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    Shooting Dogs
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Shooting Dogs
    Von Carsten Baumgardt

    Das internationale Kino hat Afrika als Thema und Schauplatz entdeckt. An der Spitze dieser Entwicklung stehen brillante Werke wie Blood Diamond, Der ewige Gärtner, Hotel Ruanda oder Der letzte König von Schottland. Afrika-Filme sind hip. Michael Caton-Jones’ Drama „Shooting Dogs“ hat nun schon zwei Jahre auf dem Buckel und kommt eben im Zuge des neuen afrikanischen Bewusstseins doch noch in die deutschen Kinos. Der schottische Filmemacher schildert den brutalen Völkermord in Ruanda im Jahre 1994, wählt dabei aber eine andere Perspektive als Terry George in seinem „Hotel Ruanda“. Nach fast schon seichtem Beginn bekommt Caton-Jones noch die Kurve und stellt ein aussagekräftiges, filmisches Statement auf die Beine.

    Ruanda, 1994. Der junge, britische Lehrer Joe Connor (Hugh Dancy) ist voller Idealismus und mit ganzem Herzen dabei, an einer Missionsschule in Kigali zu unterrichten. Sein Boss, Pater Christopher (John Hurt), der seit fast 30 Jahren in Afrika lebt, hat seinen missionarischen Eifer pragmatisch an die Realitäten im afrikanischen Kontinent angepasst. Doch das ruhige, beschauliche Leben in der Mission ist urplötzlich vorüber. Innerhalb weniger Stunden überschlagen sich die Ereignisse. Hutu-Extremisten wollen die elitäre Minderheit der Tutsi mit einem Handstreich auslöschen. Zwischen diesen beiden Volksgruppen zieht innerhalb kurzer Zeit ein Bürgerkrieg herauf, dessen Verlauf sich als ungleicher Kampf herausstellt. Viele der angegriffenen Tutsi suchen in der Mission Schutz, doch diese bricht bald aus allen Nähten, während Pater Christopher und Joe damit beschäftigt sind, sich um die Flüchtlinge zu kümmern. Die Tatsache, dass eine kleine Einheit von belgischen UN-Soldaten in der Mission Quartier bezogen hat, hilft jedoch auch nicht weiter. Deren oberster Befehlshaber, Capitaine Charles Delon (Dominique Horwitz), ist von seinen Vorgesetzten dazu angewiesen worden, nichts zu unternehmen. Doch dann werden zehn seiner Soldaten von den Hutu ermordet. Außerhalb des Camps läuft derweil ein Massenmord ab.

    Michael Caton-Jones (City By The Sea, „Der Schakal“, „Rob Roy“) gehört sicherlich nicht zur allerersten Garde der Hollywood-Regisseure, ist aber ganz gewiss ein solider Handwerker, der sein Fach versteht. 2006 gab sich der Filmemacher allerdings mit Basic Instinct 2 der internationalen Lächerlichkeit preis, landete den größten kommerziellen Flop des Jahres und sein Film erntete zum Dank auch noch vier Goldene Himbeeren, während er selbst für den Anti-Regiepreis nominiert war. Und warum das alles? „Bei ‚Basic Instinct 2’ habe ich die Beine breit gemacht – um die Freiheit zu haben, einen Film wie ‚Shooting Dogs’ zu drehen“, erklärt der Regisseur. Der Ansatz ist löblich, doch das unsägliche Basic Instinct-Sequel hätte uns Caton-Jones besser erspart, denn ein derart schlechter Mann ist er nun wirklich nicht. Mit dem richtigen Material kann er sogar etwas bewirken, wie „Shooting Dogs“ untermauert.

    Der Genozid in Ruanda im Jahr 1994 gilt als der größte Völkermord nach dem Zweiten Weltkrieg. Rund eine Million Menschen kamen zwischen April und Juni ums Leben. Auslöser war der Abschuss des Flugzeugs des damaligen Präsidenten Juvenal Habyarimana, dessen Maschine von zwei Boden-Luft-Raketen vom Himmel geholt wurde, wie sich allerdings erst Jahre später offiziell herausstellte. Seine Gegner hielten ihn in seiner Einstellung für Pro-Tutsi, was seinen Tod herauf beschwor. Die Hutu-Milizen übernahmen das Kommando und töteten alle Tutsi, die sie erwischen konnten. Die westliche Welt gab damals ein erbärmliches Bild ab, verschloss die Augen vor dem Völkermord und reagierte erst sehr spät - viel zu spät - mit einem UN-Mandat. Das System hatte jämmerlich versagt.

