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    Der bunte Schleier
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der bunte Schleier
    Von Daniela Leistikow

    In Deutschland wird jede dritte Ehe geschieden – Tendenz steigend. Wenn eine Sache so alltäglich ist, liegt es den meisten Leuten fern, sich für eine Scheidung zu schämen. Lang vorbei sind die Zeiten, in denen nach dem Schuldprinzip geschieden wurde, und man den Partner mit Drohungen aller Art bei der Stange halten konnte. John Currans romantisches Drama „The Painted Veil“ mit Edward Norton und Naomi Watts als unglücklich Verheiratete spielt in den goldenen Zeiten niedriger Scheidungsraten.

    Shanghai, in den 20er Jahren. Die junge Engländerin Kitty (Naomi Watts) ist frisch verheiratet, doch alles andere als im siebten Himmel: Ihr Gatte Dr. Walter Fane (Edward Norton), ein intelligenter Bakteriologe von der schüchtern-spröden Sorte, liebt Kitty von ganzem Herzen. Doch für die frivole Frau aus der Oberschicht ist die Verbindung allenfalls eine Vernunftehe. Als Walter herausfindet, dass Kitty ihn mit dem charmanten Diplomat Charlie Townsend (Liev Schreiber) betrügt, greift er zu drastischen Maßnahmen. Entweder sie kommt mit ihm in die Provinz Mei-tan-fu, wo die Cholera wütet oder Walter wird sich in einer öffentlichen Schlammschlacht von ihr scheiden lassen und ihre Ehre für immer zerstören. Walters Racheakt bringt das Leben der unglücklich Liierten in große Gefahr – werden sie ein Heilmittel für die überkochenden Emotionen und die sich ausbreitende Epidemie finden, bevor es zu spät ist?

    Es ist ein reiner Genuss, wie in „The Painted Veil“ chinesische Landschaften von epischer Schönheit per Kameralinse auf der großen Leinwand verewigt wurden. Neben der visuellen Opulenz kann die Verfilmung des gleichnamigen Romans von W. Somerset Maughan mit großartigen Schauspielern punkten: Edward Norton brilliert als zwischen Hass und Liebe gespaltener Ehemann und findet in Naomi Watts (21 Gramm, Stay, Tödliche Versprechen, King Kong) den perfekten Gegenpart. Die Anfangssequenz, in der Kitty und Walter auf gepackten Koffern bei strömendem Regen irgendwo in der chinesischen Provinz sitzen, zieht den Zuschauer sofort Mitten ins Geschehen: Wie ist das Paar in der Einöde gelandet? Warum behandeln sie einander mit eiskalter Abscheu? Kurz: Wie konnte diese albtraumhafte Situation für Peiniger und Gepeinigte zustande kommen?

    Die Erwartungshaltung des Zuschauers wird nicht enttäuscht. In einer ausgedehnten Rückblende erfahren wir, wie Walter Kitty das erste Mal sieht: Zurechtgemacht und in ihrer ganzen Pracht schreitet sie zu einem schwülstig-schönen Klavierstück eine Treppe hinunter. Dass es danach sofort um den zurückhaltenden Wissenschaftler geschehen sein soll, ist etwas unglaubwürdig, aber für einen Film dieses Genres nicht ungewöhnlich. Der Rest der Rückblende weist ebenso kleinere Mängel auf: In einer filmischen Hau-Ruck-Aktion wird versucht, den ganzen ersten Teil des Romans in wenigen Minuten zu erzählen. Walters Heiratsantrag scheint nur Tage nach dem ersten Treffen stattzufinden und Kittys Ja-Wort folgt auf eine glühende Bekundung, generell nicht an einer Ehe interessiert zu sein. Warum willigt Kitty ein, Walter zu heiraten? Warum möchte er sie so dringend noch vor seiner Abreise nach China zu seiner Frau machen? Solche und ähnliche Fragen bleiben vorerst ungeklärt und diese Ungereimtheiten stören den Erzählfluss enorm.

