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    Redacted
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Redacted
    Von Andreas Staben

    Aus jedem Bild von Brian De Palmas Doku-Fiktion „Redacted“ sprechen Wut und Bitternis. Angelehnt an ein reales Verbrechen, bei dem fünf US-amerikanische Soldaten Anfang 2006 im mittelirakischen Mahmudija ein 14-jähriges Mädchen vergewaltigten und es anschließend genauso wie seine Familie ermordeten, entwarf der Regieveteran (Scarface, Mission: Impossible, Die schwarze Dahlie) eine fiktive Handlung in dokumentarischem Gewand für eine grimmige Abrechnung mit der politischen und militärischen Führung der USA unter George W. Bush. Diese unmissverständliche kritische Haltung bestimmte auch die meisten Reaktionen auf „Redacted“. So ist es sicher kein Zufall, dass De Palma 2007 beim Filmfestival von Venedig mit stehenden Ovationen gefeiert wurde, während sein Film in den Vereinigten Staaten von konservativer Seite als „unamerikanisch“ angegriffen wurde. Aber „Redacted“, was so viel bedeutet wie „bearbeitet“ oder auch „zensiert“, ist weit mehr als ein virtuoses Propagandastück. Die Jury am Lido sprach De Palma den Regiepreis zu, was den Blick auf die tieferliegenden Qualitäten dieses außergewöhnlichen Films lenkt. Mit „Redacted“ führt der Filmemacher seine vor über vier Jahrzehnten begonnene Erkundung der Rhetorik des Bildermachens sowie der Moral des Schauens und Zeigens zu einem vorläufigen Endpunkt.

    Als De Palma 2006 von der Produktionsfirma HDNet Films das Angebot erhielt, im hochauflösenden Digitalvideoformat zu arbeiten, nahm er die Herausforderung trotz des schmalen Budgets von fünf Millionen Dollar an. Ihm wurde völlige Freiheit bei der Themenwahl und Gestaltung zugesagt, was der Regisseur nutzte, um wie in seinen experimentellen Frühwerken „Hi, Mom!“ und „Greetings“ neben der politischen Agitation auf radikal-subjektive Weise die Form des Kunstwerks selbst auf den Prüfstand zu stellen, was „Redacted“ von weitgehend konventionell erzählten Rückkehrer-Dramen wie Im Tal von Elah, Badland oder Stop-Loss genauso abhebt wie von Dokumentationen in der Art von Standard Operating Procedure oder vom thematisch ähnlich gelagerten Battle For Haditha.

    „Redacted“ beginnt mit einem Hinweis auf seinen prekären Erzählstatus: Eine Einblendung qualifiziert das Werk und die auftretenden Personen als vollständig fiktional. Eine etwaige Ähnlichkeit mit bekannten Vorkommnissen solle nicht zu einer Verwechslung mit realen Taten und Ereignissen führen. Die Worte der Schrifttafel werden nach und nach geschwärzt, beginnend mit dem Wort „fiction“. So wird gleich unmissverständlich klar, dass De Palma eben doch reale Begebenheiten im Blick hat, die den Anlass und den Resonanzboden für „Redacted“ liefern und die Frage nach dem Verhältnis von Fakt und Erfindung, Zensur und Propaganda, Inszenierung und Wahrheit steht sofort im Zentrum. Auf einen vollentwickelten Plot und ausdifferenzierte Charaktere verzichtet der Regisseur und Autor dabei, im Mittelpunkt steht eine Handvoll Soldaten, die mit ihrer Einheit zur Überwachung und Kontrolle einer Straßensperre in der irakischen Provinz abkommandiert ist und auf ihre Versetzung nach Bagdad wartet, ehe es zu tödlichen Zwischenfällen und dann zu Verbrechen gegen Zivilisten kommt.

    Von einer tendenziösen und selbstverliebt inszenierten französischen Reportage über den Kontrollposten, verschiedene Nachrichtenprogramme, Blogs und ein terroristisches Hinrichtungsvideo zu Bildern von Überwachungskameras, Aufzeichnungen von Verhören und einem im Split-Screen-Verfahren gefilmten iChat: De Palma geht von realen Quellen aus und wendet in seiner Inszenierung deren formale Codes an. Allerdings bleibt der Einsatz von Schauspielern, das Nachgestellte dem Zuschauer zugleich stets bewusst. Diese Doppelstrategie dient weniger der Entlarvung der medialen Möglichkeiten von Manipulation und Täuschung - das Fabrizierte der Bilder war bei De Palma schon immer offensichtlich -, vielmehr erzeugt die Reibung zwischen den Authentizitätsritualen der Wirklichkeitsverkäufer und der anti-psychologischen Figurenzeichnung und Erzählhaltung in „Redacted“ einen Überschuss an Künstlichkeit.

