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    Andreas Dresen: "Liebe und Schmerz sind ein Paar"

    In Deutschland ist "Wolke 9" ein großer Erfolg. Nächste Woche startet der neue Film von Andreas Dresen auch in den französisichen Kinos. Wir trafen den sympathischen Regisseur um mit ihm über Glück und Leid von Beziehungen, seinen Erwartungen in Frankreich und der Authenzität im Kino zu sprechen.

    Wie ist das Drehbuch zu "Wolke 9" entstanden ?

    : Es gab gar kein Drehbuch. Der Film ist über Improvisationen gemeinsam mit den Schauspielern entwickelt worden. Es gab aber eine Art Storyline für die Geschichte, ohne geschriebene Dialoge oder Szenen. Ausgangspunkt war meine Idee, eine Liebesgeschichte mit Leidenschaft, Schmerz und all dem was zum Verliebtsein dazugehört, zwischen älteren Leuten zu erzählen. Das fand ich wichtig, interessant und auch erzählenswert, weil man immer mit dem Vorurteil zu kämpfen hat, dass bei Leuten ab 60 nichts mehr geht. Am Anfang der Geschichte stand nicht das Drehbuch sondern die Begegnung mit den drei Schauspielern und ein Herantasten. Danach habe ich gemeinsam mit den beiden Dramaturginnen und meinem Schnittmeister die Geschichte in groben Zügen ausgedacht.

    Sie wollten mit ihrem Film die "frohe Botschaft" zeigen, dass die Liebe und der Sex im Alter nicht aufhören. Es ist jedoch auch frustrierend zu sehen, dass selbst eine 30jährige und intakte Ehe auseinanderbrechen kann...

    Liebe und Schmerz sind ein Paar, das miteinander verheiratet ist. Das ist in jungen Jahren so, warum sollte das im Alter anders sein? Wenn man sich verliebt aber in einer Beziehung ist und vor der Entscheidung steht, jemanden verlassen zu müssen verursacht dies große Schmerzen und Leid. Auf der anderen Seite aber auch dieses unglaubliche Glücksgefühl, jemanden begegnet zu sein, der einen fliegen lässt. Das ist etwas das, so lange ein Herz in uns schlägt, nicht aufhört. Natürlich ist es auch beängstigend weil es zeigt, dass es keine Sicherheit im Leben gibt. Ich habe Probleme mit dem deutschen Wort "Lebensplanung" - im Prinzip soll man mit Mitte 20 schon wissen, wo man mit 70 steht: Möglichst mit Kindern und Enkelkindern in einem Eigenheim und ab und zu macht man eine Kreuzfahrt. Ich finde das beängstigend. In unserer Geschichte lebt das Paar ganz gut miteinander und ist nicht unzufrieden. Sie denken, dass es so weiter gehen wird, bis der Sargdeckel zuknallt. Wie sich herausstellt gibt es bestimmte Kräfte im Leben, Urgewalten und seelische Naturkatastrophen, die dann doch ihr Eigenleben entfalten und gegen die man sich nicht so leicht wehren kann.

    Wie würden Sie reagieren, wenn sich ihre Mutter nun in einen anderen Mann verlieben würde, und ihren Stiefvater verlassen möchte? Würden Sie ihr so wie Petra, die Tochter von Inge, raten, die Geschichte geheim zu halten?

    Ich würde versuchen, nicht irgendwie den Moralapostel zu spielen und zu sagen: Das geht doch nicht! Sondern: Wenn das so ist für dich, dann genieße es, aber überlege dir sehr wohl und gründlich ob sich es sich lohnt, das was du jetzt hast aufzugeben - denn meine Mutter lebt in einer sehr guten Beziehung. Das wäre eine Katastrophe und ich würde denken: Bloß nicht! Aber es gibt natürlich keine Sicherheiten in solchen Dingen. Ich würde vermutlich ähnlich reagieren wie Petra, obwohl es natürlich gemein ist.

    Inge beharrt im Film darauf, dass sie nicht anders handeln hätte können...

    Sie sagt immer: Es ist mir einfach so passiert, ich hab das nicht gewollt. Die erste halbe Stunde des Films wehrt sie sich gegen das Gefühl und sagt sich: Nein, ich habe einen guten Mann und ich habe mit dem auch noch guten Sex. Ich will ihn nicht verlassen. Dann kommt eine Phase in der sie das Gefühl eigentlich überrumpelt: Wenn sie anfängt ihren Mann zu betrügen und sie merkt, dass sie das nicht durchziehen kann. Ohne vorsätzlich schon darüber nachzudenken Werner zu verlassen beschließt sie, ihm die Wahrheit zu sagen. Das ist vielleicht der entscheidende Punkt. Die Gesellschaft ist viel eher bereit in so einem Fall die Lüge zu sanktionieren, man sagt dann, wie ihre Tochter auch: Genieß das und halte die Schnauze! Inge kann das einfach nicht. Das ist ein wichtiger Punkt, und die Figur hat hier eine große Stärke da sie sagt: Ich kann den Mann den ich liebe nicht anlügen. Schritt für Schritt geht Inge ihren Weg, und weiß dabei nicht wo es enden wird.

