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    Control
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Control
    Von Ralf Möller

    Wenn ehemalige Video- und Werbefilmer auf die große Leinwand umsteigen, behalten sie fast immer ihren visuellen Stil bei. Dies war sowohl bei den Scott-Brüdern in den 80ern der Fall als auch bei David Fincher oder Michael Bay in den 90ern - und natürlich ganz besonders bei Michel Gondry (Vergiss mein nicht) im neuen Jahrtausend. Der Holländer Anton Corbijn scheint auf den ersten Blick den Weg, den er mit seinem Musikclips gegangen ist, in seinem Regiedebüt „Control“ weiter zu führen. In strengen Schwarz-Weiß-Bildern erzählt er die leider viel zu kurze und sehr tragisch endende Geschichte des britischen Musikers Ian Curtis, dem Sänger der Gruppe Joy Division. Doch Corbijns Musikerbiopic ist weit davon entfernt, einen Mythos zu kreieren. Sein Film beschreibt auf eindrucksvolle Weise das Leben eines jungen Mannes, der an sich und seinen eigenen Erwartungen auf schicksalhafte Weise scheitert, ist zugleich aber auch ein Zeitdokument über einen Teil der Musikszene in und um Manchester Ende der 70er Jahre.

    Im Jahr 1973 erlebte der Glamrock seinen ersten Höhepunkt, der auch vor der nordenglischen Kleinstadt Macclesfield nicht halt macht. Dort lebt der introvertierte Schüler Ian Curtis (Sam Riley) in seiner eigenen Welt, entfremdet von seiner Familie. Die meiste Zeit verbringt er alleine in seinem Zimmer, schreibt Gedichte und Songtexte, imitiert sein großes Idol David Bowie vor dem Spiegel und probiert Drogen aus. Er sucht einen Sinn für seine eigene Existenz. Erst die junge Debbie (Samantha Morton, In America) scheint Ian aus seinem Kokon zu befreien. Die Liebe auf den ersten Blick führt sehr schnell zu einer Heirat. Als das junge Paar im Juni 1976 einem denkwürdigen Auftritt der Sex Pistols beiwohnt, reift bei Ian der Entschluss, Musiker zu werden. Wie der Zufall es will, suchen Freunde einen Sänger für ihre Band - die Gruppe Joy Division ist geboren. Mit Ihrem düsteren Sound und Curtis’ existenzialistischen Texten wird die Truppe schnell zu einer lokalen Berühmtheit. Kein geringerer als der berühmte DJ und Labelboss Tony Wilson (Craig Parkinson) wird auf sie aufmerksam. Der Erfolg verselbständigt sich und Ian muss sich entscheiden, ob er seinen sicheren Job beim Arbeitsamt aufgeben und sich nur noch der Musik widmen soll. Private Probleme kommen dazu. Er hat immer weniger Zeit für Debbie und die mittlerweile geborenen Tochter Natalie, ferner hat er sich auch noch in die belgische Fotografin Annik Honoré (Alexandra Maria Lara, Der Untergang) verliebt. Dazu leidet Ian an epileptischen Anfällen, die er nur schwer mit Medikamenten unter Kontrolle bekommt. All diese Dingen kriegt er nicht mehr in den Griff...

    Berühmt wurde Anton Corbijn in den späten 70er und frühen 80er Jahren als Fotograf. Einer seiner ersten Aufträge war eine Fotosession mit der englischen Band Joy Division. Für den Holländer bedeutete der Job den Beginn einer großen Karriere, welche dann auch Mitte der 80er Jahre als Videoclip-Regisseur seinen Lauf nahm. Seine wohl berühmtesten Videos sind die zu „Enjoy the silence“ von Depeche Mode, „Heart-shaped box“ von Nirvana und „Mensch“ von Herbert Grönemeyer. Dazu kommen Clips für Metallica und U2. Eins hatten diese Videos fast immer gemeinsam, eine gute, oftmals sehr skurrile Idee, welche sich durch die erzählte Geschichte zog. Wer erinnert sich nicht an den Eisbär in dem Clip zu „Mensch“ oder an den Depeche-Mode-Sänger Dave Gahan, der sich in „Enjoy the silence“ als König verkleidet durch einsame Landschaften bewegt. Aber auch seine Fotos zieren unzählige Plattencover. Vor allem sind es immer wieder sehr klare Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Künstler, die seinen unverwechselbaren Stil geprägt haben. Nach fast 30 Jahren schließt sich der Kreis nun wieder. Anton Corbijn hat einen Film über den Sänger von Joy Divison gedreht.

    Da das Drehbuch auch noch auf der Biografie „Touching From A Distance“ von Ian Curtis' Witwe Debbie basiert, könnte man annehmen, mit „Control“ einen verklärten Blick auf den introvertierten Sänger serviert zu bekommen. Doch Corbijn findet genügend Distanz zu seinem Protagonisten. So entsteht das differenzierte Porträt eines Menschen, der am Leben, den Erwartungen und vor allem an sich selbst scheitert. Der junge englische Schauspieler Sam Riley gibt dieser so rätselhaften Person ein Gesicht mit schönen traurigen Augen, die selbst in den heiteren Momenten des Films immer etwas Melancholisches an sich haben. Beeindruckend ist aber vor allem die Art, mit der Riley die Songs von Joy Division vorträgt. Die Stücke, die im Film zu hören sind, werden bis auf zwei komplett von den Schauspielern selbst gespielt. Und es gelingt ihnen auf ziemlich imponierende Weise, den düsteren Sound und die schwermütigen Texte rüber zu bringen. Den musikalischen Höhepunkt findet der Film in dem berühmtesten Song von Joy Division: „Love will tear us apart“. Das Lied ist eine sehr eindrucksvolle Zustandsbeschreibung der Beziehung zwischen Ian Curtis und seiner Frau Debbie, die Anton Corbijn in sehr passenden Bildern umgesetzt hat. Eine Liebe zwischen Routine, Hoffnungen, Ambitionen und Entfremdung. Samantha Morton als Debbie kämpft verzweifelt um diese Liebe und muss am Ende doch einsehen, dass es ein sinnloses Unterfangen ist.

    „Control“ ist keine dieser mythischen Künstlerbiografien wie The Doors von Oliver Stone oder Ray von Taylor Hackford. Anton Corbijns Porträt von Ian Curtis offenbart keine Erklärung, warum sich der Sänger im Alter von nur 23 Jahren das Leben nahm. Er erzählt die Geschichte eines introvertierten jungen Mannes und gibt dem Zuschauer die Möglichkeit, sich selbst ein Bild davon zu machen, was ihn bewogen haben könnte, den Freitod zu wählen. Letztlich ist „Control“ ein sehr ehrlicher, hervorragend fotografierter und gespielter Film, der auch einem größeren Publikum die wunderbare, fast vergessene, aber doch Stil prägende Musik von Joy Division näher bringt. Und Anton Corbijn hat es geschafft, für eine kleine, aber nicht unwichtige Szene, seinen alten Freund Herbert Grönemeyer (Das Boot) nach über 20 Jahren wieder zu einem Leinwand-Auftritt zu überreden.

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