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    Mad Detective
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Mad Detective
    Von Björn Becher

    Wie sehr der Stellenwert von Hongkongs Thriller-Regisseur Nr. 1 Johnnie To in der internationalen Kinoszene in den vergangenen Jahren weiter angestiegen ist, lässt sich an zwei Punkten besonders gut festmachen: Zum einen hat es der früher auf Nebenreihen abonnierte Filmemacher bei den wichtigsten Festivals der Welt zuletzt öfters in den offiziellen Wettbewerb geschafft: Election lief 2005 in Cannes, „Exiled“ 2006 in Venedig, „Mad Detective“ als Überraschungsfilm 2007 wieder in Venedig und The Sparrow 2008 auf der Berlinale. Außerdem wird To mit „Mad Detective“ im Herbst noch eine weitere Ehre zuteilt. Die DVD-Edelreihe „Masters Of Cinema“, eine Art britisches Gegenstück zur bekannten „Criterion Collection“ aus den USA, wird das ungewöhnliche Thriller-Drama im Oktober auf DVD und Blu-ray veröffentlichen. Das Besondere daran: In der „Masters Of Cinema“-Reihe befinden sich bisher nur Klassiker solcher Regie-Größen wie Fritz Lang, Akira Kurosawa, F.W. Murnau, Kenji Mizoguchi, Orson Welles oder Kaneto Shindo. Der jüngste Film der Reihe stammt mit René Lalouxs Animationswerk „Gandahar“ aus dem Jahr 1988, „Mad Detective“ wird sich also nun als erster zeitgenössischer Film neben zahlreichen Klassikern einreihen. Einen Fehler haben die Verantwortlichen mit dieser Wahl sicherlich nicht gemacht. Denn auch wenn „Mad Detective“ visuell nicht so eindrucksvoll und durchkomponiert ist, wie manch anderer optischer Leckerbissen von To (zum Beispiel: The Mission), beweist der Hongkonger in Zusammenarbeit mit seinem alten Weggefährten Ka-Fai Wai doch, welche neuen Seiten er dem Thrillergenre noch abgewinnen kann.

    „Mad Detective“ – schon die ersten Szenen zeigen, dass keine Bezeichnung besser auf den Protagonisten des Films zutreffen dürfte: Inspector Bun (Ching Wan Lau) löst den Fall eines zerhackstückelten Studenten, indem er einen Schweinekadaver malträtiert und sich selbst dann, wie es mit dem Opfer geschah, in einen Koffer stecken und die Treppen hinunter werfen lässt. Als er diesem wieder entsteigt, ist er zwar benommen und orientierungslos, weiß aber trotzdem, wer der Mörder ist. In der zweiten Sequenz wird Buns Vorgesetzter in den Ruhestand verabschiedet und es gibt alle möglichen Geschenke. Bun hat allerdings ein ganz besonderes Präsent. Er nimmt ein Messer und schneidet sich – Quentin Tarantinos Reservoir Dogs lässt grüßen – in einer ungemein intensiven Szene ein Ohr ab. Mit dieser Aktion hat Bun endgültig eine Grenze überschritten und wird aus dem Dienst entfernt.

    Einige Jahre später: Bun ist noch verrückter geworden und der festen Überzeugung, er könne die inneren Persönlichkeiten der Menschen sehen. Da klopft der junge Cop Ho (Andy On, New Police Story) an seine Tür und bittet ihn um Hilfe. Vor achtzehn Monaten verschwanden ein Polizist und seine Dienstwaffe spurlos. Seit einiger Zeit begeht nun jemand mit eben dieser Waffe eine Reihe von Raubmorden und Überfällen. Bun weiß schnell, wer der Täter ist, erkennt er doch, dass Ko Chi Wai (Ka Tung Lam, The Sparrow), der Partner des Verschwundenen, gleich sieben verschiedene Persönlichkeiten in sich birgt, was perfekt zu den unterschiedlichen Begehungsweisen der Raubmorde passt. Doch der muss erst einmal überführt und Ho überzeugt werden. Und weil Bun jedoch der einzige ist, der die Persönlichkeiten sehen kann, muss seine Theorie erst einmal bewiesen werden…

