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    Tracey Fragments
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tracey Fragments
    Von Ulf Lepelmeier

    Sprichwörtlich gewinnt, wer wagt. Doch in der Realität liegen Chance und Risiko meist eng beieinander. Auch wenn sich Regisseure auf filmisches Neuland wagen, ist dieses nicht immer zwingend das gesuchte El Dorado. Mit „The Tracey Fragments“ schuf Bruce McDonald einen Film, dessen Titel wie die Faust aufs Auge passt, ist das Werk doch ein Splitscreen-Feuerwerk von ungeahnten Dimensionen. Das an sich schlichte Teenager-Drama, das erst durch seine verschachtelte Erzählweise aufgeplustert wird, gibt in äußerst mannigfaltigen Bildfragmenten und einer Fülle von geteilten Bildschirmen das Leben, Empfinden und Leiden der Titelheldin Tracey wieder, die nur in einen Duschvorhang gehüllt nach ihrem verschollenen Bruder Sunny sucht.

    Tracey Berkowitz (Ellen Page) hat es nicht leicht. Das 14-jährige Mädchen ist eine Außenseiterin und wird in der Schule fortwährend gemoppt. Ihr Vater (Ari Cohen) betrachtet Tracey und ihren Bruder Sunny (Zie Souwand) als Unfälle. Ihre Mutter (Jackie Brown) ist vor der Mattscheibe festgewachsen und interessiert sich mehr für die Aufklärung des nächsten Fernsehkrimis als für ihre eigenen Kinder. Die depressive Tracey, die sich gerne in die Rolle der Frontfrau einer Band und in die Arme eines gewissen Billy Zero hineinträumt, besucht regelmäßig eine staatlich bezahlte Psychologin. Als ihr Bruder Sunny, der Spaß daran hat, sich wie ein Hund zu verhalten, nicht wieder auftaucht, geben die Eltern ihr die Schuld am Verschwinden ihres Bruders. Tracy beschließt, Sunny auf eigene Faust zu suchen und reißt von zu Hause aus…

    Im Februar 2007 durfte „The Tracey Fragments“ bei der 57. Berlinale die Reihe „Panorama“ eröffnen und wurde schließlich mit dem Manfred Salzgeber Preis als ein „die Grenzen des Kinos erweiternder Spielfilm“ ausgezeichnet. Das Werk des kanadischen Regisseurs Bruce McDonald präsentiert sich in wahrlich experimentellem Gewand. Mit ständigen Sprüngen durch Zeit, Wirklichkeiten und Traumvorstellungen versucht der Film, die Wirklichkeitswahrnehmung eines deprimierten Teenagers zu illustrieren. Um diesen fragmentarischen Bildersog zu erzeugen, setzten sich drei Cutter - nach gerade einmal zweiwöchigen Dreharbeiten – monatelang hin, um den Film in Kleinteile zu zerlegen und sie anschließend zu einem fertigen Werk wieder zusammenzufügen. Dabei variiert die Anzahl der gezeigten Fragmentfenster auf der Leinwand ständig und die einzelnen Splitscreens verändern fortwährend ihre Größe und Form. Gerade zu Beginn versteht diese innovative, künstlerisch ambitionierte Verwendung der Technik zu begeistern, weil sie es schafft, die innere Unruhe und Wankelmütigkeit der pubertierenden Protagonistin widerzuspiegeln.

    Raben steigen in den zahlreichen Fragmenten in den winterlichen Himmel hinauf und hüllen so die Kinoleinwand immer mehr in eine tiefe Dunkelheit; bei einer Therapiestunde in einem beinahe surreal anmutenden weißen Raum wird auf die Hände, Augen und Pumps der transsexuellen Psychologin gezoomt und so Traceys auf Kleinigkeiten achtender Blick für den Zuschauer wahrnehmbar gemacht – in diesen Momenten offenbaren sich die Vorteile des Splitscreen-Ansatzes. Nur werden diese Stärken leider viel zu selten ausgespielt. Stattdessen hat man oft das Gefühl, die schön anzusehenden technischen Spielereien mit den Bildfragmenten seien nicht mehr als bloßer Selbstzweck. Die an sich schnörkellose Geschichte einer Außenseiterin, die sich in Tagträume flüchtet und sich die Schuld am Verschwinden ihres kleinen Bruders gibt, hätte auch als Kurzfilm realisiert werden können. Durch die innovative visuelle Umsetzung sowie die nicht chronologische Erzählweise wird die Story letztlich nur in die Länge gezogen und künstlich aufgebauscht.

    Shooting-Star Ellen Page (An American Crime, Hard Candy) verkörpert Tracey mit großer Intensität und unterstreicht einmal mehr, dass sie momentan die erste Wahl für schwierige Jugendrollen ist. Während sie als schwangere Teenagerin in dem Independent-Megahit Juno ein keckes Mädchen mit selbstsicherem Auftreten und einem Hang zu frechen Sprüchen verkörperte, vermag sie nun auch in der Rolle der Tracey zu glänzen. Dieses verträumte, verschlossene Mädchen, das einen tiefen Hass auf ihre trostlose Umwelt verspürt, ist im Gegensatz zur Titelheldin in der mit Preisen überhäuften Komödie kein wirklicher Sympathieträger, so dass das Publikum leider nie wirklich mit ihr mitfühlt. Zudem erzeugt der fragmentarische Filmstil ohnehin eine gewisse Distanz zu den Figuren, was sich für den Zuschauer nach einiger Zeit als recht anstrengend herausstellt. Wer sich am inflationären Einsatz von Kraftausdrücken in Filmen stört, sollte außerdem vorgewarnt sein, dass Tracey diese gerne und reichlich von sich gibt.

    „The Tracey Fragments“ ist ein künstlerisch ambitioniertes Experiment, das die Möglichkeiten des verspielten und äußerst variationsreichen Einsatzes der Splitscreen-Technik aufzeigt, es aber nicht vermag, diese richtig auszuspielen und somit die spärliche Story aufzuwerten. Die technische sowie chronologische Fragmentierung schafft es nicht, über die Schwächen des Drehbuchs hinwegzutäuschen. Trotz Ellen Pages überzeugender Verkörperung fällt es dem Zuschauer schwer, Traceys Tour de Force mitzuerleiden. So ist der Film in erster Linie für diejenigen von Interesse, die sich für den Einsatz technischer Kabinettstückchen begeistern können.

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