die so andere Lebensweise und Denkeinstellung es ihnen unmöglich, sich ein Leben im zweitbevölkerungsreichsten Land der Welt auf Dauer vorzustellen. Der sich so ergebene Generationskonflikt ist vor allem bezogen auf die unterschiedliche Einstellung zur Lebensweise und Kultur der Vorfahren. Gogol und Sonia haben aber letztlich auch nur die Möglichkeit, sich wirklich als Amerikaner zu fühlen und sich vollends zu integrieren, wenn sie sich von dem traditionsdurchzogenen Elternhaus distanzieren. Sie müssen später aber ebenso einsehen, dass man seine Wurzeln nicht verleugnen kann und darf, und dass man sich die Familie als Heimat und Verbindung zur Vergangenheit und damit der eigenen Identität bewahren sollte. Das Problem Gogols mit seinem Namen, der von einem vom Wahn zerfressenen russischen Genie herrührt, zieht sich durch den ganzen Film hindurch und steht symbolisch für den Generationskonflikt sowie die Schwierigkeit der Identitätsfindung. Dabei rührt die fehlende Akzeptanz des Namens hauptsächlich daraus, dass es zwischen dem stillen Vater und seinem Sohn große kommunikative Schwierigkeiten gibt. Denn es steckt in Wahrheit mehr hinter der Namensgebung als die Tatsache, dass Nikolai Wassiljewitsch Gogol der Lieblingsautor des Vaters ist.

    Der Film nimmt seine drei beinahe gleichwertigen Hauptfiguren Ashoke, Ashima und Gogol immer ernst und begegnet ihnen stets mit dem gebührenden Respekt. Dies wird gerade durch die darstellerische Klasse von Irfan Khan (Schatten der Zeit) und Tabu („Chandni Bar“) deutlich, die es verstehen, den Eheleuten Ganguli Tiefe zu verleihen und das enge Band zwischen diesen beiden Personen glaubhaft zu machen. Neben diesen beiden Größen des indischen Films weiß auch Kal Penn (Superman Returns, Harold And Kumar) als Gogol zu gefallen, der hier unter Beweis stellt, dass er mehr kann, als in halbgaren Komödien wie zuletzt Fantastic Movie mitzuwirken. Während die drei Mitglieder der Ganguli-Familie als komplexe Charaktere erscheinen, für die der Zuschauer trotz ihrer unterschiedlichen Sichtweisen jeweils Sympathie aufbringt, sind die anderen Figuren leider weit weniger präzise ausgearbeitet. So hätten die beiden Beziehungen von Gogol, die im Film wie Nebenkriegsschauplätze wirken, einfach etwas mehr Leinwandzeit bedurft, um mehr als bloße Staffage zu sein.

    Fazit: In „The Namesake“ beschreibt die Regisseurin Mira Nair mit großem Einfühlungsvermögen die universellen Probleme einer Einwandererfamilie zwischen Integrationswillen, Traditionsbewusstsein und der Suche nach dem eigenen Selbstverständnis.

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