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    Actrices - oder der Traum aus der Nacht davor
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Actrices - oder der Traum aus der Nacht davor
    Von Tobias Diekmann

    Valeria Bruni Tedeschi ist eine jener Schauspielerinnen, die - wie bei so vielen – dem größeren Kinopublikum eher unbekannt sein dürfte, begegnet man ihr doch vornehmlich im französischen Arthouse-Kino, in dem sie sich im Laufe der Jahre einen Namen als vielseitig einsetzbare Charakterdarstellerin gemacht hat. So kann sie auf eine lange Liste namhafter Regisseure zurückblicken, unter deren Leitung sie mitunter wirklich hervorragende Leistungen erbrachte, so zum Beispiel in ihrer mehrmaligen Arbeit mit Francois Ozon (5x2, Die Zeit die bleibt) oder Großmeistern wie Claude Chabrol. Das alleinige Agieren vor der Kamera war der italienisch-französischen Schauspielerin auf Dauer dann wohl aber nicht genug. Bereits 2003 gelang ihr mit ihrem Regiedebüt Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr ein Achtungserfolg bei Kritikern und Publikum, der nun mit „Actrices“ seine Regie-Fortführung findet und als verschrobene Tragikomödie daherkommt, in deren Zentrum eine Theaterschauspielerin (in der Hauptrolle: Bruni Tedeschi) steht, die sich unverhofft in einer tiefe Sinnkrise wieder findet. Auf der Suche nach Antworten und Lösungen flüchtet sie immer mehr in eine (Traum-)Welt, in der die Grenzen von Fiktion und Realität zu verschwimmen scheinen.

    Die bekannte Schauspielerin Marcelline (Bruni Tedeschi) spielt/ist Natalja Petrowna, befindet sie sich doch mitten in den Theaterproben zu Turgenjews zeitlosem Klassiker „Ein Monat auf dem Lande“. An ihr selbst ist die Zeit jedoch durchaus vergänglich, sieht sich Marcelline doch kurz vor ihrem 40. Geburtstag allein und kinderlos ihr Dasein für die Bühne fristen, begleitet von ihrer jung gebliebenen Mutter (Marisa Bonini), die ihr fortwährend gut gemeinte Ratschläge erteilt. Auch ihr junger attraktiver Schauspielerkollege Èric (Louis Garrel) vermag es trotz Annäherung nicht, Marcelline aus ihren aufkeimenden Selbstzweifeln zu befreien, und so rutscht sie unaufhaltsam in eine Parallelwelt aus Traum und Wahrheit, Leben und Tod, sowie Wunsch und Wirklichkeit. Dabei trifft sie nicht nur alte (und ziemlich tote) Weggefährten, sondern ihr erscheint auch der Geist ihrer eigenen Bühnenfigur. Marcelline sieht sich durch diese Begegnungen mehr und mehr mit ihren ganz persönlichen, und doch existenziellen Fragen konfrontiert, für deren Beantwortung sie sich auf die Suche nach sich selbst machen muss.

    „Ich wollte Menschen zeigen, die leben. Wir leben und träumen, wir schlagen eine bestimmte Richtung ein, und irgendwann glauben wir, dass wir uns getäuscht haben. Wir wollen umdrehen, den Weg, die Richtung ändern. Wir hoffen, dass unser Leben irgendwie aus dem Gleis springt. Denn dieser alte Weg ist es nicht; das kann es nicht sein, was den Rest unseres Lebens ausmacht. Was haben wir aus unserem Leben gemacht? Hatten wir wirklich eine Wahl? (Director`s Statement – Valeria Bruni Tedeschi)

    Man muss kein besonders heller Kopf sein, um zu bemerken, dass es sich bei den von der Regisseurin gestellten Fragen nicht allein um die der Hauptfigur Marcelline handeln kann. Vielmehr hat der Zuschauer ein weiteres Mal die Gelegenheit, in die ganz spezielle (Gedanken-)Welt von Valeria Bruni Tedeschi einzutauchen, sind die autobiographischen Züge in „Actrices“ absolut nicht von der Hand zu weisen. So hat sie ihre leibliche Mutter in der Rolle ihrer Filmmutter besetzt und darüber hinaus die Geschichte von Marcelline im Theater angesiedelt. Bruni Tedeschi war selbst jahrelang auf der Bühne zu sehen, unter anderem – wer hätte es gedacht – in Turgenjews „Ein Monat auf dem Lande“.

