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    Factotum
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Factotum
    Von Lars Lachmann

    „Jeden Tag besoffen ist auch regelmäßig gelebt.“ – Dieser Satz stammt zwar nicht von Charles Bukowski, sondern vom deutschen Schriftstellerkollegen Arno Schmidt, ist jedoch gleichermaßen programmatisch für Bernd Hamers Film „Factotum“, welcher auf Bukowskis gleichnamiger Romanvorlage basiert. Das Schreiben konstituiert sich – neben dem Trinken – denn auch als das einzig Regelmäßige im Leben von Henry Chinaski, dem Protagonisten und alter ego des amerikanischen Literaten.

    Ansonsten ist das Leben von Henry „Hank“ Chinaski (Matt Dillon) eher von einem unsteten Wandel geprägt. Er hält es in keinem seiner ständig wechselnden Jobs länger als ein paar Tage aus; ähnlich verhält es sich mit seinen Frauenbekanntschaften, welche sich meist in Bars ergeben und bei denen es sich in der Regel um ähnlich gescheiterte Existenzen wie er selbst handelt. Eine von diesen Frauen ist Jan (Lili Taylor), zu der er – zumindest ansatzweise – so etwas wie eine Beziehung aufbauen kann. Doch die Stabilität dieser zeitweisen Bindung scheint sich jeweils antizyklisch zu Chinaskis materiellem Auskommen zu entwickeln. So verbringen die beiden einige ihrer glücklichsten Momente miteinander, während seine finanzielle Situation auf einem Tiefpunkt angelangt ist. Als Chinaski zusammen mit Manny (Fisher Stevens), den er von seinem gegenwärtigen Job aus der Fahrradwerkstatt kennt, ins Wettgeschäft mit Pferden einsteigt, es auf diese Weise kurzzeitig zu Erfolg bringt und sich ein entsprechendes neues Outfit gönnt, muss er sich von Jan sagen lassen, er habe ihr als schmutziger, versoffener Rebell besser gefallen. Unterdessen wird Chinaski es nicht müde, immer wieder literarische Erzeugnisse an den Verlag „Black Sparrow Press“ zu schicken. Auch wenn diese nie veröffentlicht werden, ist für ihn das Erlebnis, andere Schriftsteller zu lesen – in Verbindung mit der Einschätzung, dass er es besser könne –, Grund genug das Schreiben nicht aufzugeben.

    Das insgesamt weitgehend handlungsarme Geschehen unterteilt sich in einen quasi episodischen Aufbau, der das Phänomen Chinaski gewissermaßen als Zustandsbeschreibung porträtiert. Seinen irgendwo zwischen Bohème und Straßenpoesie angesiedelten Lebensstil verfolgt er dabei mit einer erstaunlichen Konsequenz – ganz getreu seinem Motto „To do a dull thing with style – now that‘s what I call art.“ Chinaski ist eine Figur, die sich ganz bewusst abseits der gesellschaftlichen Norm bewegt, und somit ein krasser Gegenentwurf zum Amerikanischen Traum mit seinem Ideal des Strebens nach Glück, Erfolg und Wohlstand. Folglich gerät unser Antiheld bei zahlreichen Anlässen in Konflikt mit solchen Figuren und Institutionen, welche hingegen gerade diese bürgerliche Ordnung mit ihren Idealen vertreten oder repräsentieren, wie z. B. die meisten seiner Arbeitgeber, die Polizei, das Sozialamt oder seine Eltern. Gerade dieses Konfliktpotenzial und Chinaskis nonchalante Art, dem zu begegnen, verleihen dem Geschehen eine recht eigene, skurrile Note.

    Die szenische Darstellung orientiert sich zum Teil an einem minimalistischen Stil, der den Zuschauer ohne viel Worte die jeweilige Spannung, Tragik oder Komik einer Situation unmittelbar spüren lässt. Der Norweger Bent Hamer knüpft in dieser Hinsicht sowohl an den Stil an, den vor allem Regisseure wie Aki Kaurismäki (Der Mann ohne Vergangenheit) und Jim Jarmusch (Down By Law, Broken Flowers) geprägt haben, welcher aber auch schon in seinen eigenen, frühen Werken („Eggs“, „Kitchen Stories“) Verwendung findet. Abgesehen vom sorgsamen Einsatz dieses Stilmittels sind es jedoch vor allem die Schauspieler, die dem Film zu seiner hohen atmosphärischen Dichte verhelfen.

    Getragen wird „Factotum“ vor allem von einem grandiosen Matt Dillon, der der Hauptfigur Henry Chinaski, um die sich alles dreht, seine ganz eigene Persönlichkeit verleiht und mit Leben erfüllt. Auch das Zusammenspiel mit einer nicht minder überzeugenden Lili Taylor ist nahezu perfekt. Skurriler Höhe- und zugleich vorläufiger Schlusspunkt der Beziehung zwischen Henry und Jan, die nicht mit-, aber auch nicht ohne einander können, ist jene Trennungsszene, welche damit beginnt, dass er sich vom Bett erhebt, zum Klo schlurft sich übergibt, ein neues Bier aufmacht und mit gequältem Ausdruck davon trinkt; worauf sie ebenfalls aufsteht, sich auf dem Klo übergibt und sich anschließend eine Zigarette ansteckt. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle die ebenfalls brillant aufspielende Marisa Tomei als Chinaskis kurzzeitige Begleiterin Laura.

    Zusammenfassend lässt sich „Factotum“ vielleicht am ehesten als radikal individueller, künstlerischer Lebensentwurf beschreiben, in dem sich verrauchte Barluft mit urbaner Poesie und viel Alkohol vermischt. Wenngleich nicht in allen Szenen viel gesprochen wird, lohnt es sich für Zuschauer mit guten Englischkenntnissen in jedem Fall den Film im Originalton anzusehen. Stilblüten wie „I never liked prisons. They‘ve got the wrong kind of bars in there“ lassen sich in der deutschen Synchronisation („Ich mag den Knast nicht. Dort gibt es keine guten Bars.“) leider nur schwer adäquat übersetzen.

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