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    Das Schloss
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Das Schloss
    Von Christian Schön

    Gäbe es beim Film analog zur Musik die Einteilung in U-Filme und E-Filme, also in solche, die unterhaltend und solche, die ernst sind, Michael Hanekes Werke würden fast ausnahmslos in die Sparte der E-Filme fallen. So auch die Literaturverfilmung „Das Schloss“ nach dem gleichnamigen Romanfragment von Franz Kafka. Letzterer gilt seit geraumer Zeit als Ikone der modernen Literatur. Kafka dient als Garant dafür, wenn das Lebensgefühl oder die Erfahrung des modernen Menschen beschrieben werden soll. Gerade wegen der Aura, die Kafka als einzigen Epiker des 20. Jahrhunderts umgibt, hat eine Bearbeitung seiner Werke wie die Übersetzung in die Sprache des Films, etwas von einem Sakrileg. Es erscheint ja kaum denkbar, dass die Texte, die gerade durch ihre Sprachgewalt hervorstechen, in ein Medium zu übersetzen, dessen narrative Mittel Bild und Bewegung ist, übertragen werden können. In vielen Fällen erliegen Filmemacher der Versuchung, das Unfassbare an Kafkas Werken allzu stark betonen zu wollen, und verfallen der Tendenz zum surrealistischen Kitsch (Soderberghs „Kafka“). Haneke, dessen Erzählweise (Caché, Benny‘s Video, Die Klavierspielerin, Funny Games) sehr realistisch ist, scheint viel weniger anfällig für diese Art des Textverständnisses zu sein. Er trifft mit seiner Adaption den Kern kafkaesker Situationen viel eher, da diese auf ähnliche Weise glasklar und mysteriös zugleich sind. Die relative Werktreue brachte Hanekes Film unter anderem den Fernsehpreis für österreichische Volksbildung ein. „Das Schloss“ steht damit als Vermittlungsinstanz zwischen literarischem Werk und Publikum. Dennoch fehlt dem Film als Ganzem die Eigenständigkeit unabhängig vom Buch.

    Die Handlung beginnt mit der Ankunft des Landvermessers K. (Ulrich Mühe) in einem kleinen verschneiten Dorf. Da es schon spätnachts und zudem kalter Winter ist, sucht K. vornehmlich einen warmen Ort zum Schlafen. Er hofft, diesen in einem kleinen Wirtshaus zu finden. Die anderen Gäste sind dem Fremden gegenüber misstrauisch eingestellt. Man gibt K. von Anfang an zu verstehen, dass er nicht willkommen und prinzipiell verdächtig ist. Doch das Schloss gibt per Telefon grünes Licht und K. wird zunächst einmal gebilligt. Am nächsten Tag werden ihm zwei Gehilfen (Frank Giering, Felix Eitner) zugeteilt, die ihn ab diesem Zeitpunkt nicht mehr aus den Augen lassen. Als K. seinen ersten Versuch unternimmt, eine direkte Kontaktperson zum Schloss näher kennen zu lernen, trifft er auf die Kellnerin Frieda (Susanne Lothar). Sie scheint mit dem Abgesandten des Schlosses, Klamm, vertraut zu sein. K. fängt prompt ein Verhältnis mit Frieda an, das er so stark auch nach außen hin verteidigt, dass bald von Heirat die Rede ist. K.s Recherchen bei den Ombudsleuten des Schlosses stellen seine Daseinsberechtigung als Landvermesser bald infrage. Ein Landvermesser werde nicht gebraucht, und die angebliche Berufung sei höchstwahrscheinlich ein Versehen. Beweise können aber weder das eine, noch das andere gefunden werden. Seine Beziehung zu Frieda und die Arbeitslosigkeit treiben K. in den Beruf des Schuldieners.

    Hanekes „Das Schloss“ reiht sich fast nahtlos in die Ästhetik seiner früheren Filme ein. Ein eher unterkühlter Duktus spiegelt sich auf mehreren Ebenen der filmischen Gestaltung wider. Eine musikalische Untermalung der Szenen fehlt völlig, wenn nicht zufällig Musik in den Szenen selbst verankert ist. Dadurch bekommt der Film einen kühl authentisch-realistischen Touch und eine klaustrophobische Enge. Das Dorf in der kalten (!), verschneiten Winterlandschaft als Schauplatz, die reduzierte Farbpalette und vor allem die Ausstattung der Szenen unterstützen diesen Eindruck. Die Ausstaffierung der Räume und das Kostümbild wirken altertümlich und archaisch (ähnlich wie in „Wolfzeit“). In der Hauptsache jedoch sind die Schauspieler, allen voran Ulrich Mühe und Susanne Lothar, mit ihrer dezent teilnahmslosen Art zu spielen an der spezifischen Wirkung beteiligt. Die Hauptfigur K. ist bereits in der Anlage im Roman nur bedingt geeignet mit ihr zu sympathisieren. Die Gefahr, dies durch falsches Spiel nicht auf der Leinwand erfahren zu können, war groß und gelingt kaum in anderen Kafka-Verfilmungen.

