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    Liegen lernen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Liegen lernen
    Von Carsten Baumgardt

    Frank Goosen stieg mit seinem Debüt-Roman „Liegen lernen“ zu einer Art deutschem Nick Hornby („About A Boy", „High Fidelity") auf. Seine federlecht geschriebenen Abenteuer eines jungen Mannes auf dem Irrweg zum Erwachsenwerden hat sich Regisseur- und Drehbuchautor Hendrik Handloegten in seinem Kinodebüt vorgenommen. Herauskommen ist eine unterhaltsame Coming-Of-Age-Komödie, der durch starke Schauspielleistungen, viel nostalgischen Charme und eine pointierte Inszenierung gefällt.

    „Ich möchte wirklich mal wissen, wie du so ein gefühlsgehemmter, bindungsunfähiger und feiger Penner geworden bist.“ Kein sehr feines Urteil, das Tina (Birgit Minichmayr) über ihren Freund Helmut (Fabian Busch) fällt. Das Dumme nur: Sie hat recht. Die Worte treffen den 32-Jährigen wie ein Faustschlag. Wie hat er sich zu einem Loser ohne Eigenschaften entwickelt? Wie konnte es dazu kommen? Helmut lässt sein bisheriges (Liebes)leben Revue passieren und hat schnell den Zeitpunkt ausgemacht, an dem sein steter Untergang begann. Kurz vor dem Abitur verliebte er sich auf der Stelle und unsterblich in die Neue an seiner Schule. Doch Britta (Susanne Bormann) war nicht nur Schulsprecherin, bildhübsch und intelligent, sondern auch durchtrieben. Das offenbarte sich Helmut allerdings erst sehr spät – zu spät. Britta, die ihn in der Schule ignoriert, gibt sich nur im Verborgenen mit Helmut ab. Aber nicht lange. Bald verlässt sie Deutschland und beendet die Schule in San Francisco bei ihrem leiblichen Vater. Helmut ist am Boden verstört – seine große Liebe ist einfach verschwunden. Daran hat er noch Jahre zu knabbern. An der Uni hat sich seine Einstellung grundlegend geändert. Er taumelt von einer zum Scheitern verurteilten Beziehung in die nächste. Die brave, patente Gisela (Fritzi Haberlandt) betrügt er irgendwann mit ihrer Mitbewohnerin Barbara (Sophie Rois) und auch die Liason mit der ordinären Sportreporterin Gloria (Anka Lea Sarstedt) versandet kläglich. Erst Tina kann den zum Schluffi mutierten Helmut wieder aus seiner Lethargie wecken. Allerdings hat er mit den Geistern seiner Vergangenheit noch nicht abgeschlossen...

    Hendrik Handloegten („Paul Is Dead“) begeisterte auf dem Münchner Filmfest das Publikum und wurde mit dem Drehbuchpreis bedacht. Keine schlechten Aussichten für die Kinoauswertung. Zumal sein Leinwanddebüt „Liegen lernen“ vom Stil her stark an Wolfgang Beckers Smash-Hit „Good Bye, Lenin!" (mittlerweile über 6,2 Mio Besucher) erinnert. Kein Wunder, schrieb doch Handloegten am Drehbuch zu „Good Bye, Lenin!" mit. Was früher bei deutschen Filmen oft ein Manko war, sitzt bei Handloegtens „Liegen lernen“ wie im Schlaf. Die Ausstattung und die Atmosphäre des Films, der sich von den frühen 80ern über die 90er bis in die Gegenwart vorarbeitet, wirkt nicht nur charmant, sondern auch authentisch und nicht gekünstelt. Das ist eine gute Grundlage für die Geschichte des ewig kindischen Helmut, der auf seiner langen Reise zum Erwachsenwerden eine Menge Hürden nehmen muss.

    Dass Handloegten, der sein besonderes Talent für einen stimmigen Erzählrhythmus erneut unter Beweis stellt, bei seinem Debüt so stilsicher zu Werke geht, ist aber nur die eine Seite. Unterstützt von einem superb zusammengestellten Soundtrack („CD-Kritik hier") lässt „Liegen lernen“ den Geist der 80er und 90er wieder aufleben. Mit allen Eigenheiten und Geschmacklosigkeiten – jedenfalls aus heutiger Sicht. Der Film wandelt aus der Vergangenheit chronologisch voran, verkommt aber nicht zu einer Nummernrevue, die eine Freundin nach der anderen abhakt. Der Übergang vollzieht sich fließend. Dadurch zeichnet sich eine immense Leichtigkeit ab, die den Film trägt und das Publikum auf seine Seite zieht. Und das, obwohl - oder gerade weil - Helmut im Grunde ein narzistischer Antiheld ist. Die Figuren haben zwar alle ihre Ecken und Kanten, ihre Eigenschaften, aber sie sind dennoch irgendwie normal. Jeder kennt solche Typen, wie sie in „Liegen lernen“ zu sehen sind. Das erleichtert die Identifikation.

    Hin und wieder driftet Handloegten in das eine oder andere Klischee ab, die 80er Jahre werden eher karikiert als ernsthaft wiedergegeben - aber das stört nicht weiter. Schließlich sorgt dieser Umstand für etliche Lacher. Trotzdem ist „Liegen lernen“ keine reine Komödie. Das Leben des Helmut hat auch seine traurigen Momente, so dass der Film nicht im ur-typischen deutschen Komödienbrei versinkt – er behält stets seine eigene Seele. Einen großen Trumpf hat Handloegten noch zu bieten: Bei der Auswahl seiner Schauspieler bewies er ein feines Gespür. Fabian Busch (großartig in „23“) begeistert in der Hauptrolle des zunächst harmlosen, im spießig-strengen Elternhaus aufgewachsenen Helmut, der im Laufe der Jahre nicht zu sich selbst findet und sein durchaus vorhandenes Talent nicht nutzt und sich gefühlsmäßig ins Nirwana manövriert. Susanne Bormann, mit der Busch bereits in dem TV-Film „Raus aus der Haut“ (1997) zu sehen war, besticht durch eine ausgewöhnliche Präsenz. In jeder Leinwandsekunde weiß man, warum sie für Helmut die absolute Traumfrau ist. Gut ausbalanciert meistert Bormann die vielschichtige Rolle zwischen Vorzeigeschülerin und unterkühlter Schlampe. Nicht weniger gut spielt Fritzi Haberlandt („Kalt ist der Abendhauch“, „Die Braut") als biedere, aber resolute Gisela und Sophie Rois („Duell - Enemy At The Gates", „Liebe deine Nächste"), die mit minimalem Aufwand ihre schlampige Freundin verkörpert. Florian Lukas ist wieder als großmäuliger Sidekick dabei und darf für einige Lacher sorgen. Vielleicht kommt das Ende ein bisschen zu abrupt und vielleicht hat „Liegen lernen“ nicht allzu viel Tiefgang zu bieten. Aber wen stört das schon? Alles in allem ist Hendrik Handloegten ein unterhaltsam-kurzweiliger Film gelungen, der exemplarisch für die neue deutsche Leichtigkeit steht. Und wenn die einheimische Filmindustrie weiterhin in derartiger Qualität produziert, braucht niemand mehr Angst um die Zukunft des deutschen Films zu haben...

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