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    Aguirre, der Zorn Gottes
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Aguirre, der Zorn Gottes
    Von Carsten Baumgardt

    In den ersten Januartagen des Jahres 1971 begann in den Bergen Perus eine einzigartige Zusammenarbeit zweier besessener Künstler. Der damals 28-jährige Münchner Jung-Regisseur Werner Herzog hatte seinen ersten Drehtag mit dem für seine Zornesausbrüche berühmt-berüchtigten Ausnahmeschauspieler Klaus Kinski. Das Ergebnis, das rund ein Jahr später in den Kinos zu bewundern war, rief endlich Kinskis volles schauspielerisches Potenzial, das er jahrelang in zweit- und drittklassigen Werken verschwendet hatte, ab und wurde zu einem preisgekrönten Meilenstein in der Filmgeschichte. Das beinahe dokumentarische Abenteuer-Drama „Aguirre, der Zorn Gottes" gilt bei vielen bis heute als bester Film des Gespanns Herzog/Kinski - eine faszinierende Reise ins Verderben, optisch visionär, brillant gespielt von einem dem Wahnsinn nahen Kinski. Das ganz große Scheitern in noch größeren Bildern.

    1561 in den peruanischen Anden: Auf der Suche nach dem sagenumwobenen Goldland El Dorado bricht ein spanischer Expeditionszug auf, um das Land für die spanische Krone in Besitz zu nehmen. Unter der Leitung von Gonzalo Pizarro (Alejandro Repulles) dringt der mehrere Hundert Personen starke Trupp ins unwirtliche Landesinnere vor. Als sie im Dickicht des Dschungels nicht mehr voran kommen, beschließt Pizarro, einen Erkundungszug zu entsenden. Der fanatische Unterführer Don Lope de Aguirre (Klaus Kinski) zettelt innerhalb dieser Gruppe einen Aufstand gegen den Anführer Don Pedro de Ursua (Ruy Guerra) an. Er erklärt den ungelenken, linkischen spanischen Edelmann Don Fernando de Guzman (Peter Berling) zum neuen König von El Dorado und führt die Truppe an. Auf Flößen schiffen sie unter Lebensgefahr den Amazonas hinunter. Getrieben von einem Wahnsinnigen, der seine Mannschaft in einem Delirium aus Fieber, Hunger und tödlichen Indianerangriffen langsam vor die Hunde gehen lässt. Aguirre, der Getriebe, nennt sich selbst „den Zorn Gottes". Das bekommen seine Gefolgsleute bitter zu spüren: „Wenn ich, Aguirre, will, dass die Vögel tot von den Bäumen fallen, dann fallen die Vögel tot von den Bäumen herunter. Ich bin der Zorn Gottes. Die Erde, über die ich gehe, sieht mich und bebt."

    Als Werner Herzog zu seinem waghalsigen Projekt aufbrach, war er kein Unbekannter - trotz seiner jungen Jahre. Bei seinem sechsten Langfilm (u.a. Fata Morgana und „Land des Schweigens und der Dunkelheit") stellte sich der besessene Regisseur, Autor und Produzent seiner größten Herausforderung. Ein halbes Jahr lang hatte er sein Abenteuer in den peruanischen Anden so gut es geht vorbereitet. Doch die schindenden Dreharbeiten, ausschließlich an Originalschauplätzen, sollten allen Beteiligten das Letzte abverlangen. Unter unmenschlichen Bedingungen hetzte Herzog seine Crew durch den dichten Dschungel, schonte weder seine Schauspieler, noch sich selbst. Die engagierte Hundertschaft von Hochlandindianern hielt er mit ausreichend Cocablättern bei Laune und seinen egomanischen Star Kinski musste er teils mit Waffengewalt vor die Kamera zwingen. Schließlich hatte Herzog alles riskiert. Das für heutige Verhältnisse bescheidene Budget von 370.000 Dollar hatte er selbst aufgebracht, musste dafür allerdings nach eigener Aussage alles verkaufen, was er hatte. Die 350 Affen, die in der Schlussszene zu sehen sind, haben Herzog und sein Team einfach geklaut. Sie waren in einem Flugzug transportbereit, bevor sich Herzog als Tierarzt ausgab und die Affen kurzerhand raubte.