    Musik ist in Ihren Filmen ein wichtiges Element. Haben Sie für "Wolke 9" einen realen Seniorenchor gefilmt?

    Das ist ein richtiger Seniorenchor, der "Singende Tausendfüßler". hatte uns erzählt, dass sie eine Freundin hat, die in diesem Chor singt. Ich fand diese älteren Damen von Anfang an bezaubernd weil sie so eine unglaubliche Lebensfreude haben. Ursula hat sich für die gesamte Zeit der Dreharbeiten in den Chor integriert, sie ging zu den Proben und wir haben mitgedreht. Es war vorher völlig unklar wohin das gehen wird, aber ich dachte von Anfang an, dass es ein schönes Metrum sein könnte in der Geschichte: Wenn sich alles in der Welt von Inge verändert aber diese Art von Alltag bleibt. Wir hatten aber auch noch andere Szenen gedreht: Ursula hat Frauen im Chor nach Rat gefragt, davon ist eine wunderbare Szene entstanden. Die Damen waren so unsentimental und haben rabiat Ratschläge gegeben, wie zum Beispiel: Nimm dir bloß keinen Älteren, da wirst du bloß die Krankenschwester. Anhand dieser Damen sieht man, dass die Konstruktion des Films schon stimmt denn sie haben alle noch ein ganz erfülltes Leben.

    In Cannes wurde "Wolke 9" sehr gut, mit tosender Begeisterung, aufgenommen. Wie sind nun Ihre Erwartungen an das französische Publikum ?

    Ich bin extrem gespannt ob der Film in Frankreich funktioniern wird. In Deutschland haben wir gerade die allerbesten Erfahrungen gemacht. Das ist für mich sehr erfreulich, weil es viele Menschen der Branche gab die mir gesagt haben, es sei zwar ein schöner Film, aber ansehen wird ihn sich keiner. Ich glaubte es dann schon fast selbst. Aber als er rauskam, plötzlich explodierte und eine große Diskussion losbrach habe ich gemerkt, dass er an einem Punkt rührt, der ganz vielen Leuten etwas angeht. Wir hatten auch französische Verleiher die meinten: So etwas will das französische Publikum sicher nicht sehen. Mit dem Film in Cannes zu sein habe ich sehr geschätzt, weil ich noch nie vorher dort war und das, was innerhalb der Säle vorgeht toll ist. Mir wurde im Vorfeld viel Angst gemacht, auch von Kollegen die gesagt haben: Du wirst es hassen und das Publikum ist sehr hart. Ich hatte den Film selbst noch nicht gesehen, weil er erst ganz kurz davor fertig geworden ist. Wir waren auf negative Reaktionen gefasst und nicht auf zehn Minuten Standing Ovations. Deshalb war die Überraschung umso größer, denn eine so überwältigend herzliche Vorstellung habe ich überhaupt noch nicht erlebt. Ich glaube, ein härteres und größeres Festival als Cannes gibt es nicht. Es ist der Kinoolymp, deshalb kommt man auch so schwer hin. Für mich ist Cannes viel interessanter als der Oscar. Filme, die in Cannes ausgezeichnet werden interessieren mich im Allgemeinen auch mehr als die, die einen Oscar bekommen.

    Darum sind Sie auch nicht enttäuscht, dass es mit der Nominierung für den Auslands-Oscar nicht geklappt hat ?

    Ich hätte mich natürlich gefreut, der Academy deutsche Rentner beim Sex zu zeigen (lacht), denn die sind ja nicht gerade für ihre Freizügigkeit bekannt. Ob wir da aber Chancen gehabt hätten, das sei einmal dahingestellt. Insofern ist es vielleicht eine ganz gute Entscheidung gewesen.

    Sie arbeiten in ihren Filmen mit sehr dokumentarischen Mitteln, meinen jedoch, dass es im Kino keine Authenzitität gäbe. Ist dies nicht ein Widerspruch ?

    Ich glaube, selbst im Dokumentarfilm gibt es keine Authenzitität. Wenn man die Wirklichkeit sehen will soll man auf die Straße gehen und nicht ins Kino. Kino ist ein Ort der Subjektivität, man bekommt immer nur einen Ausschnitt zu sehen. Wenn man mit solchen Mitteln wie ich arbeitet, dann ist es eine Sondertechnik von Inszenierung. Hollywoodfilme machen das Gleiche, nur mit einem ganz anderen Herangehen. Natürlich wurden die Wohnungen die wir zeigen von den Ausstattern eingerichtet. Natürlich haben wir mit den Schauspielern gearbeitet und es handelt sich um eine erfundene Geschichte. Der gewünschte Effekt ist, dass die Barriere zwischen der eigenen Lebenserfahrung des Zuschauers und dem, was man auf der Leinwand sieht ziemlich niedrig ist. Damit man das Gefühl hat, dass es nebenan von mir ist - dass es plötzlich ganz nahe an einen rankommt ist der Wunsch wenn wir so erzählen.

    Das Interview wurde im Oktober 2008 von Barbara Fuchs in Paris geführt.

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