    Bereits bei elf seiner fast fünfzig Filme teilte sich Johnny To die Regie mit dem dabei jeweils auch als Drehbuchautor fungierenden Ka-Fai Wai - und man kann durchaus sagen, dass es sich dabei meist nicht gerade um Tos beste Werke handelt. Ganz vorne in Tos Gesamtwerk sind von diesen Kooperationen eigentlich nur der stark photographierte Fulltime Killer und die schräge Tragikomödie „Running On Karma“ einzuordnen. „Mad Detective“ ist nun, vier Jahre nach der letzten gemeinsamen Arbeit, der eindeutige Höhepunkt des Zusammenwirkens von To und Wai. Wie schon früher mehrfach geschehen, nähern sich die beiden Filmemacher nämlich auch hier auf recht unorthodoxe Weise an ein eigentlich schon ausgelutschtes Sujet an.

    Die Mörderjagd selbst spielt nur eine untergeordnete Rolle. Wer der Täter ist, wird schnell klar, und selbst die Frage, wie er überführt wird, steht nur selten im Vordergrund. Stattdessen bietet „Mad Detective“, getreu seinem Titel, eine One-Man-Show von Hauptdarsteller Ching Wan Lau (Black Mask, Running Out Of Time). Dessen zehnte Zusammenarbeit mit To (allerdings die erste nach fünfjähriger Unterbrechung) bietet ihm die Möglichkeit, groß aufzuspielen und Buns verschrobenen Charakter differenziert herauszuarbeiten. Die Mischung macht´s: Zum einen bringen die absonderlichen Aktionen des „Mad Detective“ eine schöne Prise Komik und Skurrilität mit sich, zum anderen ist dieser aber auch eine tragische Figur, die keine Chance hat in dieser Welt, in der ihn niemand versteht. Interessant ist, wie eben diese Umwelt beschrieben wird: Jede Nebenperson ist extrem ehrgeizig und bereit, für die eigene Karriere notfalls auch anderen zu schaden. Die bunte Mischung aus Thriller, Mystery, Komödie und Drama geht auf und macht den speziellen Reiz des Films aus. Dieser ist halt nicht einfach der x-te „Cops jagen Killer“-Thriller, sondern ein innovatives Genre-Cross-Over.

    Gekonnt spielen To und Wai mit den Möglichkeiten, die ihnen ihre verschrobene Geschichte bietet. Der Zuschauer muss sich immer wieder neu orientieren und bei jeder Szene erst einmal feststellen, ob die Kamera Buns subjektive Sicht oder die objektive Sicht seiner Umgebung wiedergibt, ob die Menschen, die zu sehen sind, ihre äußeren Hüllen oder ihre inneren Persönlichkeiten widerspiegeln. Und ob sie überhaupt wirklich existieren. Dieses Spiel mit Buns Fähigkeit, ins Innere der Menschen zu sehen, eröffnet auch inszenatorisch spannende Möglichkeiten: Wenn Ko Chi Wai Auto fährt, ist der Kleinwagen von einem Moment auf den anderen mit all den gespaltenen Persönlichkeiten des Killers gefüllt: darunter ein schwitzender Fettsack (Tos Lieblingsschauspieler Lam Suet, Kung Fu Hustle) und eine die Kontrolle behaltende Karrierefrau (Flora Chan). Aufmerksame Zuschauer können übrigens, auch wenn nur drei der sieben Persönlichkeiten größeren Raum zur Entfaltung bekommen, erkennen, dass die Auswahl nicht zufällig getroffen wurde – jeder Charakter steht für eine der sieben Todsünden.

    Endgültig begeistern können To und sein Kollege Wai mit dem starken Finale, welches zum einen – als wären die verschiedenen Persönlichkeiten noch nicht genug – in Anlehnung an Orson Welles’ Die Lady von Shanghai in einem Spiegelkabinett spielt und noch einmal mit einer finalen Pointe überrascht. Spätestens hier wird klar, dass To zwar in diesem speziellen Fall nicht mit der überwältigenden, perfekt arrangierten Bildgewalt anderer Werke aufwartet, aber nichtsdestotrotz ein wahrer „Master Of Cinema“ ist.

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