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    Rize
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Rize
    Von Deike Stagge

    Sozialkritische Tanzfilme sind seit dem letzten Jahr anscheinend wieder „in“. Zumindest finden sie ein Publikum. Den aktuellen Beitrag zum Thema liefert der Musikvideo-Regisseur David LaChapelle mit „Rize“, in dem er einen Blick auf den afroamerikanischen Streetdance und seine neuesten Formen wirft.

    Über drei Jahre lang produzierte, filmte und schnitt David LaChapelle sein Werk. Auf das Thema stieß er beim Videodreh für Christina Aguilera, als einige Backgroundtänzer in der Pause ein paar fette Moves auspackten. Das war seine erste Begegnung mit dem so genannten Krump. Auf der Suche nach dem Ursprung dieses fast wie eine emotionale Entladung wirkenden Tanzes stieß er im berüchtigten South Central in Los Angeles auf Tommy den Clown. Dieser ehemalige Drogendealer wollte das Leben von Kindern positiv beeinflussen und trat auf Kindergeburtstagen in den Armenvierteln von L.A. auf. Neben seiner Clownshow begeisterte er vor allem durch seinen ausdrucksstarken HipHop. Bald gründeten sich andere Clowngruppen, die seine Mischung aus Tanz und fröhlicher Unterhaltung übernahmen. Aus diesem Clowning entwickelten junge Tänzer zunächst den Stripperdance, der dann zum Krump umgewandelt wurde.

    Aber was heißt denn nun Krump? Der Tanz läuft zu harten Rapsongs, während sich die Tänzer in der Mitte der Gruppe immer wieder abwechseln. Jeder kann sich hier die Seele aus dem Leib tanzen für ein paar Minuten. Dabei erscheint der Krump schon fast aggressiv. Jeder lässt seine Gefühle frei heraus, entlädt sie in schnellen, individuellen Bewegungskombinationen. Geschubst und gestoßen wird untereinander auch (Jungs und Mädels gleichermaßen) - allerdings nicht als Aggression, sondern eher als Motivation für den Tänzer, noch mehr aus sich herauszuholen. Tommy und seine Kollegen Dragon, Miss Prissy, Lil C. und Tight Eyez sehen darin für Kids die Chance, sich nicht nur sportlich zu betätigen (und diese Moves sehen verdammt anstrengend aus), sondern vor allem die Möglichkeit, den Alltagsfrust und den Ärger über das Leben in South Central in einer positiven Form herauszulassen. Ihrer Meinung nach holt der beliebte Krump die Jungendlichen von der Straße und bringt sie somit weiter weg vom Zugriff der Gangs, die in Los Angeles das Sagen haben und ständig versuchen, neue Mitglieder zu rekrutieren. Im Krump können sich Freundschaften bilden, die nicht auf einer Gang-Mitgliedschaft beruht. Gang-affine Farben oder Tücher zu tragen, ist in den Krump-Gruppen nicht erwünscht. Mit ihrem Tanz wollen Tommy und seine Nachahmer nicht nur den Kids in South Central helfen, sondern auch auf die afroamerikanischen Probleme in den Großstädten aufmerksam machen.

    Für die Ausführung dieser Mission hat sich David LaChapelle gefunden. Als Regisseur für Musikvideos hat er schon mit Popgrößen wie Madonna, Britney Spears, Jennifer Lopez und Elton John gearbeitet. Die Herausforderung, eine soziale Dimension zu Tanzszenen hinzuzufügen, nahm er gern an und stellte sie auch an den Anfang des Films. So eröffnet der Regisseur „Rize“ mit den journalistischen Aufnahmen aus den afroamerikanischen Aufständen der 80er Jahre bis hin zu Rodney King. Er zeigt Großbrände, Menschenmassen und eben den geschlagenen Rodney King, um dann die ersten Krump-Szenen einfließen zu lassen. Der symbolische Großbrand, der in der Eröffnungssequenz heraufbeschworen wird, bleibt aber tänzerisch zunächst aus. Gerade der Beginn von „Rize“ wirkt sehr unrhythmisch und konzeptlos, so als hätte LaChapelle das Material wahllos zusammengeschnitten. Die Interviews geben keine schlüssigen Informationen, der Zuschauer sucht vergeblich nach einem leitenden roten Faden. In Sachen Informationsübertragung könnte der trendige Videoclip-Regisseur sicherlich noch mehr aus seinem Film machen. Sehr informativ ist „Rize“ im Vergleich zu anderen Dokumentationen sicherlich nicht. Man erfährt nur das Nötigste über die Lebensumstände der Tänzer, einzig Tommy der Clown wird über den gesamten Film hinweg mit seinem Lebensweg beleuchtet.

    Dennoch sagt „Rize“ über seine Bilder und den Tanzstil der Kids wesentlich mehr aus, als man vielleicht vermuten würde. Auch im Schnitt hat LaChapelle die Musikvideo-Ebene verlassen: er zeigt die Vorbereitung der Tänzer, ihr Runterkommen nach dem Krump und schneidet nicht nach den Tanzbewegungen oder dem Beat. Es geht ihm um die Menschen nicht den Krump. Und dieser Tanz ist auch für den deutschen Zuschauer unbedingt sehenswert. Sexy und aggressiv, ein Ventil für die Stimmung der Jugendlichen, welches LaChapelle gekonnt mit Archivaufnahmen afrikanischer Stammestänze verbindet, um die Wurzeln der Krumper aufzuzeigen. Dieser Stimmung ordnet sich auch der Soundtrack unter. Nur der Song „Soar“ von Christina Aguilera, der vielleicht als Tribut für die Entdeckung des Krump auf ihrem Videodreh gewertet werden kann, fällt aus der Auswahl echter HipHop-Hymnen heraus und wirkt zu poppig. „Rize“ ist kein Film zum Soundtrack, aber auch der macht einiges her. Die positive Wirkung des Tanzens auf Kinder als Erlernen des respektvollen Umgangs miteinander stellte die Tanzdoku Mad Hot Ballroom im letzten Jahr heraus. David LaChapelle lässt Tommy und seine Crew eine weitere entdecken: „Rize“ ist kein Film über unterdrückte Ghettokids, sondern über Jugendliche, die durch den Tanz einen Weg finden, mit ihrem Alltag besser umzugehen und sich gewaltlos beim Tanzen abzureagieren. Schön anzusehen ist der Film dabei allemal.

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