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    So viel Wahrheit steckt in "Sam - Ein Sachse": Die Regisseurinnen der ersten deutschen Disney+-Serie im Interview
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Sein erster Kinofilm war Disneys „Aladdin“. Schon in der Grundschule las er Kino-Sachbücher und baute sich parallel dazu eine Film-Sammlung auf. Klar, dass er irgendwann hier landen musste.

    Mit seiner ersten deutschen Originalserie schlägt Disney+ einen dramatischen Weg ein: „Sam - Ein Sachse“ erzählt eine aufwühlende, wahre Geschichte. FILMSTARTS hat mit den Regisseurinnen über das Format und seine mögliche Zukunft gesprochen.

    Disney und seine verbundenen Unternehmen

    Mitbewerber wie Netflix und Amazon Prime Video haben es bereits getan, nun zieht Disney+ nach: Der Streamingdienst präsentiert ab sofort Originalserien aus Deutschland. Der Auftakt gerät mit „Sam - Ein Sachse“ dramatisch und aussagekräftig. Denn von wahren Begebenheiten inspiriert, erzählt die Serie von Samuel Meffire, dem ersten Schwarzen Polizisten der DDR – sowie von seinem komplexen Schicksal im Privaten wie im Beruflichen.

    FILMSTARTS-Autor Sidney Schering hat anlässlich des Serienstarts mit den Regisseurinnen gesprochen, die dieses Leben verfilmt haben: Soleen Yusef und Sarah Blaßkiewitz. Im Interview erzählen sie, wie nah das von Tyron Ricketts und Jörg Winger erdachte Format der Wahrheit kommt. Außerdem ging es um Lektionen vom „Inglourious Basterds“-Set und eine Tür, die der Hit-Film „Rheingold“ womöglich geöffnet hat...

    FILMSTARTS: Ich muss zu meiner Schande gestehen: Mir war Samuel Meffires Geschichte vor der Serienankündigung unbekannt. Wie viel Vorwissen hattet ihr, bevor ihr zur Serie gestoßen seid?

    Sarah Blaßkiewitz: Ich hatte einiges Vorwissen – vor Jahren hatte mir bereits eine Person von Samuel Meffire erzählt, außerdem kenne ich eine Person, die sogar zu ihm Kontakt hatte, weil sie in dieselbe Disco wie er gegangen ist. Und dann habe ich noch mit Tyron Ricketts länger über Samuel gesprochen, bevor ich zur Serie gestoßen bin. Darüber hinaus bin ich wie Samuel in der DDR aufgewachsen, habe also sozusagen historische Vorerfahrung aus erster Hand.

    Soleen Yusef: Ich wusste gar nichts, genauso wie du – zu meiner Schande und zu deiner. (lacht) Zu unserer Verteidigung: Solche Geschichten gingen hierzulande lange Zeit unter. Die Erzählperspektive über die DDR als auch die über Westdeutschland ist einfach eine andere, sei es in der Schule oder in den Medien. Ich bin 1996 nach Deutschland gekommen, insofern könnte es sein, dass ich diese Seite der Aufarbeitung verpasst habe – aber ich denke nicht, dass das der einzige Grund ist.

    Mit der DDR habe ich mich bei einem anderen Projekt ausführlich befasst, nämlich „Deutschland 89“. Samuels spezielle Geschichte als diese einzigartige Berg-und-Tal-Fahrt habe ich jedoch wirklich erst kennengelernt, als ich zu dieser Serie gestoßen bin. Und sie hat mich direkt gepackt! Du wünschst niemandem solch ein dramatisches Leben, aber alle Autor*innen wünschen sich, auf solche Ideen zu kommen, um sie zu erzählen.

    Wahrheit trifft Fiktion

    FILMSTARTS: Jede Episode beginnt mit dem Hinweis, dass die Serie zwar auf Samuel Meffires Leben basiert, jedoch nicht in sämtlichen Belangen authentisch sein kann. Solche Disclaimer kommen zumeist erst im Abspann. War es eine künstlerische oder juristische Entscheidung, bei „Sam - Ein Sachse“ damit anzufangen?

