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    The Hamiltons
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Hamiltons
    Von Christoph Petersen

    Im Horrorgenre war ein strahlender weißer Gartenzaun schon häufig ein ebenso wirksames Gruselmittel wie eine rostige Kettensäge oder ein scharfes Hackebeil – oft liegt der wahre Horror nicht auf modrigen Friedhöfen oder in heruntergekommenen Gemäuern, sondern hinter der glänzenden Fassade der amerikanischen Musterhäuser verborgen. Doch in den vergangenen Jahren hat sich auch noch ein anderes Genre immer häufiger mit Horrorfamilien beschäftigt – das amerikanische Independent-Kino. Mit Filmen wie Krass, Thumbsucker, Glück in kleinen Dosen oder Der Tintenfisch und der Wal wurde die dysfunktionale Familie zum Lieblingsthema Nr. 1 der Independent-Szene. In dem Horror-Thriller „The Hamiltons“ von den Butcher Brothers werden nun diese beiden Ansätze, sich einer um die Wahrung des Scheins bemühten Familie zu nähern, geschickt miteinander kombiniert. So ist „The Hamiltons“ irgendwo zwischen Serienkiller-Flick und Independent-Drama, zwischen American Beauty und American Psycho anzusiedeln. Und diese ungewöhnliche Mischung macht „The Hamiltons“ auch klar zum stärksten der vier Vertreter (siehe auch: Unrest, The Abandoned, The Gravedancers), die es in diesem Jahre von Lionsgates AfterDark Horrorfest ins Programm des FantasyFilmFest geschafft haben.

    Seit dem Tod ihrer Eltern, in dessen Folge sie die Familienfarm verkaufen und häufig umziehen mussten, schlagen sich die Geschwister Hamilton alleine durch. David (Samuel Child), der älteste von ihnen, kommt mit der nun auf ihm lastenden Verantwortung nicht immer klar, hinter seiner ruhigen, angestrengt kontrollierten Art scheint eine Menge unterdrückte Wut zu stecken, die sich immer wieder in kurzen Ausrastern manifestiert. Wendell (Joseph McKelheer) und Gothik-Braut Darlene (Mackenzie Firgens, Rent) sind nicht nur Zwillinge, sie sind auch total durchgeknallt – beim „Wahrheit oder Pflicht“-Spielen stecken sich die beiden auch gerne mal gegenseitig die Zunge in den Mund. Francis (Cory Knauf) ist der jüngste und hat am meisten unter seinen merkwürdigen Geschwistern zu leiden. Er ist verstört, schüchtern und läuft die ganze Zeit mit einer Videokamera herum, die er angeblich für ein Schulprojekt benötigt. Alles in allem scheint es sich also bei den Hamiltons um eine ganz normale dysfunktionale amerikanische Familie zu handeln, wären da bloß nicht die zwei entführten Frauen, die wie Vieh im Keller gehalten werden...

    Zu Beginn wirkt es beinahe so, als würden hier zwei Filme nebeneinander herlaufen. Oben im Haus, wo die Geschwister über Alltäglichkeiten streiten und Francis mit seiner Videokamera das Bild einer verstörten Familie aufzeichnet, läuft „American Beauty 2“, während im Keller Saw 4 oder „Hostel 3“ vonstatten geht (allerdings ohne (!) expliziten Gore, hier begnügt man sich mit dem Herumgeschmiere von Blut). Dass die Figuren dabei immer wieder von einem Film in den anderen taumeln, scheint rein zufällig zu sein. Auf diese Art verweigert sich „The Hamiltons“ lange Zeit jeglichen Genregewohnheiten, spielt nach komplett eigenen Regel und punktet so durch eine erfrischende Andersartigkeit. Erst mit dem überraschenden Schlusstwist, der die beiden Ebenen doch noch stimmig zueinander führt, offenbart der Film schließlich sein wahres Gesicht und Genre – und, man kann es sich beinahe denken, es ist noch einmal ein komplett anderes.

    Man sollte sich „The Hamiltons“ jedoch nicht nur deshalb ansehen, weil er einfach anders ist und eine interessante Herangehensweise vorzuweisen hat, sondern auch, weil er nebenbei genauso die typischerweise von einem Horror-Thriller erwarteten Qualitäten erfüllt. Die Beschreibung des Familienlebens, welches immer mehr in eine Art kollektiven Wahnsinn auszuarten scheint, ist ausgesprochen atmosphärisch geraten, auch wenn man zunächst Schwierigkeiten damit hat, viele Vorkommnisse richtig einzuordnen, kommt das merkwürdige Treiben trotzdem überraschend spannend daher. Die reinen Horrorszenen fallen zwar nicht annähernd so hart aus, wie uns das Saw-artige Poster Glauben machen will, aber dafür wirken sie stets wie ein Schlag in die Magengrube, weil sie nicht großartig vorher angekündigt werden, sondern urplötzlich aus dem Alltäglichen entstehen. Vor allem die erste kurze Gewaltszene, in der Wendell die beiden Frauen entführt, verfehlt ihre verstörende Wirkung nicht. Nennenswerte Schwachpunkte finden sich so nur bei den Schauspielern, die manch eine Eigenheit ihres Charakters etwas übertrieben in den Mittelpunkt stellen, und den Produktionsbedingungen: Zwar ist der Film solide inszeniert, aber die verwendete DV-Kamera wäscht leider einen Teil der Farben aus den Bildern.

    Fazit: Zwar ist „The Hamiltons“ nicht annähernd so explizit wie seine entfernte Mainstream-Verwandschaft Saw 2, Saw 3 oder Hostel 2, dafür entpuppt er sich allerdings auch nicht als reiner Gewaltporno, sondern stattdessen als subtiler Low-Budget-Schocker, der spannend, atmosphärisch und überraschend intelligent daherkommt.

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