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    Ringo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Ringo
    Von Björn Becher

    „Stagecoach", der in Deutschland unter den Titeln „Ringo" sowie „Höllenfahrt nach Santa Fe" vermarktet wurde, ist gleich in zweierlei Hinsicht einer der bedeutendsten Western überhaupt. Nach einigen großen finanziellen Flops Anfang der 30er Jahre gab es kaum noch große Westernproduktionen, sondern nur noch sehr billig produzierte B-Filme, Western-Serien und Western-Musicals. Mit dem großen Erfolg von „Stagecoach" änderte sich dies wieder, so dass der Film den Weg frei machte für viele großartige Western, die in den nachfolgenden Jahren kommen sollten. Star vieler dieser Western ist John Wayne und hier sind wir bei der zweiten großen Bedeutung von „Stagecoach". Nachdem der junge Duke 1930 die Hauptrolle in dem Western „Der große Treck" innehatte, schien seine Karriere schon wieder vorbei, bevor sie begann. Der Film schnitt an der Kasse nur durchschnittlich ab und Wayne musste sich mit Rollen in kleinen B-Western über Wasser behalten, bevor er 1939 die Chance bekam, unter der Regie von Western-Regielegende John Ford (der in dieser für das Genre schweren Zeit über zehn Jahre keinen Western drehen konnte) die Hauptrolle in „Stagecoach" zu verkörpern. Danach begann seine Karriere erst richtig mit zahlreichen großen Rollen, oftmals unter der Regie von John Ford.

    Bevor der Zuschauer in einer imposanten Szene John Wayne aber das erste Mal zu Gesicht bekommt, nimmt sich Ford viel Zeit für eine Einleitung und eine genaue Vorstellung und Charakterisierung der weiteren Figuren, die sich die titelgebende Postkutsche teilen müssen. Das ist der schüchterne Whiskeyverkäufer Peacock (Donald Meek) und in seinem Anhang der Säufer Doc Boone (Thomas Mitchell), letzterer mehr oder weniger vertrieben aus der Stadt, in welcher die Kutsche startet. Das gleiche Schicksal teilt auch die hübsche Dallas (Claire Trevor), deren offenes Leben den feinen Damen der Stadt so gar nicht passte, so dass sie aus dem Ort gemobbt wurde. Die zweite weibliche Gast in der Kutsche ist Mrs. Mallory (Louis Platt), schwanger und auf dem Weg zu ihrem Mann, einem Kavallerieoffizier. Ihr zu verdanken haben die Reisenden auch die Gesellschaft des unsympathischen Glücksspielers Hatfield (John Carradine), der ein Auge auf die schwangere Dame geworfen hat. Der letzte Passagier ist der angesehene Chef der örtlichen Bank, Gatewood (Beron Churchill), der deutlich weniger angesehen wäre, wenn die anderen wüssten, warum er mitreist. Er flieht vor seiner herrischen Frau und hat dazu das gesamte Vermögen seiner Kunden veruntreut und nun in einer Tasche bei sich.

    Gelenkt wird die Kutsche von dem einem guten Essen nie abgeneigten, ängstlichen und gemütlichen Buck (Andy Devine), der aber auf dem Kutschbock dieses Mal ungewohnte Gesellschaft erhält. Sheriff Curly (George Bancroft) reist auch mit, hat er doch erfahren, dass der Bandit Ringo Kid (John Wayne), den er einst verhaftet hat und mit dessen Vater er gut befreundet war, aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, um den Mord an Vater und Bruder, verübt vom gefürchteten Pistolero Luke Plummer (Tom Tyler) und dessen Brüdern, zu rächen. Es ist nicht die einzige Gefahr, die den Reisenden unterwegs droht, weswegen sie weitere Begleitung erhalten. Ein Kavallerietrupp eskortiert sie, da der gefürchtete Apachenhäuptling Geronimo auf dem Kriegspfad genau in jener Gegend ist, welche die Kutsche durchfahren soll.

    John Ford nutzt vor allem die erste Hälfte des Films zu einem kritischen Blick auf die (Reise-)Gesellschaft. Schnell kristallisieren sich in der Gruppe drei Außenseiter heraus, die von den übrigen vier Reisenden geschnitten werden. Der Sträfling Ringo, der Säufer Boone, das „leichte Mädchen" Dallas. Die anderen verachten diese drei, halten sich für etwas Besseres. Doch gerade auf jener Seite steht mit dem Banker Gatewood ein wirklicher Verbrecher und mit Hatfield ein mehr als zweifelhafter Charakter. So ist es nur konsequent, dass in Fords Film die scheinbar schlechteren Menschen sich als die moralisch Überlegenen erweisen und das sowohl Ringo, Boone als auch Dallas mit ihrem beherzten Eingreifen in mehreren kritischen Situationen heldenhaft agieren.

    Obwohl der Film lange Zeit auf diesen kritischen Aspekt ausgerichtet ist, vergisst es Ford nie, die Spannung hochzuhalten. Die Bedrohung durch die Indianer ist die ganze Zeit gegenwärtig, kleinere Hinweise rufen dies der Reisegruppe und dem Zuschauer immer wieder ins Gedächtnis. Jeden Moment könnte die Kutsche überfallen werden, was in der zweiten Filmhälfte natürlich dann auch passiert. Hier zeigt sich noch einmal, welch ein großer Regisseur John Ford ist. Der Kampf der Kutscheninsassen mit den Indianern bei voller Fahrt gehört zu den beeindruckendsten Actionszenen der Filmgeschichte. Mehrere atemberaubende Stunts schaffen es auch heute noch den Zuschauer zu begeistern. Vor allem Stuntmen Yakima Canutt, dauerhaftes Double von John Wayne und für die Stunts in dessen Filmen zuständig, leistet hier hervorragende Arbeit bei mehreren lebensgefährlichen Manövern zwischen den Pferden der Kutsche.

    Fords inszenatorisches Können spiegelt sich aber nicht nur in den Actionszenen wieder. Wie kaum ein anderer Film von ihm, ist dieser hier bis aufs letzte genau durchkomponiert. Die Kamera ist sehr charakterfokussiert und betont die einzelnen Figuren. Zudem spielt sie unglaublich stark mit Licht und Schatten. Im Gegensatz zu den Kollegen, die ihre B-Western in laufend wieder verwendeten Studiobauten drehten, ging Ford nach draußen in die Natur, was „Stagecoach" zu einem der realistisch wirkendsten Western überhaupt macht. Die Kutsche ist nicht in bestem Zustand. Staub, Dreck und Wind zerpflügen Haar und Kleidung der Insassen. So ähnlich dürfte im Westen eine Postkutschenfahrt ausgesehen haben.

    Ford vergisst es zudem nie, den Film mit einer kleinen Prise Humor zu würzen. Immer wieder werden kleinere Szenen zum Schmunzeln eingestreut. Gemeinsam mit hervorragenden Charakterisierung aller wichtigen Protagonisten, der hintergründigen Story, den hervorragenden Darsteller, der großen Spannung und dem actionreichen Finale mit zwei Showdowns ist dies der Grund, warum „Stagecoach" auch nach fast 70 Jahren noch einer der besten Western ist, die je gedreht wurden.

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