    Soleen Yusef: Sicherlich ein wenig von beidem. Und das finde ich sehr ehrlich von uns, denn keine Serie kann einem Menschen zu 100 Prozent gerecht werden. Ich glaube, wir sind Samuels Seele, seiner Reise und seinem Kampf gerecht geworden, und haben sie zugleich zu etwas Universellem übersetzt, mit dem sich neue Generationen identifizieren können.

    Trotzdem könnte man niemals eine komplette Lebensgeschichte wahrhaftig wiedergeben. Allein schon die kreative Auseinandersetzung, ein wahres Leben in einen Film oder eine Serie zu übersetzen, ist Einflussnahme. Ganz gleich, ob du das willst oder nicht: Du machst die Geschichte einer anderen Person zu deiner eigenen.

    Sarah Blaßkiewitz: Und es kann nur von Vorteil sein, genau das zuzugeben. Es tut niemandem gut, so zu tun, als würde man die komplette Wahrheit nacherzählen. Und eine Verfremdung ist ja sogar etwas Gutes: Niemandem wäre geholfen, in den hintersten Winkeln von Samuels Gefühlen und Gedanken herumzukramen: Keine*r würde es verstehen und Samuel täte es nur weh. Die Fiktion dagegen macht sein Schicksal greifbar, verständlich und schützt die reale Person Sam.

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    „Sam - Ein Sachse“-Regisseurin Soleen Yusef mit Hauptdarsteller Malick Bauer

    Soleen Yusef: Man darf nicht vergessen: Es ist am Ende auch Unterhaltung, wenn daraus eine Serie für einen Streamer wird. Ob du das wahrhaben willst oder nicht. Als Regisseur*in möchtest du natürlich diesem Menschen gerecht werden. Du willst dich seinem Kern nähern und die politisch relevanten Aspekte seines Lebens übersetzen – damit es mit dem räsoniert, was heute politisch relevant ist. Sei es, um eine Veränderung zu bewirken, oder um auf etwas aufmerksam zu machen.

    Trotzdem: Die Leute wollen abgeholt werden – und wenn du das tust, bewegst du damit hoffentlich mehr. Daher hat mich dieses Projekt so gereizt: Wir erzählen eine vergangene Geschichte, die sich jedoch in vielen Belangen aktuell anfühlt. Und wir erzählen von einer großen politischen Wende, aber aus einer Perspektive, die es bislang nicht zu sehen gab.

    FILMSTARTS: Die Serie besteht sozusagen aus zwei Blöcken: Erst kommen vier Folgen von dir, Soleen, dann drei Episoden von dir, Sarah. Wie und warum habt ihr euch für diese Aufteilung eurer Regiepflichten entschieden?

    Sarah Blaßkiewitz: Wir haben uns viele Gedanken gemacht...

    Soleen Yusef: So, so viele...

    Sarah Blaßkiewitz: Aber schlussendlich sind wir zu unserem Ursprungsgedanken zurückgekehrt. Und der war, dass wir alle davon profitieren, wenn wir jeweils einen aufeinanderfolgenden Satz an Episoden haben. So konnte sich Soleen in der Vorbereitung und Umsetzung auf einen zusammenhängenden Teil von Samuels Leben konzentrieren, und ich genauso.

    Das heißt allerdings nicht, dass wir eine klare Trennlinie gezogen haben – wir haben uns gegenseitig stets unterstützt. Wir haben uns kreativ ausgetauscht, wie wir diese oder jene Szene angehen würden. Und auch ganz praktisch haben wir uns unter die Arme gegriffen und einige Szenen für Folgen der jeweils Anderen gedreht.

    Soleen Yusef: So ein Dreh geht ja nicht immer chronologisch vor, und wenn etwas dazwischen kommt, kann man nicht den ganzen Drehplan umwerfen.

