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    Fletchers Visionen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Fletchers Visionen
    Von Robert Kock

    Laut Umfragen glauben etliche US-Bürger nicht, dass es die Mondlandung wirklich gegeben hat. Und fast 30 Prozent der Deutschen könnten sich vorstellen, dass ein Mordkomplott die Ursache für Lady Dianas Tod war. Verschwörungstheorien haben fast immer Hochkonjunktur und gehören seit jeher zur menschlichen Natur. Im Film wird das Thema leider eher selten aufgegriffen. Doch vielleicht ist das ja von den Studiobossen so gewollt, die hinterrücks Geld von den Mächtigen in der Regierung bekommen. Für Jerry Fletcher jedenfalls würde diese Erklärung wahrscheinlich eine Menge Sinn machen. Das ist nämlich die Hauptfigur in Richard Donners unterhaltsamem Paranoia-Thriller „Fletchers Visionen“.

    Jerry Fletcher (Mel Gibson) verdient sich sein Geld als Taxifahrer in New York, doch seine Leidenschaft ist eine andere: „Die Verschwörungstheorie“, eine kleine Zeitung (wirklich klein, es gibt nur fünf Abonnenten), von ihm geschrieben und vertrieben, in der er seinen wilden Fantasien und seiner Paranoia freien Lauf lässt. Doch Jerry hat noch eine andere Leidenschaft. Die Staatsanwältin Alice Sutton (Julia Roberts) hat es ihm ebenfalls angetan und oft sitzt er stundenlang in seinem Auto vor ihrer Wohnung und beobachtet sie durch ein Fernglas. Er belagert ihr Büro wie ein Stalker und tischt ihr immer wieder seine waghalsigen Geschichten von multinationalen Verschwörungen und Attentaten auf den Präsidenten auf. Doch bald beginnt Alice zu zweifeln, ob die Geschichten, die Jerry ihr erzählt, allein seiner Fantasie entspringen. Dann taucht auch noch der zwielichtige CIA-Psychiater Dr. Jonas (Patrick Stewart) auf, der es auf Jerry abgesehen hat und schon steckt Alice mitten in einem Katz- und Mausspiel um Wahrheit, Lügen und Manipulation.

    Die Einführung von Jerrys Charakter ist wirklich sehr gelungen. Zu Beginn des Films sieht man ihn, wie er jedem seiner Taxigäste eine andere Verschwörungstheorie auftischt. Laut Regisseur Richard Donner (Lethal Weapon 1-4“) hat sich Mel Gibson (Mad Max, Braveheart) die meisten dieser Theorien selbst ausgedacht. Danach führt Jerry den Zuschauer in seine Wohnung. Die gleicht einem Hochsicherheitsgefängnis. Alles ist abgesichert, nichts kommt unbemerkt von draußen rein und sogar die Kaffeedose und der Kühlschrank sind mit einem Sicherheitsschloss versehen. Die Figur von Jerry wird durch Mel Gibson hervorragend gezeichnet, wenn er mal witzig und clever ist, mal vor Unsicherheit zu weinen beginnt. Die Erinnerungen an seine dunkle Vergangenheit kommen nur bruchstückhaft wieder ans Tageslicht und verwirren ihn ständig. Andererseits ist er überzeugt von seinen Theorien und erzählt sie jedem, der sich nicht dagegen wehren kann. So auch Alice, die sich zuerst von Jerry verfolgt fühlt und nur allmählich Vertrauen zu ihm aufbaut.

