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    Twin Peaks - Der Film
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Twin Peaks - Der Film
    Von Sophie Melissa Wokoun

    Bei seiner Veröffentlichung im Jahre 1992 stieß David Lynchs Ableger der Kult-TV-Serie „Twin Peaks“ nicht auf sehr viel Gegenliebe, weder von der Kritik noch von Seiten der Serienfans. Dabei ist das abgedrehte Mystery-Drama „Twin Peaks - Der Film" (so der schreckliche deutsche Titel, der hiermit boykottiert bleibt) nicht minder anspruchsvoll als die restlichen Lynch-Filme, und lässt genauso das unheimliche, mystische Wesen seines Werks nicht vermissen.

    „Meet Laura Palmer... In a town where nothing is as it seems... And everyone has something to hide."

    (Tagline des Films)

    „Twin Peaks - Fire Walk With Me“ beginnt mit dem Tod der schönen Prostituierten Teresa Banks (Pamela Gidley), die am Ufer eines Flusses um die Stadt Twin Peaks gefunden wird. Mit der Auflösung des Falls werden die beiden FBI-Agenten Special Agent Chester Desmond (Chris Isaak) und Sam Stanley (Kiefer Sutherland) vertraut, die in dem kleinen Örtchen allerlei seltsame Gestalten, die den beiden mal mehr, mal weniger freundlich gesinnt sind, begegnen. Bei den Ermittlungen treffen sie auf Carl Rodd (Harry Dean Stanton), den Besitzer eines Trailer-Parks in der Gegend, der sie zum Wohnwagen von Teresa Banks führt. Bei der Untersuchung des Wagens findet Chester einen Ring, der auf einem kleinen Erdhügel liegt. Schnitt.

    Ein Jahr später. Laura Palmer (Sheryl Lee) ist auf den ersten Blick eine ganz normale Teenagerin, die zur High School geht, sich regelmäßig mit ihrem - wie wir später erfahren - kriminellen Freund Bobby (Dana Ashbrook) trifft und deren beste Freundin ein Mädchen namens Donna (Moira Kelly) ist. Doch die Heile-Welt-Fassade beginnt langsam zu bröckeln: Unter der schönen Oberfläche schlummert ein schreckliches Schicksal. Jede Nacht wird Laura von einem Mann mit langem Bart und grauen Haaren heimgesucht, der sie vergewaltigt und von dem sie nur seinen Namen weiß: Bob (Frank Silva). Laura nimmt Kokain und um ihre Sucht zu bezahlen, verkauft sie ihren Körper an Männer, die nicht einmal ihren Namen wissen. Ihr Heil sucht sie bei einem Jungen in ihrem Alter, James (James Marshall), der unsterblich in sie verliebt ist. Doch bald ist Laura nicht einmal mehr in ihren eigenen vier Wänden sicher und wird von ihrem psychopathischen Vater Leland Palmer (Ray Wise) terrorisiert. Die Situation scheint zu eskalieren, als sie nach einem Traum, in dem sie einem Zwerg und einem Mann im schwarzen Anzug begegnet, der sich vorher schon als Special Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) herausgestellt hat, einen Ring in der Hand hält. Genau denselben Ring, den Agent Desmond ein Jahr zuvor unter Teresas Trailer fand...