    Sarah Blaßkiewitz: So bin ich unerwartet zu meinem ersten Drehtag gekommen! Mein Kameramann Max Preiss und ich waren auf Set-Besuch in Gera bei Soleen und Stephan [Burchardt, Soleen Yusefs Kameramann; Anm. d. Redaktion]. Unser Drehstart war für viel später geplant. Doch dann kam es beim Team zu einem Corona-Fall – und wir mussten auf einmal ins kalte Wasser springen und eine Szene übernehmen, die zufälligerweise sowieso zu meiner Folge gehörte und damit auch von mir vorbereitet war.

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    Polizist Sam (Malick Bauer) gerät selbst auf die schiefe Bahn.

    Kommt als nächstes ein Biopic über Azad?

    FILMSTARTS: Soleen, du hattest mal die Idee, ein Biopic über Azad zu drehen. Nachdem „Rheingold“ vorgemacht hat, wie gut Rapper-Biopics ankommen können: Ist es an der Zeit, diese Idee wiederzubeleben?

    Soleen Yusef: Auf jeden Fall! Ich will unbedingt einen Film über Azad machen! Ein wenig konnte ich mich bereits verwirklichen, weil er bei „Skylines“ dabei war. Trotzdem will ich es darauf nicht beruhen lassen, denn Azad ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Er ist eine sehr künstlerische und poetische Kämpfernatur, die sehr wahrscheinlich viel durchgemacht hat – das wäre eine Parallele zu „Rheingold“, und trotzdem bestehen da große, erzählenswerte Unterschiede.

    Generell faszinieren mich komplexe Männercharaktere, die nach außen sehr hart wirken, jedoch ambivalente Kunst erschaffen und eine sehr feine Ader haben, womit sie ihr eigenes Bild von Männlichkeit brechen. Also paradoxe Persönlichkeiten, mit Widersprüchen und äußeren und inneren Welten, die sich beißen. Das finde ich sehr interessant. Bei Azad reizt mich zudem enorm der Einfluss, den seine Mutter auf ihn hatte. Kurdische Mütter aus dieser Generation sind eine ganz andere Sorte Kämpferinnen.

    FILMSTARTS: Also vielleicht lieber direkt ein Biopic über Azads Mutter?

    Soleen Yusef: Vielleicht, wer weiß... (lacht)

    FILMSTARTS: Sarah, du warst Assistant Stunt Coordinator bei „Inglourious Basterds“ – gibt es eine Lektion, die du damals gemacht hast, die du seither mit dir herumträgst?

    Sarah Blaßkiewitz: Das, was alle bei Stuntarbeit lernen: Safety first! Ich habe auch viel über Pünktlichkeit gelernt: In diesem Business bedeutet „pünktlich sein“, dass du überpünktlich sein musst – ich bin seither immer mindestens zehn Minuten früher da als abgemacht.

    Und ich habe ein Bewusstsein entwickeln können, wie viel Vorbereitung und Interpretation in die Darstellung von Gewalt fließt. Das Thema kam bei der Arbeit an „Sam - Ein Sachse“ sehr häufig auf. Wir haben darüber nachgedacht, welche Bilder wir zeigen und welche wir auslassen. Wo muss es wirklich hart sein, wo wäre zu viel Action und Gewalt ein Fehler? Es war mir ein großes Anliegen, diese Fragen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, und das kam sicher auch wegen dieser Erfahrung. Ich glaube, ich habe eine Schwäche für Action. Ich muss in diesem Leben keine Stuntfrau mehr werden – aber im nächsten Leben wäre ich gern eine.

    FILMSTARTS: Es gibt noch so viel über „Sam - Ein Sachse“, das ich gern fragen würde, aber leider ist unsere Zeit vorbei. Aber wer weiß, vielleicht im Vorfeld von Staffel 2...?

    Soleen Yusef: Das denke ich nicht. Es wird keine zweite Staffel geben – es bleibt eine Miniserie.

    *Bei diesem Link zu Disney+ handelt es sich um einen Affiliate-Link. Mit dem Abschluss eines Abos über diesen Link unterstützt ihr FILMSTARTS. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.

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