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    Simons Geheimnis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Simons Geheimnis
    Von Christian Schön

    Seit seiner Einführung wird das Internet als Fanal gefeiert, als der ultimative Raum der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem sich der postmoderne Mensch verwirklichen kann. Einen etwas nüchterneren Blick warfen jüngst die Mainzer Medientage der Fernsehkritik auf das Medium. Die Analyse von Zugriffsdaten der Videoplattform YouTube zeigte etwa, dass die deutliche Mehrzahl der populären Klickhits professionell produziert und nicht etwa Amateurclips sind. Die öffentliche Wahrnehmung des Internets bleibt freilich eine andere. Auch das Terrorismus-Drama „Simons Geheimnis“ von Atom Egoyan fußt auf dem Einfluss des Internets. Der kanadische Regisseur hat sich schon früh mit dem Massenmedium und seiner Wirkung auf die Gesellschaft auseinandergesetzt. Dennoch wirkt vieles in „Simons Geheimnis“ aufgesetzt und erzwungen, weshalb das Drama nicht die ganze Bandbreite seiner Konflikte voll ausspielen kann.

    Simon (Devon Bostick) wird von seiner Französischlehrerin Sabine (Arsinée Khanijan) dazu angehalten, seine eigene Vergangenheit neu zu erfinden. Die Idee zu dieser Aufgabe kam ihr, als Simon eine recht freie Version von einem Diktat ablieferte. Der Zeitungsartikel, den Sabine diktierte, berichtete von einem vereitelten Attentat. Ein Jordanier schickte seine schwangere Frau mitsamt einer Bombe im Handgepäck auf einen Flug nach Israel. Simon beschrieb diese Geschichte aus der Ich-Perspektive des Kindes, das überlebte, weil die Bombe bei der Kontrolle entdeckt wurde. Sabine schlägt Simon daraufhin vor, alle in dem Glauben zu belassen, dass er tatsächlich dieses Kind sei. Ziel sei es, seine fiktive Vergangenheit als einen Theatermonolog auf die Bühne zu bringen. Simon macht seine Arbeit gut. Er verbreitet seine Geschichte parallel im Internet, wo sie schnell die Runde macht und zum Hauptthema eines Videochats wird. Die Fragen, die so in Simon wachgerufen werden, drängen ihn, der seine Eltern bei einem Autounfall verloren hat, auf die Suche nach seiner wahren Vergangenheit…

    Das viel prämierte Schaffen von Atom Egoyan, der bei „Simons Geheimnis“ als Regisseur, Drehbuchschreiber und Produzent auftritt, weist wiederholende, prägende Stilmittel auf. Eines davon ist das Verschachteln von verschiedenen Handlungs- und Zeitsträngen. In „Simons Geheimnis“ werden so die Grenzen zwischen der fiktiven Wirklichkeit, die Simon erfindet, und den wahren Familiengeheimnissen, die er nach und nach aufdeckt, immer mehr verwischt. Auf diese Weise macht Egoyans deutlich, wie sehr auch unsere eigene Vergangenheit - und damit unsere Identität - auf Erfundenem aufbaut. Doch dabei geht es ihm gar nicht so sehr darum, Lügen zu entlarven. Er stellt vielmehr dar, wie uns Wahrheiten vermittelt werden. Dieses „wie“ ist meist mit irgendwelchen Medien verknüpft. Beispielsweise filmt Simon seinen Großvater, während ihm dieser von seinen Eltern erzählt. Durch die Übertragung der Geschichte in immer neue Medien entsteht schließlich ein komplexes Zusammenspiel, das die Glaubwürdigkeit der Medien hinterfragt.

    Eine der Schwächen des Films ist gerade diese Darstellung der miteinander verwobenen Wirklichkeitsebenen. Als Simon anfängt, seine Geschichte im Internetchat zu verbreiten, wird das als großer Skandal aufgebauscht. Es ist einer dieser sehr frommen Chats, in dem nur politisch engagierte, klug argumentierende Jugendliche unterwegs sind. Was genau die anderen Chatteilnehmer aber so interessant und aufreibend an Simons Geschichte finden, ist nie wirklich nachvollziehbar. Zum Teil spiegelt sich dies auch in der Charakterisierung von Simon, der von Devon Bostick (Saw 4, American Pie präsentiert: Nackte Tatsachen) verkörpert wird. Die Stirn meist in sorgenvolle Falten gelegt, kann er der Figur kaum etwas abgewinnen, das sie lebensnah erscheinen lassen würde. Durch den fehlenden Realismus gerade an dieser Stelle büßt der Film einen Teil seiner Glaubwürdigkeit ein.

    Die Reflexion über Funktionen und die Macht der Medien ist nur eines von einem ganzen Bündel an Themen, die in „Simons Geheimnis“ angeschnitten werden. Der Film strich in Cannes 2008 den Preis der ökumenischen Jury ein. Ähnlich wie die satirische Dokumentation Religulous bedient auch „Simons Geheimnis“ den immer stärker werdenden Trend, sich mit den großen Weltreligionen auseinanderzusetzen. Seitdem in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Zivilisationen aufeinandertreffen, gewinnen die Fragen nach dem „Anderen“ zunehmend an Bedeutung, da hier ein großes Konfliktpotential für moderne Gesellschaften liegt. Repräsentanten für die verschiedenen Glaubensmodelle lassen sich auch in „Simons Geheimnis“ ausmachen: Die Lehrerin Sabine ist eine Muslimin, die Simons Onkel Tom (Scott Speedman, Underworld), der für das konservative Christentum steht, für ihre Kultur zu sensibilisieren versucht. Simons Vater stammt nämlich nicht nur in der erfundenen Geschichte, sondern tatsächlich aus Israel, wurde aber von Simons Großvater aufgrund seiner Fremdheit nie in der Familie akzeptiert. Auf Simon lasten all diese kulturellen Verstrickungen, die sein ganz persönliches Erbe ausmachen, schwer.

    Fazit: Die Idee, auf der „Simons Geheimnis“ basiert, bietet ein breites Sammelsurium an kontrovers diskutierbaren Themen, die in der komplexen Handlungsstruktur zwar einen angemessenen Ausdruck finden, aber im Detail am fehlenden Realismus kranken. Durch die schiere Dichte an Konflikten wirkt die Handlung zudem oft sehr konstruiert und gewollt. Der Geschichte hätte ein wenig mehr Leichtigkeit gut getan, wodurch sicherlich auch einzelne Aspekte deutlich besser zur Wirkung gekommen wären.

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