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    Rendezvous nach Ladenschluss
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Rendezvous nach Ladenschluss
    Von Sascha Westphal

    Schon lange bevor er 1998 Nora Ephron als Vorlage für ihre ganz auf Meg Ryan und Tom Hanks zugeschnittene romantische Komödie E-Mail für dich diente, galt „Rendezvous nach Ladenschluss“, Ernst Lubitschs zu Recht allseits bewunderter Filmklassiker aus dem Jahr 1940, als einer der großen Vertreter dieses Genres. Schließlich hatte der aus Deutschland stammende Filmemacher es auch zuvor schon mit Filmen wie „Ärger im Paradies“ (1932), „Engel“ (1937), „Blaubarts achte Frau“ (1938) und Ninotschka entscheidend mit geprägt. Der einzigartige „Lubitsch Touch“ ist selbst heute noch geradezu sprichwörtlich. Nur versperrt sein legendärer Ruf – und das ist eine für jede Form von Geschichtsschreibung typische Ironie – mittlerweile den Blick auf seine einzelnen Arbeiten. Natürlich wartet seine Adaption von Miklós Lászlós Bühnenstück „Parfümerie“ mit einer wundervollen, zutiefst romantischen Liebesgeschichte auf. Doch letztlich ist sie nur der Aufhänger für seine bemerkenswerten Beobachtungen über den Arbeitsalltag einiger Verkäufer und Verkäuferinnen in einem kleinen Kaufhaus. Kaum ein anderer Regisseur hat je die kleinen Triumphe und die bitteren Niederlagen, die die Arbeitswelt nachhaltig prägen, so genau und so verständnisvoll eingefangen wie Ernst Lubitsch in dieser großen „menschlichen Komödie“.

    Klara Novak (Margaret Sullavan, „Brennendes Feuer der Leidenschaft“, „Tödlicher Sturm“) und Alfred Kralik (James Stewart, Die Nacht vor der Hochzeit, Ist das Leben nicht schön?, Vertigo) schreiben sich seit geraumer Zeit anonym Briefe. So können sie ihrem alles andere als glamourösen Alltag entfliehen. In ihren romantischen Episteln dreht sich alles um die schönen und erhabenen Dinge des Lebens. Unter dem Schutz der Anonymität träumen sie sich in eine Welt der hohen Literatur und der hohen Ideale. Doch nun wollen sie den nächsten Schritt wagen und sich in einem Budapester Café erstmals persönlich treffen. Was keiner von ihnen ahnt, ist, dass sie beide im selben Geschäft, dem Kaufhaus des Herrn Matuschek (Frank Morgan, Der Zauberer von Oz, „Die drei Musketiere“, 1948), arbeiten, zumal sie sich dort ständig nur in den Haaren liegen. Als Alfred dann auch noch ausgerechnet am Tag ihres ersten Rendezvous seinen Job verliert, scheint ihr gemeinsames Glück in unerreichbare Ferne zu rücken.

    Gelegentlich, wenn die Gespräche unter den Kollegen im Kaufhaus Matuschek einmal nur um private Dinge, die kleinen Hoffnungen und Träume kleiner Angestellter, kreisen, kommen Klara Novak und Alfred Kralik, der erste Verkäufer und dienstälteste Mitarbeiter Matuscheks, auch auf die Briefe zu sprechen, die sie einander unwissentlich schreiben. Aber letztlich ist diese Liebesgeschichte nur eine Nebensache. Wie sollte es auch anders sein, schließlich sind die Zeiten schlecht, und sie müssen wie auch alle anderen im Kaufhaus Beschäftigten erst einmal um ihr Auskommen kämpfen. Wer im Budapest der 30er Jahre seine Arbeit verliert, der kann ganz schnell auch alles andere verlieren. Und eben diese fortwährende Angst um die eigene Existenz ist das Leitmotiv dieser melancholischen Komödie. Lubitsch, der sonst eher auf dem glänzenden Parkett der Salonkomödie heimisch war, erweist sich bei seiner Exkursion in die Welt der kleinen Leute als überaus aufmerksamer und verständiger Chronist ihrer Sorgen und Nöte – und die haben sich im Endeffekt in den vergangenen knapp 70 Jahren kaum wesentlich verändert.

    Die für den „Lubitsch Touch“ eigentlich so kennzeichnende Ironie weicht in „Rendezvous nach Ladenschluss“ einer überraschend leisen, bittersüßen Komik. Herr Matuschek ist als Chef ohne Frage noch so etwas wie ein Glücksfall für seine Angestellten. Er hat auch seine Launen und Marotten. Wenn er seine Verkäufer etwa nach ihrer ehrlichen Meinung zu einem seiner Produkte fragt, will er in Wahrheit natürlich nur seine eigene Meinung bestätigt finden. Dennoch repräsentiert Frank Morgans Kaufhausbesitzer das Ideal eines Arbeitergebers, dem das Wohl seiner Belegschaft durchaus am Herzen liegt. Aber selbst in dem beinahe familiären Klima, das in dem Kaufhaus herrscht, gedeiht noch ein kleinliches Konkurrenzdenken zwischen den einzelnen Verkäuferinnen und Verkäufern. Jeder von ihnen nutzt jede Gelegenheit, die sich ihm bietet, um Punkte zu sammeln. Zugleich ist aber auch nahezu jeder von ihnen bereit, den anderen, wenn es wirklich darauf ankommt, zu helfen.

    Lubitsch bewertet weder den Egoismus noch die Opferbereitschaft der kleinen Angestellten. Sie sind einfach ein Teil der Arbeitswelt, die die Menschen immer wieder mit absurden Situationen konfrontiert und sowohl das Beste wie das Schlechteste in ihnen zum Vorschein bringt. Auch Klara Novak und Alfred Kralik führen ihren für die Screwball Comedies der 30er und 40er Jahre typischen verbalen Kleinkrieg. Nur holt Lubitsch diese ansonsten irrwitzig überspitzten Geplänkel Liebender, die noch nicht begriffen haben, was sie wirklich fühlen, auf den Boden der (Kaufhaus-)Realität herunter. All die Anfeindungen und Aggressionen, mit denen sich die beiden gegenseitig das Leben so schwer machen, resultieren aus den Gegebenheiten der Arbeitswelt, in der Alfred Klaras Vorgesetzter ist und sie sich um jeden Preis behaupten muss. Die perfekt getimten komödiantischen Verwechslungen, die sich aufgrund der anonymen Briefe ergeben, sind vor diesem Hintergrund weit mehr als nur eine Genrekonvention. Sie verweisen auf eine grundsätzliche Schizophrenie, die das Leben aller Angestellten prägt.

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