    Caton-Jones’ Film zeigt sowohl die sich entwickelnde Tragödie als Ausschnitt sowie auch das Versagen der UN. Die Figuren der Geschichte sind fiktiv, doch der politische Hintergrund und die Fakten real. Dazu wurde an Originalschauplätzen in Kigali gefilmt. Anders als „Hotel Ruanda“, der gleich von Beginn an hart zur Sache geht, steigert sich das Gewaltpotenzial hier erst sehr langsam. „Shooting Dogs“ beginnt fast schon als Feel-Good-Movie, wenn der überambitionierte Lehrer Joe mit seinem Engagement am liebsten einen ganzen Kontinent verändern will – unwissend, dass dies in der Realität nicht möglich ist. Dieses Idyll wandelt sich in einen Albtraum, in dem der junge Mann langsam kapiert, um was es überhaupt geht. Mag auch die christliche Sicht, aus der die Protagonisten des Films das Geschehen betrachten, nicht jedermanns Sache sein, so hat Drehbuchautor David Wolstencroft dem Charakter des Joe eine menschlich nachvollziehbare Entwicklung gegeben, die sich wohltuend von süßlicher Hollywood-Dramaturgie abhebt. Hugh Dancy (Basic Instinct 2, King Arthur, Black Hawk Down) transportiert diese schleichende Veränderung glaubhaft und bleibt trotzdem als Sympathieträger in emotionaler Reichweite des Zuschauers.

    Das Verhalten von Pater Christopher ist dagegen weitaus pathetischer, ohne den Anspruch des Films an die Glaubwürdigkeit zu verlieren. John Hurt (Contact, Der Elefantenmensch) spielt mit stattlicher Präsenz auf und macht die Aktionen seiner Figur transparent. Sind die Auftritte deutscher Schauspieler in internationalen Produktionen nicht immer von gelungener Natur, so überzeugt Dominique Horwitz als belgischer UN-Kommandant auf ganzer Linie. Seine Zerrissenheit zwischen menschlichem Anspruch und Befehlen, derer er sich nicht widersetzen kann, bringt Horwitz exzellent rüber. Sein Verhalten gegenüber den Missionsmitarbeitern pendelt zwischen Kumpelhaftigkeit und von oben verordneter Kühlheit und Ablehnung. Sein Englisch mit französischem Akzent ist perfekt authentisch. Kein Wunder. Horwitz, 1957 in Paris geboren, zog erst 1971 mit seinen Eltern von Frankreich nach Berlin, ist somit französischer Muttersprachler.

    Über weite Strecken muss sich „Shooting Dogs“ den Vorwurf gefallen lassen, die kaum vorstellbare Brutalität des Massenmordes nicht drastisch genug einzufangen. Doch der Eindruck, eine Art Light-Version von „Hotel Ruanda“, diesmal aus weißer statt schwarzer Perspektive, zu drehen, relativiert sich ebenso noch, wie die anfängliche Formelhaftigkeit der Struktur. Gegen Ende schafft es Caton-Jones, dem Betrachter die Kehle zuzuschnüren und ihn zu berühren, wie es bei einem Film dieses Themas vonnöten ist, um die klare Aussage auch nachhaltig anzubringen. Der Regisseur sieht seine Geschichte als „Bruchstück, ein Ereignis, welches für das Ganze steht“. Der Zuschauer bekommt durch „Shooting Dogs“ einen atmosphärischen Einblick in das Geschehen, selbst wenn Details zur Hintergrundgeschichte vorher oder nachher nachgelesen werden müssen, um die Feinheiten zu verstehen. Der Titel ist übrigens eine beißend-zynische Breitseite auf das Verhalten der UN. Während der Krise sahen die UN-Soldaten tatenlos zu, wie um sie herum gemordet wurde, lediglich einige streunende Hunde, die sich an überall verteilten Leichen um das Camp herum zu schaffen machen, wurden erschossen, um den Ausbruch von Seuchen zu verhindern.

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