    Julia Roberts war für die Rolle der Justizbeamtin nur die zweite Wahl, denn eigentlich sollte Jodie Foster den Part übernehmen. Jedoch schlägt sie sich wacker bei ihrer Darstellung, obwohl das Drehbuch nicht allzu viel Potential für sie bereithält. Eigentlich dient sie nur als Love Interest für Jerry. Sowieso ist das Drehbuch von Brian Helgeland eher durchwachsen, vergleichbar mit seiner bisherigen Karriere, die von schlechten Filmen wie Sin Eater über Mittelmaß wie Postman bis zum Klassiker L.A. Confidential reicht. Auch „Fletchers Visionen“ zwingt einem immer wieder ein neues Bauchgefühl auf. Oft wird man mitgerissen von der Spannung. Dann aber hört man wieder so klischeehafte Sätze wie: „In einer Stunde will ich wissen, was sie isst, wo sie schläft und wie ihre Kindergärtnerin hieß!“, oder sieht die bösen Agenten mit schwarzen Anzügen in schwarzen Jeeps sitzen. Und solcherlei Szenen waren selbst 1997 schon so was von out.

    Schade eigentlich, denn bis auf diese kleinen Patzer präsentiert uns Donner wie gewohnt packende Unterhaltung und eine tolle Inszenierung. Vom Licht über den Sound bis hin zur Kamera sind alle Elemente des Films auf solidem Niveau. Auch die Musik ist stimmig, vor allem der immer wiederkehrende Titel „Can’t take my eyes off you“ von Frankie Valli, der am Ende in einer neuen Version von Lauryn Hill auftaucht.

    Und auch die Komik und die zahlreichen kleinen Anspielungen dürfen bei einem Donner-Film natürlich nicht fehlen. So gibt es oft witzige Dialogzeilen und viele Seitenhiebe auf bekannte Verschwörungstheorien wie die Ermordung John F. Kennedys, die Rothschilds und die Freimaurer. Auch wird von einem geheimen Forschungsprogramm der CIA geredet, dem so genannten „MK ULTRA“-Projekt. Hier zeigt sich wieder die Sozialkritik Donners. Denn im Gegensatz zu den anderen Theorien des Films ist diese Verschwörung ein trauriges Stück wahre, amerikanische Geschichte. Bis in die 1970er Jahre hinein wurden an Tausenden US-Bürgern, Krankenhauspatienten und Gefängnisinsassen die Auswirkungen von psychoaktiven Stoffen auf das Gehirn und die Wahrnehmung getestet. Ziel war die Erforschung von Wahrheitsdrogen und Gedankenkontrolle. Zahlreiche Versuchspersonen trugen schwere psychische und physische Schäden davon. Manche starben sogar daran. Schon Ken Kesey verarbeitete seine persönlichen Erlebnisse zu diesem Thema in dem Roman Einer flog über´s Kuckucksnest von 1962, aus dem dann Jahre später der gleichnamige preisgekrönte Film von Miloš Forman hervorging.

    Auch einen überaus überzeugenden Patrick Stewart („X-Men“, „L.A. Story“) bekommt man in dem Film zu sehen. Seinerzeit den meisten eher als Captain Picard von der Enterprise („Star Trek: The Next Generation) bekannt, überzeugt er mit seiner gelungenen Darstellung des skrupellosen Dr. Jonas.

    Fazit: Mit „Fletchers Visionen“ gelingt Produzent Joel Silver, Regisseur Richard Donner und Hauptdarsteller Mel Gibson ein Jahr vor Lethal Weapon 4 wieder einmal ein spannender, unterhaltsamer Film. Die Besetzung ist klasse und die Spannung reißt einen meistens mit, obwohl das Drehbuch seine Schwächen hat. So wird zum Beispiel die Vergangenheit von Jerry Fletcher nur mäßig geklärt und die Story weist ein paar Schwächen auf. Ansonsten kann der Film überzeugen und dürfte nicht nur für eingefleischte Konspirologen interessant sein. Jedoch muss man sich fragen, warum ein Thriller, bei dem kaum Stunts und gerade einmal eine kleine Explosion vorkommen, 75 Millionen Dollar gekostet hat? Doch mit Blick auf Julia Roberts, damals noch die am besten bezahlte Schauspielerin der Welt, sollte sich die Sache schon erledigt haben.

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