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    Sonatine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Sonatine
    Von Björn Becher

    Sonatine: „kleinere, meist nur aus 2-3 Sätzen bestehende, oft leicht zu spielende Sonate“ [1]

    Takeshi Kitano gab seinem vierten Film den Titel „Sonatine“, weil er den Eindruck hatte, mit diesem Werk als Regisseur eine neue Stufe erreicht zu haben: „Wenn man Klavier lernt, übt man verschiedene Arten von Stücken. Wenn man zur Sonatine kommt, bedeutet das, dass man endlich die Grundlagen beherrscht und dass man es sich von nun an aussuchen kann, was man spielen will. Man kann noch nicht von Meisterschaft sprechen, doch die Sonatine bezeichnet das Ende einer ersten Lernstufe", so Kitano. Ein klassisches Understatement. Mit „Sonatine“ bewies er schon 1993, dass er weit mehr als die Grundlagen des Regieführens beherrscht.

    Kitano entführt den Zuschauer in „Sonatine“ wie so oft in die Welt der Yakuza. Murakawa (gespielt von Kitano selbst) ist ein hochrangiger Yakuza und hat ein einträgliches Revier unter seiner Kontrolle. Doch Murakawa ist des täglichen Mordens und Erpressens überdrüssig geworden. Sein Job ermüdet und langweilt ihn. Nur widerwillig nimmt er deshalb den Auftrag seines Bosses an. Er soll auf der Insel Okinanwa einen Streit zwischen zwei rivalisierenden Clans schlichten. Obwohl er hinter dem Auftrag einen Hinterhalt vermutet, macht er sich mit einem Freund und einer Gruppe junger Nachwuchsgangster auf den Weg. Murakawas Vorahnung hat ihn nicht getäuscht. In einer Kneipe werden einige seiner Männer erschossen. Mit den restlichen Überlebenden zieht er in ein Strandhaus. Dort schlagen die Gangster mit albernen Spielen die Zeit tot. Eine Frau (Aya Kokumai), die an jenem Strand vergewaltigt wird, schließt sich ihnen an, nachdem Murakawa ihren Peiniger getötet hat. Sie verliebt sich in ihn. Doch als ein Killer kommt und Murakawas Freund tötet, weiß dieser, dass die Zeit der Spiele vorbei ist. Sein Boss und dessen rechte Hand Takahashi (Kenichi Yajima) wollen ihm sein Revier abnehmen. Mit seinem eigenen Schicksal vor Augen, welches nur der Tod sein kann, macht sich Murakawa auf den Weg, um ein letztes Mal zu töten.

    Kitanos Yakuza-Filme sind keine Actionfilme im herkömmlichen Sinne und auf „Sonatine“ trifft diese Bezeichnung von allen wohl am wenigsten zu. „Sonatine“ ist eine Tragikomödie. Murakawa ist ein Yakuza und weiß, dass er als solcher nie aussteigen kann. Die einzige Möglichkeit dies zu tun, wäre der Tod. So schwebt die Todesahnung auch ständig über dem Hauptakteur. Als Zuschauer weiß man eigentlich fast die ganze Zeit, dass Murakawa sterben wird. Doch Kitano versteht es wie kein zweiter, mit den Erwartungshaltungen des Publikums zu spielen. Mit den glücklichen Tagen und kindlichen Spielen am Strand, bei denen die Gewalt und das Yakuza-Leben so fern zu sein scheinen, suggeriert er, dass es Hoffnung auf ein Happy End gibt. Doch diese Hoffnung gibt es in Wirklichkeit nie. Auch die aufflammende Liebesbeziehung zu Miyuki, dem jungen Mädchen, das an jenem Strand vergewaltigt wird, ist für Murakawa kein Ausweg. Der Tod wird kommen, doch ganz anders als es der Zuschauer erwartet und genau in dem Moment, in dem er am wenigsten damit rechnet.

    Kitanos Film ist brutal, doch ist diese Brutalität anders als man vielleicht annehmen würde. Die Schießereien sind nur kurze Intermezzos, werden jäh vollzogen oder finden sogar außerhalb des Sichtfeldes der Kamera statt. Das Brutale an diesem Film ist der gewisse Tod des Protagonisten. Sonatine ist ein sehr ruhiger Film, der ein gemächliches Tempo anschlägt und gerade dadurch überzeugt. Die kindischen Spielereien am Strand lullen den Zuschauer fast ein und erinnern in ihrer besonderen Schönheit an ähnliche Szenen aus Kitanos schönstem Film „]Kikujiros Sommer“. Es ist wunderbar, wie der Gangster die vielleicht glücklichsten Tage seines Lebens verbringt und sich an kindlichen Spielen erfreut, wie zum Beispiel Sandgruben auszuheben, in die seine Freunde dann fallen. Fast unvorhergesehen wird dieser Teil des Films durch den Tod von Murakawas Freund beendet, das brutale und tragische Finale eröffnet.

    „Sonatine“ ist wahrlich kein Film eines Regisseurs, der gerade die erste Lernstufe abgeschlossen hat. „Sonatine“ ist der Film eines Regisseurs, der allein mit diesem Film schon bewiesen hat, dass er die gesamte Bandbreite an Stücken meisterhaft spielen kann. Das Kitanos Hauskomponist Joe Hisaishi mal wieder einen fabelhaften Score abgeliefert hat, müsste man zusätzlich eigentlich gar nicht erwähnen, doch die Filmmusik ist einmal mehr so passend und gelungen, dass sie einfach hier gewürdigt werden muss.

    [1] Duden, Fremdwörterbuch

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