    Mehr als genug Referenzpunkte also, um sich nun zusammen mit dem Hauptcharakter auf eine metaphysisch angehauchte Reise zu begeben, die dann im Ergebnis allein aufgrund ihrer narrativen Eigenheiten mit Sicherheit im Gedächtnis bleibt. Denn Bruni Tedeschi kreiert rund um die Neurosen der Protagonistin ein Potpourri an skurrilen Situationen. Komisches schwenkt im Minutentakt über ins Tragische, reale Situationen verweben sich plötzlich mit absurden. Sie läuft von einem Fettnäpfchen ins nächste, gibt mal den arroganten und starken Theaterstar, nur um im folgenden Moment in ein fast schon kindlich-zartes Verhalten überzugehen. Marcelline steht dabei unentwegt im Zentrum, pendelt zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Warum hab ich kein Kind? Wieso hab ich keinen Mann an meiner Seite? Was erwarte ich ganz generell vom Leben und was hab ich bisher geleistet? Fragen, wie man sie sich wohl bei einer Vierzigjährigen vorstellen soll, die ihre biologische Uhr immer lauter ticken hört. Zumindest im Kosmos der umtriebigen Regisseurin Bruni Tedeschi.

    Nebenbei ist allerorts die Nähe von „Actrices“ zu den Filmen vom Großmeister der absurden Tragikomödie Woody Allen zu lesen. Das mag vielleicht ein wenig hoch gegriffen sein, aber aufgrund der skurrilen und zu jeder Zeit um eine zentrale Hauptperson kreisenden Geschichte im Ansatz nachzuvollziehen. Außerdem sind weitere Parallelen im Umgang mit der musikalischen Untermalung auszumachen, die ein ums andere Mal eine beschreibende Funktion einnimmt, und vor allem bei Glenn Millers „In the mood“ für Schmunzeln sorgt, da er wie ein roter Faden den Film begleitet und wichtiger Teil der wirklich gelungenen Schlusssequenz des Films ist.

    Allerdings offenbaren sich auch einige Schwierigkeiten, die sich eben wegen der starken Subjektivierung auf Marcelline als zentraler Charakter ergeben. Der Zuschauer muss sich voll und ganz auf ihre Handlungen einlassen, was mitunter gar nicht so leicht ist. Bruni Tedeschi spielt zwar wie immer brillant, aber einige der Dialoge kommen dann doch arg gekünstelt daher, was sich durch die mitunter nicht direkt nachzuvollziehenden Aktionen noch verstärken. Vor allem die schwierige Beziehung zwischen Marcelline und ihrer Mutter zeigt da einige Schwächen, was in einer wirklich albern anmutenden Bettszene gipfelt. Da sich die egozentrische Marcelline in einem fortwährenden Prozess von Stimmungsschwankungen befindet, ist man als Zuschauer ohnehin dazu geneigt, ab und an mal abzuschalten und sie ihre Kämpfe allein austragen zu lassen. Zum Glück gibt es im Gegenzug aber auch immer wieder wirklich komische Momente, die einen zurückholen.

    Fans des französischen Films werden mit „Actrices“ vermutlich ihre helle Freude haben. Lange Plansequenzen, sehr eigenwillig anmutende Dialoge und abgedrehte Plotwendungen. Bei denen ist das Ticket für das kleine Programmkino um die Ecke schon so gut wie gekauft. Alle anderen werden ob der eigenwilligen Umsetzung und speziellen Thematik wohl eher verdutzt die Nase rümpfen, und eine Straße weiter ins Multiplex-Kino laufen.

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