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    Ein Fremder ohne Namen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ein Fremder ohne Namen
    Von Björn Becher

    Mordecai: What did you say your name was again? - The Stranger: I didn't.

    Die Dollar-Trilogie (Für eine Handvoll Dollar, Für ein paar Dollar mehr, Zwei glorreiche Halunken) von Sergio Leone machte Clint Eastwood zum Star, mit seiner zweiten Regiearbeit „Ein Fremder ohne Namen“ („High Plains Drifter“) macht Eastwood seine filmische Verbeugung vor dem Meister und legt einen starken Western vor, auch wenn dieser noch nicht ganz die Klasse von späteren Arbeiten wie Der Texaner oder Erbarmungslos erreicht.

    Eastwood spielt wie in den Leone-Filmen einen fremden, namenlosen Reiter, den es in die kleine Stadt Lago verschlägt, wo ihn die Bewohner, fast allesamt Feiglinge, zuerst misstrauisch beäugen. Doch als der Fremde örtliche Halunken erschießt und dabei einen schnellen Umgang mit der Waffe zeigt, wollen die Bewohner ihn unbedingt zum Bleiben bewegen. In Kürze wird eine Gruppe Banditen in der Stadt erwartet, frisch aus dem Gefängnis entlassen und auf Rache ob des einjährigen Gefängnisaufenthaltes sinnend. Der Fremde soll die Stadt schützen. Er lässt sich dazu unter der Bedingung überreden, dass man ihm jeden Wunsch erfülle. Zuerst ernennt er den kleinwüchsigen Mordecai (Billy Curtis) zum Sheriff und Bürgermeister der Stadt, dann gibt er mit zynischen Kommentaren immer weitere Befehle, so lässt er zum Beispiel die Bürger ihre Häuser rot streichen. Alles angeblich, um sich vor den Revolverhelden zu schützen. Doch was keiner in der Stadt weiß, der Fremde hat ein Motiv für sein Bleiben in der Stadt, das weit über den monetären Verdienst hinaus geht: Die anrückenden Revolverhelden haben den ehemaligen Marshall der Stadt bestialisch ermordet, die Bewohner haben nicht nur tatenlos zugesehen, sondern der Mord geschah sogar auf ihren Wunsch...

    Eastwoods zweite Regiearbeit zeichnet sich durch eine unglaubliche formale Perfektion aus. Die Kameraeinstellungen, der Score, dazu die passenden zynischen Kommentare des Fremden... einfach perfekt. Dabei stört es gar nicht, dass Eastwood eigentlich nur das Grundthema der Filme der Dollar-Trilogie aufgreift und nur leicht abwandelt. Gerade diese Variation ist es aber, die den Film zu etwas Besonderem macht.

    Der Fremde verändert mit seinen aberwitzigen Einfällen den Ort immer mehr. Lässt nicht nur die Häuser rot anstreichen, sondern eine Scheune abreißen, sprengt einen Teil des Hotels in die Luft und vieles mehr. Er verwandelt den Ort langsam in die Hölle, was er selbst dadurch nach außen zeigt, dass er irgendwann den Namen des Ortes auf dem Ortschild durch „Hell“ ersetzt. Spätestens hier erkennt man, dass sich der Fremde nicht als Beschützer des Ortes sieht, wie es sich die Bewohner erhoffen, sondern ein apokalyptischer Rächer ist, der diesen Sündenpfuhl zerstören will. Nichts anderes ist der auf den ersten Blick so schöne kleinbürgerliche Ort nämlich. Die Bürger sind korrumpiert, die Minengesellschaft bestimmt über das Städtchen und die reichen Bürger schreckten sogar vor Mord nicht zurück, um Macht und Reichtum zu erlangen. Damit räumt der Fremde auf.

    Eastwood entfernt sich dabei weit vom US-Western und reitet ganz klar in den Spuren des Italo-Pendants. Die Verweise zu Sergio Leone und Sergio Corbucci („Django“, Leichen pflastern seinen Weg) sind unverkennbar. Auch Antonio Margheritis „Satan der Rache“ (mit Klaus Kinski in der Hauptrolle) sowie Sergio Garrones „Django und die Bande der Bluthunde“ (aka „Django, der Bastard“) standen inhaltlich Pate. „Ein Fremder ohne Namen“ schlägt damit in die gleiche entglorifizierende Kerbe wie viele der europäischen Westernwerke. Dazu passt auch die Überzeichnung aller Charaktere: Der Revolverheld ist noch eine Stufe zynischer und schneller mit dem Colt als der einsame Reiter aus den Leone-Filmen, die Stadtbewohner sind feige und hinterhältig bis zum geht nicht mehr und die Banditen scheinen einem pulpigen Comicstrip entsprungen zu sein. Bei der Bildsprache bedient sich Eastwood längst nicht nur bei den europäischen Western-Vorbildern, sondern vor allem bei artverwandten klassischen amerikanischen und italienischen Horrorfilmen.

    Achtung, Spoiler zum Ende

    Der Horrorfilmbezug setzt sich auch inhaltlich fort: In der englischen Originalfassung verpasst Eastwood seiner Figur eine unglaubliche mystische Aura. In dieser antwortet der Fremde auch auf Mordecais erneute Frage nach seinem Namen am Ende des Films nicht mit diesem, sondern nur mit der viel sagenden Antwort, er wisse den Namen schon. In der deutschen Synchronisation werden diese Worte leider völlig ihrer Mystik beraubt. Dort gibt sich der Fremde am Schluss als Bruder des getöteten Marshalls aus, der nun Rache genommen hat. Dadurch verändert sich rückwirkend das ganze Erscheinungsbild des Films. Im Original bleibt die Rolle des Fremden dagegen weitestgehend offen. Vieles deutet daraufhin, dass es der Geist des getöteten Marshalls ist, der von Rache getrieben, für kurze Zeit unter die Lebenden zurückkehrt, ganz eindeutig wird dies aber nicht beantwortet. Ein normaler Mensch scheint er auf jeden Fall nicht zu sein, dazu macht ihn aber die deutsche Synchronisation. Durch diese ist die Geschichte auch kein rundes Ganzes mehr. Es drängen sich nun Fragen auf, warum der Fremde genau weiß, wie die Ermordung seines „Bruders“ ablief. Dabei war er ja nicht. Dies ist aber der einzige große, wenn auch sehr große Kritikpunkt an der deutschen Synchronisation, die sonst sehr gut den Zynismus des Originals wiedergeben kann.

    Spoiler-Ende

    „Ein Fremder ohne Namen“ ist eine mehr als gelungene Verbeugung Eastwoods vor seinem Lehrmeister Sergio Leone. Es handelt sich bei dem Film um einen mehr als ungewöhnlichen Western, der phasenweise überhaupt nicht genretypisch wirkt und der nur ganz wenige Schwächen aufweist. Sehenswert!

    Mordecai: You know, I never did know your name. - The Stranger: Yes, you do.

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