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    Einsame Entscheidung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Einsame Entscheidung
    Von Björn Becher

    Der Inhalt der Filme des mimisch extrem limitierten Kampfsportexperten Steven Seagal ist eigentlich immer mehr oder weniger der Gleiche: Seagal spielt einen guten Kerl, der es aus irgendwelchen Gründen (meist: Rache) mit einer Horde von Bösewichten aufnehmen muss. Co-Stars duldet er neben sich meist nicht, stattdessen erledigt er alles im Alleingang. Erst zum Ende seiner Kinokarriere versuchte er, mit wechselnden Rapper-Sidekicks neues Publikum zu akquirieren, was aber nie richtig gelang. Ab und zu darf sich mal eine schöne Frau an seine Seite gesellen, die dann aber auf die „Holde Maid in Not“-Rolle limitiert ist. Dies trifft auf seinen Debütfilm „Nico”, bei dem der ehemalige Martial-Arts-Berater („James Bond 007 - Sag niemals nie”) sofort die Hauptrolle übernahm, genauso wie auf seine mittlerweile zahlreich erscheinenden Direct-To-DVD-Produktionen eigentlich generell zu. Denn von dieser One-Man-Show-Regel gibt es nur ganz wenige Ausnahmen: In dem koreanischen Action-Drama „Clementine” (2004) begnügt sich Seagal mit einem kleinen Auftritt, auch einen Komödien-Cameo („The Onion Movie”) absolvierte er jüngst und in „Ticker” teilte er sich die Hauptrolle mit Dennis Hopper und Tom Sizemore. Sein bekanntester Schritt zurück in die zweite Reihe entstand aber bereits 1996, kurz nach dem Höhepunkt seiner Karriere: In „Einsame Entscheidung” verkörperte Seagal erst seine altgewohnte Rolle, um dann Platz für einen anderen Actionstar zu machen: Kurt Russell übernimmt schnell den Staffelstab und hat großen Anteil daran, dass der außergewöhnlich gut besetzte Terrorismus-Thriller auch heute noch überzeugen kann.

    Zehn Tage nachdem der Topterrorist El Sayed Jaffa (Andreas Katsulas, Auf der Flucht) von der amerikanischen Regierung bei der Hochzeit seiner Tochter entführt wurde, schlägt dessen radikal-islamische Terrororganisation zurück. Erst explodiert eine Bombe in London, dann wird ein Flugzeug entführt, an Bord dessen sich der US-Senator und Präsidentschaftskandidat Makros (J.T. Walsh, Verhandlungssache) befindet. Die Terroristen unter Führung von Jaffas rechter Hand Nagi Hassan (David Suchet) fordern die Freilassung Jaffas im Austausch gegen die Geiseln. Der Deal soll auf amerikanischem Boden vollzogen werden. Die US-Regierung plant, der Forderung nachzugeben, doch der brillante Analytiker und Antiterrorexperte Dr. David Grant (Kurt Russell) vermutet ein weiteres Motiv hinter der Entführung. Er glaubt, dass die Terroristen eine große Menge Nervengas mit an Bord haben und das Flugzeug als Waffe einsetzen wollen. Gerade als der Krisenstab endgültig keinen Rat mehr weiß, hat Elite-Kämpfer Lt. Colonel Austin Travis (Steven Seagal) eine zündende Idee. Der Techniknerd Dennis Cahill (Oliver Platt) hat ein kleines Stealthflugzeug entwickelt, mit dem sich Travis und sein Team aus Spezialisten (unter anderen John Leguizamo und Joe Morton) unbemerkt an das Flugzeug andocken und dieses in der Luft kapern könnten. Doch zusätzlich wäre auch Bürohengst Grant im Team von Nöten. Der erklärt sich bereit, an der waghalsigen Aktion teilzunehmen. Während an Bord des Flugzeugs die mutige Stewardess Jean (Halle Berry) den Terroristen auf ihre ganz eigene Art das Leben schwer macht, startet die heikle Mission. Doch der Andockprozess geht ganz gehörig schief…

    Achtung: Spoiler im nächsten Absatz:

    Es gibt Filme, bei denen entscheidende Handlungswendungen einfach angesprochen werden müssen, um ihre Stärken, Schwächen und Besonderheiten wirklich hervorheben zu können. „Einsame Entscheidung” ist so ein Fall. Denn er überrascht den Zuschauer damit, dass Actionstar Steven Seagal, der mit den Alarmstufe: Rot-Filmen kurz zuvor zwei Box-Office-Hits hatte, nach gerade einmal rund 45 Minuten das Zeitliche segnet. Plötzlich sind es nicht mehr die kanonenschwingenden Supersoldaten, sondern mit Grant und Cahill zwei kampfunerprobte und studierte Nerds, die versuchen müssen, den Terroristen das Handwerk zu legen. Eine Art Stirb langsam mit Schwächlingen, denen keiner die Rettung überhaupt zutraut. Geschickt spielt der Film von der ersten Minute an mit dieser späteren Wendung, die sich schon frühzeitig andeutet. Als Travis an Grants Theorie zweifelt, fragt dieser, warum er dann überhaupt hier oben sei und versuche, das Flugzeug zurückzuerobern. Die trockene und spöttische Antwort lautet: „Well... who the hell else is gonna do it... You?”. Und kurz darauf mokiert sich Cahill darüber, dass er mit umsteigen muss. Er sei doch nur ein Ingenieur. Obwohl das Kinoposter Kurt Russell als Hauptdarsteller auswies und er schon zahlreiche Action-Hits mit zu verantworten hatte („Tango & Cash”, Backdraft, Die Klapperschlange), reagierte das Publikum in (uninformierten) Vor-Internetzeiten geschockt auf den schnellen und frühen Wegfall des zweiten Stars. Die Folge davon war eine Positive: Ist es im Actionfilm üblich, dass zwar ein paar nervende Nebenfiguren draufgehen, aber der Held und die Schönheit das Ende gemeinsam (und meinst verbandelt) überleben, ist dem Autorenduo Jim und John Thomas (Predator, Predator 2) ab diesem Moment alles zuzutrauen.