    Das erste Aufeinandertreffen der beiden leidenschaftlichen Exzentriker Herzog und Kinski legte den Grundstein für ihre fruchtbare berufliche Beziehung, aus der mit der Zeit eine wahre Hassliebe wurde. Von 1971 bis 1987 drehte das Duo fünf gemeinsame Filme („Aguirre, der Zorn Gottes", Nosferatu - Das Phantom der Nacht, Woyzeck, Fitzcarraldo, Cobra Verde). Am Ende waren sie so zerstritten, dass keiner ein gutes Haar am anderen ließ. Eine späte Hommage schuf ein versöhnlicher Herzog 1999 mit seiner packend-faszinierenden Dokumentation Mein liebster Feind, in der er die Zusammenarbeit mit dem 1991 verstorbenen Kinski aufarbeitete. Dass der begnadete Schauspieler Kinski immer dem Wahnsinn nah war, ist kein Geheimnis. Herzog stand ihm allerdings in wenig nach. Er trieb seine Crew stets zum Äußersten und noch weiter. Das ist der Mythos, der mit der Produktion seinen Anfang nahm. „Aguirre, der Zorn Gottes" strahlt eine derartige Intensität und Urgewalt aus, wie sie später selten (vielleicht noch in Wolgang Petersens Das Boot) wieder im deutschen Kino zu sehen war. Gleich die erste Szene zieht den Zuschauer in einen Sog aus berauschenden Bildern. Im Gänsemarsch müht sich der Trupp der Konquistadoren einen schmalen Trampelpfad die fast senkrecht abfallenden Wände einer 1.000 Meter tiefen, nebelverhangenen Andenschlucht hinab. Ein Bild, das im Gedächtnis bleibt und Kinogeschichte schrieb. Dazu wabbert ein elektronischer Score von Popol Vuh (alias Mastermind Florian Fricke) hypnotisch über die Leinwand.

    Um seine stringente Geschichte, die aus Sicht eines tagebuchführenden Mönches angelegt ist, zu entfalten, braucht Herzog nur wenige Dialoge. Seine gewaltige Bildsprache führt den Zuschauer in die Handlung. So erreicht „Aguirre" fast dokumentarischen Charakter. Die Kamera ist immer dicht dran am Geschehen, selbst bei den Szenen auf dem Fluss. So entsteht eine unwiderstehliche physische Anziehungskraft, die den Film groß macht. Keine Spezialeffekte, keine Studioaufnahmen: reine, echte Naturgewalten. Mit Kinski hat sich Herzog den perfekten Darsteller für die Rolle des wahnsinnigen Eroberers ausgesucht. Allein der Blick in sein Gesicht spricht Bände. Diese diabolischen blau-grauen, eiskalten Augen machen dem Betrachter Angst. Selten war Kinski besser auf der Leinwand zu sehen. In langen, fast schon meditativen Aufnahmen (Kamera: Thomas Mauch) saugt Herzog die Urgewalt der Landschaft auf, versteigt sich dabei aber nicht in ein nahe liegendes Pathos. Kinskis gefürchtete Wutausbrüche halten sich in Grenzen, er spielt reduziert und doch wie entfesselt. Der Zorn, der Wahnsinn und die Gier ist aus seinen Zügen zu lesen. Er führt sein Himmelfahrtskommando ins Verderben, ins Herz der Finsternis. Das ist jedem der Beteiligten klar, nur Aguirre selbst nicht. Er träumt von einer neuen Dynastie, die er mit seiner 15-jährigen Tochter Flores (Cecilia Rivera) - von seinem Fieberwahn gepeinigt - begründen will.

    „Aguirre, der Zorn Gottes" sei, so schrieb die Süddeutsche Zeitung damals, „ein farbenprächtiges, körpergewaltiges Bewegungsgemälde". Viel treffender lässt sich der Film nicht auf einen Punkt bringen. Großes deutsches Kino, das man heute vergebens auf der Leinwand sucht. So hat Herzog in Kooperation mit Kinski schon in jungen Jahren sein Meisterwerk abgeliefert, dem noch einige weitere folgenden sollten. Aber wahrscheinlich waren die beiden nie besser als in „Aguirre, der Zorn Gottes".

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