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    Chasing Amy
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Chasing Amy
    Von Jürgen Armbruster

    „Was quasselst Du da für einen Scheiß? Lando Calrissian war auch ein Schwarzer, okay. Der durfte mit dem Millenium Falken fliegen, schon vergessen? Lando Calrissian ist ein positiver Charakter im Bereich der Science-Fiction und Fantasy.“ - „Vergiss Lando Calrissian, diesen Onkel-Tom-Nigger. Immer muss irgendein Weißer den Star-Wars-Mythos bemühen. Aber merk Dir eins: In diesem Film geht es darum, dass der weiße Mann die schwarzen Brüder unterdrückt. Sogar in einer unendlich weit entfernten Galaxie…“ 1

    Mit „Chasing Amy“, nach „Clerks“ (genial) und „Mallrats“ (belanglos) der dritte Teil seiner Jersey-Trilogie, überraschte Regisseur und Autor Kevin Smith seine Fans und Kritiker gleichermaßen. Wie schon seine Vorgänger steckt „Chasing Amy“ voller zitierwürdiger Dialoge über den Sinn und Unsinn der Pop-Kultur der Gegenwart und Vergangenheit – die ungewöhnliche emotionale Tiefe war jedoch so nicht zu erwarten. Mit dieser kleinen, verspielten Fingerübung schuf Smith eine der romantischsten Komödien der 90er Jahre… oder abhängig vom Blickwinkel eben eine der lustigsten Romanzen. In eine Schublade lässt sich „Chasing Amy“ nicht stecken. Und das ist auch gut so.

    Die beiden Comic-Zeichner Holden McNeil (Ben Affleck) und Banky Edwards (Jason Lee) sind seit Kindesalter nahezu unzertrennliche Freunde und bewohnen eine gemeinsame Wohnung irgendwo in Jersey. Ihr neuester Comic „Bluntman & Chronic“ ist ein voller Erfolg, es gibt sogar Interesse an einer Adaption als Zeichentrick-Serie. Künstlerisch und finanziell läuft es also bestens, doch als die „ausgeflippte Hormonstörung“ Alyssa Jones (Joey Lauren Adams) in ihr Leben tritt, beginnt das Chaos. Holden verliebt sich Hals über Kopf in die attraktive Blondine. Dumm nur, dass diese sich schnell als Lesbe entpuppt. Die Büchse der Pandora ist allerdings schon geöffnet. Holden hat seine Gefühle nicht mehr im Griff und gesteht Alyssa seine Liebe. Und auch in Banky beginnt es allmählich zu brodeln…

    Zugegeben: Wer nur den Inhalt liest, könnte zunächst auch an eine billige Softpornoproduktion denken. Sonderlich gehaltvoll hört sich dies alles nicht wirklich an. Aber die reine Inhaltsangabe wird dem Film auch nicht gerecht. „Chasing Amy“ ist ein Potpourri an erfrischenden Figuren, kurzweiliger Einfälle und genialer Dialoge. Die eigentliche Geschichte ist nur Mittel zum Zweck. Viel interessanter ist ohnehin, was sich abseits von dieser abspielt. Beispielsweise Hooper X (Dwight Ewell). Dieser herrliche Charakter ist für die Geschichte eigentlich von kaum einer Bedeutung, steht jedoch exemplarisch für die Qualität von „Chasing Amy“. Der stockschwule Comic-Zeichner hat sich in der Öffentlichkeit das Image des Befreiers der schwarzen Bevölkerung angeeignet. Kevin Smith, der in einem Vorort von Jersey aufgewachsen ist und in einem Interview einmal flapsig anmerkte, dass er bis zu seinen 23. Lebensjahr keinen Afroamerikaner gesehen habe, projiziert in diesem Charakter die gesamte Idiotie zweier in Amerika nach wie vor brandaktueller Themen: die Rassenfrage und Homosexualität. Verkappte Gesellschaftskritik in einer romantischen Komödie. So etwas gibt es tatsächlich…

    Den Ruf als brillanter Autor hatte Smith bereits, „Chasing Amy“ war jedoch sein endgültiger Durchbruch als einer der talentiertesten und interessantesten jungen Regisseure der Gegenwart. Als er das Drehbuch entwickelte, hatte er seine damalige Lebensgefährtin Joey Lauren Adams sowie seine Freunde Ben Affleck und Jason Lee (mit beiden hatte Smith schon bei „Mallrats“ zusammen gearbeitet) bereits fest für die Hauptrollen eingeplant. Als er das fertige Drehbuch dann Miramax (damals noch in Person der Weinstein-Brüder) präsentierte, wollten diese jedoch namhaftere Darsteller, die sich besser vermarkten lassen. Smith war von der Idee alles andere als begeistert und schlug einen Kompromiss vor: Er würde den Film selbst produzieren und wenn Miramax vom fertigen Ergebnis überzeugt sein würde, könnten sie die Vertriebsrechte kaufen. Der Vorschlag stieß natürlich auf Gegenliebe. Allerdings musste das Budget (ursprünglich drei Millionen Dollar) noch einmal radikal gekürzt werden. Angeblich kostete der fertige Film nicht mehr als 250.000 Dollar.

    Viel verdienen ließ sich mit „Chasing Amy“ für die Darsteller also nicht. Dafür war umso mehr Herzblut gefordert. Und insbesondere Joey Lauren Adams („Big Daddy“, Trennung mit Hindernissen) ist dabei eine echte Offenbarung. Die schwierige Balance zwischen komödiantischen und emotionalen Elementen meistert sie problemlos. Und obendrein war sie damals noch beinahe unverschämt attraktiv. „Chasing Amy“ ist ohne Zweifel das einsame Highlight ihrer Karriere. Auch nur annähernd so gut, war sie in der Folgezeit nie mehr zu sehen. Der Charakter von Ben Affleck (Armageddon, Pearl Harbor) macht im Verlauf der Handlung die größte Wandlung durch. Zwar kann sich Affleck nicht gleichermaßen in den Vordergrund spielen, wie seine weibliche Kollegin, doch ein glaubhafter Auftritt gelingt ihm allemal. Und Jason Lee (Vanilla Sky, Almost Famous) ist als Banky quasi der Inbegriff des Sidekicks. Zwar keine wirklich anspruchsvolle Rolle, aber doch hochgradig amüsant.

    „Es gibt eben keinen Markt für Romantik in dieser kalten Welt voller Muskelpakete, Mega-Titten und Super-Waffen…“ 2 Was als Dialog im Film eigentlich in Bezug auf Comics zu verstehen war, darf durchaus als Allegorie auf das Medium Film an sich verstanden werden. Kevin Smith verarbeitete in „Chasing Amy“ erstmals sein Bedürfnis nach mehr Romantik in der Filmwelt, ohne dabei seine Wurzeln aus den Augen zu verlieren. Ein Motiv, das er später mit Jersey Girl noch weiter entwickelte. Die hochgradig emotionale Schluss-Sequenz gehört auch ohne große Dialoge zu den besten Filmmomenten des Genres. Selbst beim wiederholten Sehen ist „Chasing Amy“ noch gleichermaßen amüsant, romantisch und intelligent. Eigentlich ein Film, der alles richtig macht.

    1 Dialog zwischen Holden McNeil (Ben Affleck) und Hooper X (Dwight Ewell) bei einer Podiumsdiskussion zur Rolle der farbigen Bevölkerung in der Pop-Kultur

    2 Alyssa Jones (Joey Lauren Adams) zu Holden McNeil (Ben Affleck)

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