    Spoiler-Ende

    Was aus heutiger Sicht bei „Einsame Entscheidung” als erstes auffällt, ist natürlich, dass hier wieder einmal die Fiktion von der Realität überholt wurde. Das islamische Terroristen ein Flugzeug nicht zur Freipressung entführen, sondern um es als Waffe einzusetzen, ist damals vielen Kinobesuchern unrealistisch und übertrieben erschienen (und auch die Reaktionen der Politiker und Militärs auf Grants These spiegeln dies ein Stück weit wieder), wurde aber fünf Jahre später bittere Realität.

    Stuart Baird (Star Trek - Nemesis) feierte mit „Einsame Entscheidung“ sein Regiedebüt. Er ist eigentlich Cutter, war in dieser Funktion sogar zwei Mal für den Oscar nominiert (für Superman und für „Gorillas im Nebel“) und ist auch heute noch in diesem Metier tätig (zuletzt James Bond 007 - Casino Royale und 8 Blickwinkel). Seine Inszenierung ist über weite Strecken stimmig und solide, kommt zwar ohne Glanzlichter aus, dafür lange Zeit aber auch ohne Schwächen. Dabei wird der Plot für einen Actionfilm überraschend lange von der Story dominiert. Statt auf knallige Action, Schießereien und Explosionen setzen die Macher zunächst nur auf die Entwicklung der Handlung, wobei verschiedene Ebenen zum Tragen kommen. Nicht nur die Spezialeinheit, sondern auch die Terroristen, die Geiseln und natürlich die politisch Verantwortlichen stehen immer wieder im Fokus. Ein Disput, ob ein entführtes Flugzeug abgeschossen werden darf (erneut: heute brandaktuell), verleiht dem Thriller sogar eine Spur Brisanz, auch wenn Baird und seine Autoren sicher weniger das Aufwerfen dieser moralisch-komplexen Frage als die zusätzliche Erzeugung von Spannung im Sinn hatten. Gerade dies gelingt ihnen aber über die gesamte Laufzeit ausgesprochen gut. „Einsame Entscheidung” versteht durchweg zu fesseln.

    Mehr als einen Blick wert ist die ausgesprochen gute Besetzung der Nebenrollen. Nicht nur, dass sich unter den Geiseln und den Entscheidungsträgern zahlreiche bekannte Kino- und TV-Gesichter tummeln, gerade einzelne Schlüsselrollen sind für einen Action-Thriller überraschend hochrangig gecastet. Der britische Charaktermime David Suchet (Ein ungleiches Paar, Bank Job) gibt eine hervorragende Vorstellung als skrupelloser und unglaublich fanatischer Terrorist und Oliver Platt (Flatliners, Pieces Of April) ist als unfreiwilliger Bombenentschärfer viel mehr als nur ein simpler Comedy-Sidekick. Hauptdarsteller Kurt Russell und die vor allem mit optischen Qualitäten aufwartende Halle Berry (Catwoman, Gothika) kamen sogar in den Genuss des kurzlebigen, von einer Videothekenkette initiierten und von Zuschauern verliehenen „Blockbuster Entertainment Award” als beste Darsteller in der Sparte Abenteuer/Drama.

    Leider biegt Regisseur Stuart Baird zwischenzeitlich ein paar Eisen zu viel, um seine Ziele zu erreichen. So erscheint manches unglaubwürdig und zu dick aufgetragen. Warum Cahill den Andockvorgang weder vom Stealthbomber aus durchführen, noch jemandem erklären kann, wie die paar Hebel umzulegen sind, sondern selbst ins andere Flugzeug klettern muss, wird auch nach noch so viel Grübeln kein Zuschauer verstehen. Dabei ist die Antwort ganz banal: Der Regisseur wollte ihn dort! Auch das Finale ist natürlich absolut over-the-top-hoch-zehn. Ob Bombenentschärfung, obligatorische Notlandung (wenn die Terroristen besiegt sind, ist natürlich noch nicht alles vorbei) oder finale Konfrontation, beim Versuch die Spannung auf den absoluten Siedepunkt zu kochen, wird jede Szene gnadenlos übersteigert.

    Ansonsten hält sich „Einsame Entscheidung” streng an die Genreregeln: Im entscheidenden Moment sind Morsezeichen die letzte Rettung und der patriotisch-pathetische Score erklingt natürlich in genau dem Moment, in dem Kurt Russell erfährt, dass er zur Waffe greifen muss - mit Oscarpreisträger Jerry Goldsmith (Das Omen, „Air Force One“, Der Anschlag) ist hier aber zumindest ein echter Spezialist am Werk. Dennoch will der mit diesen Klischees aufgewachsene Zuschauer diese allein schon aus nostalgischen Gründen auch heute noch genau so sehen. Denn „Einsame Entscheidung” ist einfach spannend genug, um seine Schwächen zu überdecken, und macht mit der in der ganzen Breite vorzüglichen Besetzung viel wett. Zum Schluss noch eine amüsante Anekdote am Rande: Das entführte Flugzeug gehört zur Flotte der Fluggesellschaft Oceanic Airlines. Diese fiktive Gesellschaft wird immer wieder benutzt, wenn es in Hollywood um Flugzeugkatastrophen geht. Die allergrößte Berühmtheit erlangte die Airline durch die TV-Serie serie,12.

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