    Als einziges schwerwiegendes Manko ist wohl die Einführung einer Erzählstimme aus dem Off anzusehen. Dies ist nicht nur ein generelles Problem bei Literaturverfilmungen, in diesem Fall entpuppt sich diese Instanz gar als völlig überflüssig. In den Anfangssequenzen wird nämlich exakt das beschreiben, was ohnehin gesehen werden kann. Diese Doppelung des Textes, die sich zwar zunehmend verliert und nicht über die ganze Dauer von immerhin zwei Stunden durchgehalten wird, steht dem Film als Film sehr entgegen. Zu stark wird dadurch auf die Herkunft verwiesen. Gerade an der Eigenständigkeit des Films gegenüber dem Text lässt sich eine Verfilmung besonders gut messen. Selbst wenn man gutwillig die Stimme als einen Verfremdungseffekt werten würde, ist zu konstatieren, dass sie auch als solche überflüssig ist, da genügend Hinweise zu finden sind, die die Filmwelt als konstruierte fiktive Handlung in einer kaum näher zu bestimmenden Zeit auszeichnet.

    Eine große Stärke des Films liegt hingegen in dem Erzählton begründet, den er konsequent anschlägt. Dieser Ton verbindet das filmische Werk Hanekes mit der Vorlage Kafkas auf eigentümliche Weise. Die meisten Texte, die von Franz Kafka überliefert sind, liegen in einer oft als „unfertig“ bezeichneten Form vor. Dabei findet man sowohl Texte wie das Schlossfragment, die im wörtlichen Sinne unfertig sind, im Sinne von nicht abgeschlossen. Dem gegenüber steht eine Menge von Texten, deren fragmentarische Form als literarisches Prinzip verstanden wird. Dieses spiegelt sich zum Beispiel auch in der Figur K. in „Das Schloss“ wider: K. versucht ständig das Schloss zu erreichen, ohne es je zu schaffen. Auf ähnliche Weise bemüht sich Kafka in seinen Texten immer wieder, eine bestimmte Bewegung zu vollziehen, ohne je zu einem Abschluss zu kommen. Von dieser Perspektive aus gesehen, lässt sich nachträglich nur schwer festmachen, welche Texte tatsächlich nicht fertig geworden sind oder ob sie gar nicht fertig werden konnten. Diesen Status des Unfertigen übernimmt Haneke und findet ein adäquates filmisches Mittel dafür. Die einzelnen Kapitel des Romans erscheinen im Film als abgeschlossene, bzw. unabgeschlossene Teile, die durch schwarze Blenden von Sekundenlänge deutlich voneinander getrennt sind. Die Übergänge ergeben sich also nicht durch einen Fluss der Bilder, sondern durch die Übereinstimmungen auf der Handlungsebene.

    Mit dieser Strategie der Texterzeugung wandte sich Kafka mit am konsequentesten gegen eine lange Tradition des Erzählens. Bereits in der literarischen Romantik bekam das Fragment, als Zeichen für das Unfertige schlechthin, einen unglaublichen Aufschwung in der künstlerischen Bewertung. Gewöhnlich erscheinen literarische und auch filmische Werke als abgeschlossenes Ganzes, das einem linearen Aufbau folgt. Ein besonderes Kennzeichen von Kafka, wie auch von Haneke, ist es, nun gerade diese Strategie zu durchbrechen oder zu konterkarieren. Insofern sind beide Autoren subversiv, indem sie das Strukturprinzip „Versuch-Scheitern, Versuch-Scheitern“ in immer neuen Variationen wiederholen. Wobei das Scheitern immer einen immanenten Bestandteil der Werke ausmacht. So ließe sich bei „Das Schloss“ abschließend die paradoxe Frage stellen, ob es überhaupt Sinn macht, von einer geglückten Übersetzung eines Kafka-Romans in die Sprache des Kinos zu sprechen, wenn jeder künstlerischen Produktion ihr eigenes Scheitern innewohnt. Und ebenso paradox könnte man antworten, dass Hanekes Version von „Das Schloss“ im Missglücken gelungen und zugleich durch sein Gelingen eine missglückte Adaption darstellt.

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