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    Kaltes Blut
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Kaltes Blut
    Von Daniela Leistikow

    „What was it about this tiny man that made him big enough for two pictures?”, fragt sich „Infamous”-Regisseur und Drehbuchschreiber Douglas McGrath („Emma”). Der winzige Mann, um den es hier geht, wurde erst vor kurzem von Philip Seymour Hoffman gespielt, der für Capote den Oscar als bester Hauptdarsteller erhielt. Das Drama „Infamous“ beschäftigt sich mit genau der gleichen Zeit und den gleichen Ereignissen im Leben des berühmten New Yorker Schriftstellers Truman Capote.

    Im Jahr 1959 stößt Capote (Toby Jones, Wenn Träume fliegen lernen) auf einen Zeitungsartikel, der von einem blutrünstigen Mord erzählt. Fasziniert und eine gute Geschichte für seinen nächsten Roman witternd, fährt Capote mit seiner besten Freundin Nelle Harper Lee (Sandra Bullock, Das Haus am See) zu Recherchezwecken nach Kansas. Durch die Gespräche, die er mit den Tätern Dick Hickock (Lee Pace, Der gute Hirte) und Perry Smith (Daniel Craig, James Bond 007 - Casino Royale, München) führt, entwickelt sich eine intensive und komplizierte Beziehung, die Truman für immer verändern wird...

    Warum dreht jemand nach so kurzer Zeit noch eine Biographie über Truman Capote? Das Ganze ist ein unglücklicher Zufall: Zur gleichen Zeit geschrieben, landete Dan Futtermans’ Script für „Capote“ zuerst auf den Schreibtischen der Produzenten, inklusive einer Geheimwaffe: Futtermans Kumpel Philip Seymour Hoffman (Boogie Nights, Magnolia) war für den Titelcharakter vorgesehen. Douglas McGrath hingegen hatte seinen Truman noch nicht gefunden - genauso wenig wie sein Drehbuch den Weg zur passenden Produktionsfirma. „Infamous“ ist kein schlechter Film, und was den Unterhaltungswert angeht, stiehlt er „Capote“ zeitweise die Show. Dennoch lässt der ständige Vergleich mit dem ersten Biopic die oft übertriebenen Albernheiten von „Infamous“ doppelt so oberflächlich und seicht wirken, wie man sie ohne den Kontrast mit „Capote“ wahrscheinlich wahrgenommen hätte.

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    „Infamous“ beruht auf dem Buch „Truman Capote: In Which Various Friends, Enemies, Acquaintances and Detractors Recall His Turbulent Career“, geschrieben von George Plimpton. Das bereichert die Biographie um Kommentare von Zeitgenossen im Dokumentationsstil, die dem Zuschauer ein sehr facettenreiches Bild von Capote vermitteln. Eine weitere Stärke des Films ist ein literarisch ansprechendes Script: Die Dialoge sind abwechslungs- und geistreicher, was das Erzähltempo des Films positiv beeinflusst. Andererseits gleiten die spritzigen Dialoge hin und wieder in unnötige Albernheiten ab: Als bei der Ankunft von Truman und Nell in Kansas der Paradiesvogel-Aspekt von dessen Persönlichkeit herausgearbeitet werden soll, wird Truman wegen seines dramatisch damenhaften Outfits (ein Pelzmantel mit mehr oder weniger passenden Accessoires) wiederholt mit „Ma’am“ angesprochen. Das ist schon beim ersten Mal nur für ein verhaltenes Kichern gut und wird mit jeder Wiederholung nervender.

    Ganz ohne Kichern geht auch der erste Auftritt von Daniel Craig mit einer gewagten Pinocchio-Frisur nicht ab. Im Laufe des Films zeigt er jedoch, dass er der Rolle des gefühlvollen Gewalttäters mehr als gewachsen ist. Bullock als Trumans lebenslange Freundin und moralische Instanz Nell Harper Lee ist als leicht jungenhafte Literatin glaubwürdig und überraschend gut. Leider jedoch kann Tobey Jones das eiserne Joch der Oscar-prämierten Performance von Hoffman trotz redlichen Mühens nie ganz abwerfen. Er liefert eine gute Leistung ab und verdient Respekt dafür, diesen ungleichen Schattenboxkampf überhaupt angetreten zu habe. Das Lob von Kollegin Sandra Bullock erhält Jones deswegen völlig zu Recht: „It's astounding the way that he’s developed this character and made him into a real human being. At the end of the day, the real Toby comes through, but while shooting - in conversation or between set-ups - Toby is Truman. The way he’s made Truman come alive and the challenge of maintaining this really unique voice, it’s not an easy role.Toby’s extraordinary.”

    Unnötig und unverständlich sind hingegen Auftritte wie jener von Gwynyth Paltrow als Sängerin in einer Lounge. Nicht genug, dass ihr Abendkleid alles andere als schmeichelhaft ist, Paltrow langweilt noch dazu mit ihrer platten Attitüde: „What is this thing, called love?” haucht sie in ihr Mikrophon und ward fort an nie wieder gesehen. Ähnlich verhält es sich mit Isabella Rosselini (Wild At Heart) und Sigourney Weaver (Alien, Der Eissturm) in ihren Rollen als Damen der feinen Gesellschaft, mit denen Truman so seine Spielchen treibt. Man bekommt den Eindruck, „Infamous“ sollte mit einem bekannten Cast aufgewertet werden, damit der Film trotz „Capote“ genug Zuschauerzulauf bekommt, was jedoch fehlschlug. Der Film lief in den USA quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

    Bei der Gestaltung von Sets und Kostümen wurde viel Augenmerk auf Details gelegt: Das Lebensgefühl der High Society im New York der Fünfziger wird lebendig porträtiert, wenn die feine Gesellschaft durch ihre ästhetisch perfekte Welt twisted. Jede Szene scheint in einem Hotel oder Restaurant zu spielen, so makellos ist die Umgebung, bis hin zum Stift, der auf ungebleichtem Papier liegt. Produktions-Designerin Judy Becker beweist nach Brokeback Mountain einmal mehr ihr Gespür für die kleinen Dinge des Lebens.

    Man könnte vermuten, dass Douglas McGrath sich über die unglückliche Überschneidung von „Infamous“ und „Capote“ sehr geärgert hat. Doch im Interview gibt er sich sehr locker: „We had our money but no Truman. The ‘Capote’ team had their Truman but no money. Funnily enough, within a couple of months, we both found it. Because the other film had started first, Warner wanted to hold our picture so the two films didn’t step on each other.“ Auch wenn beide Filmteams gefunden haben, was sie suchen, wird der ein oder andere Zuschauer in „Infamous“ vergeblich nach der selben Intensität und Diskussions-anregenden Ambivalenz suchen, die an „Capote“ so sehr faszinierte. Mit guten Darstellern, witzigen Dialogen und schönem Setting ist „Infamous“ zwar ein sehenswerter Film. Doch das ständige Capote-Deja Vu degradiert seine Leichtigkeit zur Seichtigkeit.

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