    Nach der Ankunft in Shanghai wird das Erzähltempo auf eine Zuschauer-freundlichere Geschwindigkeit gedrosselt: Rückblenden und Gegenwarts-Sequenzen in der chinesischen Provinz wechseln sich ab. So wird der Raum geschaffen, sowohl die Gefühlsregungen der Figuren, als auch ihre Beweggründe besser zu verstehen. Man kann nachvollziehen, warum Walter Kitty verachtet und warum sie sich seinen sadistischen Spielchen nicht entziehen kann. Die Figuren wirken durch diese Art der Darstellung vielschichtig, und dass nicht zuletzt aufgrund der sehr guten Leistung der beiden Hauptdarsteller: Keiner der beiden Charaktere wirkt wie ein Bösewicht oder Unschuldsengel. Das Schwarz und Weiß solcher Geschichten von Liebe und Betrug wird vermieden und zu einem wohltuend realitätsnahen Grauton vermischt.

    Walter: „I knew when I married you that you were selfish and spoiled. But I loved you. I knew you only married me to get as far away from your mother as possible. And I hoped that one day... there'd be something more. I was wrong. You don't have it in you.”

    Kitty: „If a man hasn't what's necessary to make a woman love him then it's HIS fault not hers. (...) Everything you said is true. Everything. I married you even though I didn't love you. But you knew that. Aren't you as much to blame for what's happened as I?”

    Naomi Watts bringt die graduelle Entwicklung vom verwöhnten Gör zum Gutmensch gekonnt rüber und auch die Verzweiflung ihrer Figur ist gut nachvollziehbar. Wer sich allgemein an festgefahrenen Geschlechterrollen stört, dem könnte der Kitty zugedachte Aufgabenbereich negativ auffallen: Im Waisenhaus Kinder unterrichten, sie unterhalten und mit der örtlichen Ordensschwester über Glaube und Liebe reden, vermittelt nicht gerade das Bild einer für ihre Zeit selbstständigen Frau, wie etwa in „Jenseits von Afrika“. Und dass Kitty nicht unbedingt ein Ausbund an Intelligenz ist, wie ihr Mann sie bei jeder Gelegenheit wissen lässt, festigt dieses Bild. Andererseits sind Romanzen wie „The Painted Veil“ nicht wegen ihres progressiven Frauenbildes so beliebt. Doch was die Qualität solcher Filme betrifft, trennt sich an eben dieser Stellen gerade im Vergleich zu Genre-Klassikern wie „Jenseits von Afrika“ die Spreu vom Weizen.

    Die Nebenrollen in „The Painted Veil“ sind mit Toby Jones (Infamous, Wenn Träume fliegen lernen) und Liev Schreiber (Scream-Trilogie) gut besetzt. Für Letzteren war der Part in „The Painted Veil“ vielleicht eine Art Aufwärmübung in Sachen Romanverfilmung, denn Watts-Ehemann Schreiber ist demnächst in „Love In The Time Of Cholera“ zu sehen. Nicht nur die Landschaftsaufnahmen in „The Painted Veil“ sind hervorragend eingefangen, die Cinematographie ist allgemein sehr gut: Elegant heben sich die weißen Kostüme der Figuren gegen das Halbdunkel der Räume ab. Close-ups auf die Gesichter der Charaktere, oder auch nur deren Augen oder Lippen, betonen die Emotionalität der gefilmten Szenen. Die Musik von Alexandre Desplat verstärkt die filmische Komposition dieser gefühlsbetonten Sequenzen noch weiter und wurde nicht zu unrecht mit einem Golden Globe ausgezeichnet. Fans des Buches von W. Somerset Maughan oder der ersten Adaption des Stoffes mit Greta Garbo aus dem Jahr 1934 seien gewarnt: Vieles in der neuesten Version von „The Painted Veil“ ist anders, als im Buch oder in der ersten Verfilmung. Ob diese Änderung zum Besseren oder Schlechteren gemacht wurden, bleibt allerdings strittig.

    Fazit: „The Painted Veil“ ist gefühlvolles Kino mit wundervollen Bildern und sehr guten Hauptdarstellern. Kleinere Schwächen im Plot und das teilweise eigenartiges Verhalten der Charaktere lassen einen Film, der großartig hätte sein können etwas abrutschen, weil er die volle Aufmerksamkeit der Zuschauer nicht an jedem Punkt der Story halten kann. Doch wem bei Wie ein einziger Tag die ein oder andere Träne über die Wange kullerte, der sollte den sehenswerten „The Painted Veil“ auch in den zynischen Zeiten hoher Scheidungsraten nicht verpassen.

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