    David Keith Lynch, geboren am 20. Januar 1946 in Missoula, USA, gilt heute als einer der wichtigsten amerikanischen Regisseure. Seine Karriere begann der einstige Maler mit dem Spielfilm Eraserhead (1977), der als „Midnight Movie“-Kultstatus erlangte und seinen Regisseur über Nacht bekannt machte. Sein siebenter Spielfilm „Twin Peaks - Fire Walk With Me" gilt als sein meistunterschätztes Werk. Bei seiner Veröffentlichung im Jahre 1992 handelte sich der Film Buh-Rufe der Zuschauer ein, die einen ganz anderen Film erwartet hatten als das Endprodukt, das wir heute kennen. „Twin Peaks - Fire Walk With Me“ spielt mit den Sehgewohnheiten des Publikums und orientiert sich mehr an Lynchs Regiedebüt als seinen späteren Werken. So setzt der Filmemacher Lynch, der als Gordon Cole auch in einer kleinen Rolle aufritt, auf eine ungewöhnliche Optik und drastische Inhalte, die den Zuschauer verstören und ihn zum Nachdenken anregen wollen. Die grandiosen, verstörenden Bildkompositionen von Kameramann Ronald Victor Garcia verbinden sich perfekt mit Angelo Badalamentis hypnotischem Score zu einer atemberaubenden Bilderflut. Jede neue Sichtung dieses Films eröffnet eine andere Sichtweise, jedes Detail ist wichtig. Mag sich der Filmfreund beim ersten Sehen noch den Kopf über den roten Raum zerbrechen, in dem sämtliche Naturgesetze keine Rolle zu spielen scheinen, erkennt er dessen Bedeutung vielleicht bei einem weiteren Mal. Generell ist Lynchs Ableger der erfolgreichen TV-Serie interpretierfreudig und steht seinen anderen Werken in diesem Falle in nichts nach. Nein, im Gegenteil: In seiner Komplexität erreicht er sogar das Erstlingswerk des Regisseurs.

    Ein weiterer Glanzpunkt des Films sind die vielen Charaktere, von denen leider nicht jeder die nötige Aufmerksamkeit bekommt. Da wäre z.B. Leland Palmer, großartig gespielt von Ray Wise, Lauras treusorgender Vater, der mit der Zeit zu einem anderen Menschen geworden ist. Er scheint von Bob, einem unheimlichen Wesen aus dem Wald, besessen zu sein; Bob will immer tiefer in Laura eindringen und sie nicht nur physisch, sondern auch psychisch dominieren. Leland leidet an Amnesie, weiß nicht einmal, wo er war und was er die Woche über getrieben hat. Die interessantesten Szenen entstehen so, wenn Leland gegen sein anderes Ich ankämpfen will, aber zu machtlos ist, um sich dagegen zu wehren. Seine Tochter wird geplagt von Alpträumen und weiß sich nicht zu helfen. So gerät sie an allerlei zwielichtige Gestalten wie den Drogendealer Jacques Renault (Walter Olkewicz), der eine kleine Bar im Ort betreibt und offensichtlich als Zuhälter fungiert. Psychisch schwer angeschlagen ist auch Lauras kettenrauchende Mutter Sarah, die zu unfähig ist, ihrem Kind zu helfen, und deren Mann sie stark dominiert. Lynch kritisiert ähnlich wie in seinem Meisterwerk Blue Velvet (1986) die Oberflächlichkeit der Kleinstadtwelt anhand der familiären Missstände, von denen jedes einzelne Mitglied betroffen ist.

    So ist David Lynchs Prequel zur TV-Serie der Film, der, thematisch mit blauem Samt durchwirkt, am ehesten an sein Regiedebüt aus den 70ern anschließt. So ähnelt z.B. der rote Raum sehr der Traumwelt aus Henry Spencers, in der er einer engelhaften Gestalt begegnet, die mit heller Stimme ein Lied namens „In heaven everything is fine“ säuselt. Auch Laura Palmer wird am Ende des Films einen Engel treffen, einen, der sie in eine bessere Welt ohne Qual und Leid mitnehmen wird, ähnlich dem Ende von „Eraserhead“.

    Von Anfang an stand kein guter Stern über dem Kino-Ableger der erfolgreichen und wohl besten TV-Serie der 90er. Erst musste Lara Flynn Boyle, einstige Donna-Darstellerin und durch die Serie zu Starruhm gekommene Schauspielerin, aussteigen, weil sie vertraglich noch an vier andere Filme gebunden war. Und dann stand lange Zeit nicht fest, ob Kyle MacLachlan, der schon in zwei anderen Lynch-Filmen („Dune“, „Blue Velvet“) mitgespielt hatte, mitmachen würde. Die Dreharbeiten begannen erst mal ohne ihn, bis er dann irgendwann in die Produktion einstieg. Aber wie David Lynch später mit seinem glanzvollen, aber verstörenden Spielfilm Mulholland Drive (2001), der eigentlich eine Fernsehserie werden sollte, beweist, ist er in der Lage, aus einer Situation immer das Beste zu machen. Sein Mut wurde in Cannes mit einer Nominierung für die Goldene Palme belohnt...

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