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    Final Cut - Die letzte Abrechnung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Final Cut - Die letzte Abrechnung
    Von Christian Horn

    Gut zehn Jahre nach seiner Fertigstellung wird der raffinierte Thriller „Final Cut“, inszeniert von Dominic Anciano und Ray Burdis, nun auch in Deutschland veröffentlicht. Der minimalistische Film, dessen Stil an die Dogma-Filme erinnert (zum Beispiel Das Fest oder „Idioten“), spielt auf der Beerdigung des jungen, unerwartet verstorbenen Schauspielers Jude (Jude Law; Alfie, My Blueberry Nights). Anwesend sind die engsten Freunde und die Lebensgefährtin des Verstorbenen; insgesamt acht Leute, deren schmutzige Geheimnisse und Lügen im Lauf der Geschichte aufgedeckt werden und deren Beziehung zueinander danach nicht mehr dieselbe sein wird.

    Vor seinem Tod hatte Jude an einem sehr persönlichen Film gearbeitet, mit dem er nach eigenem Bekunden die „Wahrheit“ finden wollte. Dazu hat er seine Freunde mit versteckten Kameras gefilmt, zum Beispiel auf der Toilette oder während vertraulichen Zwiegesprächen. Diese Bänder hat nun seine Freundin Sadie (Sadie Frost; Bram Stoker´s Dracula,) gefunden und präsentiert sie den Freunden, während ein Kamerateam die Gruppe während des Sichtens filmt. In den Aufnahmen kommen zunächst kleine, dann immer größere Lügen und Beleidigungen ans Tageslicht: Eine Ehefrau tut kund, dass ihr Mann im Bett eine absolute Null ist (sehr zum Erstaunen des Gatten), eine andere wird dabei ertappt, wie sie einer Freundin das Portemonnaie klaut und ein weiterer ist dabei gefilmt worden, wie er seinen Kumpels stolz erzählt, dass er auf einer Party alle seine Freunde in die Unterwäsche seiner Frau onanieren ließ. Die Stimmung zwischen den Versammelten wird – selbstverständlich – immer angespannter. Denn (fast) jeder von ihnen hat Dreck am Stecken, hat irgendjemanden betrogen, hintergangen oder lächerlich gemacht – und in Judes Bändern ist das alles dokumentiert; denn das Kameraobjektiv lügt nicht. Doch die kleinen und großen Lügen, die kleinen und großen Abartigkeiten, sind erst der Anfang. Jeder aufgedeckte Skandal ist schwerwiegender, bis am Ende eine schockierende Wahrheit ans Tageslicht gerät, die keiner erwartet hat.

    Das Setting des Films besteht also aus dem Freundeskreis, der gemeinsam diese Aufnahmen sichtet (und gleichzeitig dabei gefilmt wird), um Judes Projekt zu einem Abschluss zu bringen. Wir haben es also mit einer Film-im-Film-Ebene zu tun, die aktiv in die Filmebene eingreift. Das heißt: Die Freunde sehen eine Situation aus den Videobändern, kommentieren diese (durch Worte oder Taten) und gestalten damit auch den Film im Film, denn sie werden ja während der Durchsicht der Bänder mit Kameras beobachtet und diese Aufnahmen sollen Judes Projekt abschließen, die Videobänder komplettieren. Die Verschränkung dieser verschiedenen Erzählebenen ist – wenngleich sich einige Logikprobleme einstellen, auf die später eingegangen wird – vorbildlich gelungen. Genauso wie Jude, der seine Freunde heimlich gefilmt hat, wird auch der Zuschauer zum Voyeur: Er beobachtet die Protagonisten, während diese die Situationen auf den Bändern betrachten; seine Reaktionen auf das Gezeigte finden sich in den Reaktionen der Protagonisten wieder, werden von diesen kontrastiert oder manipuliert. Der filmtheoretische Ansatz, mit dem Anciano und Burdis ihren Film umsetzen, ist sehr reflektiert und überaus effektiv inszeniert. Es gelingt ihnen, ohne große Effekte, dramatisierende Musik oder ähnlichem einen Spannungsbogen aufzubauen und über die gesamten 90 Minuten Laufzeit zu halten.

    Kleine Ungereimtheiten werden davon zwar nicht verdeckt, aber verzeihlich gemacht. So ist es etwa ein wenig unglaubwürdig, dass Judes Kameras ständig dabei sind und die Ereignisse sich tatsächlich vor den versteckten Linsen abspielen. Zwar werden die Personen oft nur im Bild angeschnitten (in diesem Zusammenhang ein sehr schönes Stilmittel), bleiben aber immer in Reichweite der Objektive. Außerdem wundert es, dass die Versammelten sich während der Sichtung der Bänder, trotz Kamerabegleitung, ganz offen und unmaskiert verhalten (einzig Ray, Judes bester Freund, stößt des Öfteren eine der Kameras weg und versucht einen Abbruch der Aufnahmen zu erreichen). Jude selbst hatte seine Wahl der versteckten Kameras damit begründet, dass Menschen ständig Rollen spielen und sich vor einer Kamera erst echt nicht natürlich verhalten – und damit hat er ja auch ganz offensichtlich Recht. Dass die Freunde die Kamerabegleitung nun gar nicht weiter zu stören scheint, will nicht so recht in dieses Bild passen.

    Dass die Regisseure ihren ambitionierten Ansatz dennoch überzeugend umsetzen können, liegt auch an den durchweg begabten Darstellern; vor allem Ray Winstone (Departed: Unter Feinden, Sexy Beast) bietet eine auffallend überzeugende Leistung. Da die Inszenierung sehr zurück genommen ist (wie erwähnt erinnert sie ein wenig an die Dogma-Filme), liegt der Fokus umso mehr auf den Darstellern; das Gezeigte wirkt unmittelbar und nicht inszeniert. Und allen Akteuren gelingt es, ihren Figuren Glaubwürdigkeit und Charakter zu verleihen – sowohl auf den vorgeführten Bändern, als auch bei der Durchsicht derselben.

    „Final Cut“ ist ein innovativer, kleiner und weitgehend überzeugender Thriller geworden, der zwischenmenschliche Untiefen gnadenlos und ungeschönt aufdeckt. Dem Zuschauer bietet er (über den Abspann hinaus) vielfältige Fragestellungen an: Inwieweit ist es zum Beispiel von Jude moralisch vertretbar, seine Freunde heimlich zu filmen – selbst beim Pinkeln, Lügen oder Fremdgehen? Und wie steht es mit seiner Freundin Sadie, die ihre Bekannten mit diesen Geheimnissen konfrontiert und sie dadurch gegeneinander aufbringt? Und, noch spannender: Was könnte aus dem Leben des Zuschauers heimlich gefilmt und bei anschließender Vorführung im Bekanntenkreis extrem unangenehm werden? Nicht gerade wenig, das steht fest.

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