    De Palma bedient sich scheinbar wenig flexibler Formen, seine Regiearbeit ist dennoch so durchdacht und kontrolliert wie sonst. Genaue Kadrierung sowie effektvoller Einsatz von Licht, Zeitlupe und Musik machen sich vor allem bei der Reportagesequenz bemerkbar, die der Regisseur zudem noch mit einem Zitat der berühmten Skorpion-Szene aus Sam Peckinpahs The Wild Bunch anreichert. Der wie ein Orakel eingesetzte Verweis auf John O'Haras Roman „Begegnung in Samarra“ über ein schicksalhaftes Zusammentreffen mit dem Tod und Figurennamen wie Lawyer, Reno und Nevada sorgen fast für ein Überangebot an Interpretationsmöglichkeiten, denn auch die Bilder haben ihre Eindeutigkeit verloren. In einer brillanten Zuspitzung zeigt De Palma die Anhäufung von Warnschildern vor dem Kontrollpunkt. Irreführende Zeichen und die in einem Land mit so vielen Analphabeten weitgehend unnützen Schrifttafeln schaffen Chaos, wo doch ein reibungsloser Ablauf der Überprüfung gewährleistet werden soll.

    Ein Soldat der Truppe, Angel Salazar (Izzy Diaz), ist ständig mit seinem handlichen Camcorder unterwegs und filmt eine persönliche Chronik seines Dienstes. Die Ambitionen Salazars, der sich mit seinen Aufnahmen bei einer Filmschule bewerben will, lassen sich immer wieder an den kunstvollen Montageeffekten erkennen. Hier findet sich durchaus ein Selbstporträt des Künstlers De Palma als junger Mann, vor allem bietet „Redacted“ aber die erneute Variation eines Lieblingsmotivs des Cineasten. Seit den erwähnten Frühwerken kreist De Palmas Schaffen immer wieder um die Verfänglichkeit des Beobachtens und um die moralische Verantwortung des Voyeurs. Die Protagonisten von „Blow Out – Der Tod löscht alle Spuren“ und „Der Tod kommt zweimal“ etwa werden durch ihre Neugier zu Zeugen von Verbrechen und zum Spielball von Manipulationen, der Held von „Die Verdammten des Krieges“ findet vom ohnmächtigen Zuschauen zum aktiven Kampf um Gerechtigkeit.

    Als De Palma 1989 von einem ähnlichen Verbrechen amerikanischer Soldaten erzählte wie in „Redacted“ konnte er den bereits in die Vergangenheit entrückten Vietnam-Krieg noch als Alptraum inszenieren, aus dem Michael J. Fox am Ende von Die Verdammten des Krieges stellvertretend erwachen sollte. Das ist dem Regisseur in der jetzigen Zeit nicht mehr möglich und das nicht nur deswegen, weil der Irak-Konflikt noch nicht beendet ist. Während im meisterlichen Vietnam-Film auch die schlimmsten Verbrecher noch eine menschliche Seite besaßen, präsentiert uns De Palma in „Redacted“ nur noch Abziehbilder. Der einfühlsame Blick ist grimmiger Rhetorik gewichen, aus Hoffnung wurde Ernüchterung. Die beiden Täter stehen nun für die strukturellen Missstände im amerikanischen Militär. Sie haben sich aus Mangel an Perspektive für den Dienst in der Army entschieden, sie wissen erschreckend wenig über die Iraker und sie reproduzieren nur Propaganda-Phrasen und rassistische Beleidigungen.

    Mit dem Taumeln von Angel und seiner Kamera angesichts von Vergewaltigung und Mord verleiht Brian De Palma einer tiefsitzenden Malaise Ausdruck. Er bringt die Erschütterung des amerikanischen Selbstverständnisses auf den Punkt, bleibt in der politisch-zeithistorischen Analyse aber oberflächlich und gewollt einseitig. „Redacted“ ist das ambivalente Werk eines virtuosen Künstlers, der seine Mittel bis zum Rande der Untauglichkeit ausschöpft und seinen Bildern einen unauslöschlichen Zweifel einschreibt. Mit der Koda, einer nach dem Muster von „slideshows“ wie sie bei YouTube massenhaft zu finden sind gestalteten Folge von Fotos, erreicht De Palma den Kulminationspunkt seiner Methode. Was er hier unter der Überschrift „Kollateralschaden“ präsentiert und mit pathetischer Musik aus „Tosca“ unterlegt, sind bis auf zwei Ausnahmen die Bilder tatsächlicher Opfer des Krieges. Er hebt die beiden inszenierten Fotos in keiner Weise von den anderen ab und scheint „Redacted“ so die kathartische Wirkung verweigern zu wollen, die er mit dem Schlussbild von Die schwarze Dahlie noch anstrebte. Dass eine Identifizierung der Opfer vom Produzenten wegen juristischer Bedenken gegen De Palmas Willen unmöglich gemacht wurde ist da eine passende ironische Pointe.

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