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    Der FILMSTARTS-Familientipp zum Wochenende: "Die Boxtrolls"

    In seiner 14-täglichen FILMSTARTS-Kolumne macht Rochus Wolff Vorschläge für den nächsten Familien-Filmabend - und zwar nicht nur aus der Perspektive eines Filmkritikers, sondern vor allem auch mit seiner Erfahrung als zweifacher Familienvater.

    Ein Hoch auf die Pappkartons

    Wir sind es nicht anders gewohnt, dass Kinoheldinnen und –helden schlank und schön sind, in Abenteuerfilmen zudem auch noch muskulös. Das ist schon in Realfilmen die Regel, aber in Zeichentrickfilmen Disney’scher Prägung wird es oft noch mehr auf die Spitze getrieben, etwa mit jungen Prinzessinnen, deren Taille jeder Wespe zur Ehre geriete, oder edlen Rettern, deren Schultern doppelt so breit sind wie ihre Hüften. Es ist ein märchenhaftes Zerrbild, wie wir hier immer nur schönen Menschen dabei zusehen, wie sie aufregende Dinge tun. Gerade Kinder stehen solchen Schönheitsidealen, wenn sie ihnen nicht nachhaltig eingeimpft werden, jedoch oft erst einmal skeptisch gegenüber. Die meinen waren sich kürzlich beim Anblick dreier schlanker, leicht bekleideter Grazien auf einem Werbeplakat sofort einig: „Die sehen doof aus!“ Die normgerechten Körper waren ihnen ebenso egal wie die Nacktheit, aber Frisur, Posen und Unterbekleidung, das fanden sie alles ziemlich albern.

    Die passende Bekleidung ist nun auch für die Boxtrolls von großer Bedeutung – nur dass jeder von ihnen, der Name lässt es erahnen, einen Pappkarton als Kleidung und Zuhause mit sich herumträgt. Eine seltsame Form von externalisierter Identität ist das: Denn die Trolle heißen auch so wie das Produkt, das auf dem Karton angepriesen wird, also zum Beispiel „Eggs“ oder „Shoe“. Außerdem verlassen die Boxtrolls ihren Karton nie – allein die Andeutung, man könne dies einmal ausprobieren, lässt alle verschreckt in ihren Pappboxen verschwinden. Ansonsten sind die Trolle nachts in der Stadt Cheesebridge unterwegs, um dort Metallschrott einzusammeln, den die Menschen weggeworfen haben und aus dem sie sich unterirdisch ein kleines Paradies errichten, mit Förderbändern, Bewässerungsanlagen, Musikinstrumenten und ganz viel Heimeligkeit. Niedlich, ein wenig ungeschickt, kantig, immerzu fröhlich: Die Boxtrolls sind die perfekten Identifikationsfiguren für Kinder. Deshalb ist es auch völliger Quatsch, dass die Menschen von Cheesebridge in so großer Angst vor ihnen leben – stattdessen reden sie sich ein, die Trolle äßen neben Kinder auch den ihnen so teuren Käse.

    Nichts davon ist wahr, aber „Die Boxtrolls“ strickt daraus eine sehenswerte, kindgerechte, durchaus düstere Geschichte um Macht und Lügen, ein filmisches Lehrbuch dagegen, einer Obrigkeit einfach nur hörig zu sein, bei der viel von ausgezeichnet schmeckenden Käsesorten gesprochen wird. Wie nebenher, aber tatsächlich im Zentrum geht es in der Verfilmung von Alan Snows Kinderbuch „Die Monster von Rattingen: Arthur und die Käsediebe“ um Identität, ums Sich-Finden: Der kleine Eggs ist nämlich gar kein Boxtroll, sondern ein Mensch, aber wozu macht es ihn, dass er sich den Trollen hier unten zugehöriger fühlt als seinen ängstlichen, aggressiven Vettern und Cousinen da oben?

    Das Animationsstudio Laika ist mit seinen oscarnominierten Werken „Coraline“ und „ParaNorman“ bekannt geworden, und es wundert nicht, dass sie sich für ihren neuen Stop-Motion-Film erneut der Außenseiter annehmen, also derjenigen, die sich gerne in einem Karton verstecken, wenn die Welt zu genau hinschaut. In „Die Boxtrolls“ zelebrieren sie die nicht-normierten, stellenweise gar grotesken Körper sogar noch viel stärker; schon die Farbtöne, in denen Haut in diesem Film schillert, machen einen ganz schwindelig. Weil aber „Die Boxtrolls“ bis in die Nebenfiguren hinein ganz und gar mit Leben erfüllt ist, wird daraus nie eine Ästhetik, die „gute“ gegen „schlechte“ Figuren stellt und ihnen jeweils entsprechende Körper zuordnet (hier die „guten“ schlanken und starken, da die „schlechten“ dicken, dürren oder grotesken). Stattdessen ist der Film eine Feier der Vielfalt: Ein Hoch auf die kleinen Knubbelkörper – und auf ihre Pappkartons!

    In diesen Kinos in eurer Nähe läuft "Die Boxtrolls" am kommenden Wochenende!

    Rochus Wolff, Jahrgang 1973, ist freier Journalist und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Grundschulalter in Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt ist der Kinder- und Jugendfilm; seit Januar 2013 hält er in dem von ihm gegründeten Kinderfilmblog nach dem schönen, guten und wahren Kinderkino Ausschau.

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