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    "Game Of Thrones": Warum die Serie fatalistisch bleiben wird - und das auch verdammt gut so ist

    In „Drachenstein“ fanden einige „Game Of Thrones“-Figuren (zurück) zur Menschlichkeit. Das für sie kennzeichnende, düstere Weltbild der Serie ist dadurch aber nicht gefährdet... worüber wir auch ganz froh sein sollten.

    HBO

    Vergangene Woche startete „Game Of Thrones“ in seine siebte Runde. Mein Kollege Björn Becher vertritt die Ansicht, dass das Autorengespann um D.B. Weiss und David Benioff sich - nun, da die Serie ihre Buchvorlage seit Staffel sechs überholt hat - auch vom pessimistischen Weltbild George R.R. Martins zunehmend emanzipiere und schließt sogar ein Happy-End der Geschichte nicht weiter kategorisch aus. Als Beispiel für einen jetzt sichtbar stärkeren Humanismus nannte er dabei vor allem das friedvolle Aufeinandertreffen zwischen Arya und einer Gruppe von Lannister-Soldaten sowie (den wohl doch nicht so beinharten) Sandor „The Hound“ Clegane, der mitten in der Nacht zwei Leichen beerdigt, um den Toten die verdiente letzte Ruhe zu ermöglichen. Ich stelle mich an dieser Stelle seiner Meinung entgegen und behaupte: „Game Of Thrones“ wird schlussendlich düster bleiben und „muss“ es eigentlich auch - Gott sei Dank!

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    Momente zwischenmenschlicher Wärme gab es in der Serie allerdings schon immer und The Hound ist nicht der erste, den man jetzt plötzlich mit anderen - eben wohlwollenderen - Augen betrachtet, weil ein neues Licht auf die Figur geworfen wird. Man denke nur an Jaime Lannister, der seit Mitte der dritten Staffel nicht mehr einfach nur als Königsmörder gelten kann, sondern im Nachhinein vor allem derjenige war, der einst die Ausrottung von King’s Landing durch Wildfire verhinderte. Oder Petyr „Littlefinger“ Baelish, der mutmaßlich nur deshalb permanent und manchmal auch leichtfertig Chaos stiftet, weil er nach lebenslanger Ablehnung durch seine geliebte Catelyn Stark nichts anderes mit seinem Leben anzufangen weiß. Jon Snow hingegen bemüht sich schon seit mehreren Staffeln, zerstrittene Parteien aus Westeros und jenseits der Eismauer zum Zusammenhalt angesichts der immensen Gefahr durch die White Walker zu bewegen. Kurzum: Den meisten Charakteren wurde bereits vor der sechsten Staffel eine sehr menschliche Seite zugestanden, manche von ihnen (wie Ned Stark, Tyrion oder eben Jon, meistens auch Daenerys) sind sogar vernunftbegabt und darin seit jeher scheinbar unerschütterlich.

    Es sind auch nicht immer die „Guten“, die ein vorzeitiges Ende finden, vielmehr ereilt der vorzeitige Tod ebenso Tyrannen, deren Karma zu schnell zu tief in den Minusbereich sackt. Ob Joffrey und Stannis Baratheon oder Ramsay Snow: Ihre Zeit war einfach gekommen. Damit verdeutlichen die Autoren aber auch: Gewalt ist keine Lösung, zumindest auf Dauer bringt sie nicht den Sieg. Zwar liegt es oberflächlich nahe, „Game Of Thrones“ für seine nicht gerade wenigen Blutexzesse als unbelehrbar zynisch zu verurteilen, doch es lohnt sich auch, genauer hinzusehen beziehungsweise das „bigger picture“ auszuwerten - tatsächlich ist das HBO-Format, nebenbei gesagt, in diesem Aspekt enorm zwiespältig, worin ein immenser Reiz liegt.

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    Doch warum wird und sollte der Tod (egal, ob vom Zuschauer als gerecht oder ungerecht empfunden) ein gern gesehener Gast bleiben? Nun: Aus der Unerbittlichkeit, die man als Betrachter nicht nur ertragen muss, sondern sehr wohl auch will, zieht „Game Of Thrones“ seine größten Qualitäten - und dementsprechend fern liegt es, die Richtung zu ändern. Wenn Kriegsnarr Stannis Baratheon im fünften Staffelfinale in seinen letzten Atemzügen zur Einsicht kommt und insbesondere den Mord an seiner kleinen Tochter innig bereut, so ist dies ein in seiner Tragik kolossaler Runterzieher, der praktisch genau so auch in einem Werk von Shakespeare auftauchen könnte. Und wenn Arya in „Drachenstein“ mit einem Streich die gesamte Gefolgschaft des notorischen Unsympathen Walder Freys erledigt, der bekanntlich ihre halbe Familie auf dem Gewissen hat, verschafft das umgekehrt - und hier schließe ich mich selbst keineswegs aus - sehr vielen Zuschauern entgegen jedweder zivilisatorischen Vernunft ein erhebendes Gefühl von Genugtuung… was im Grunde auch kein allzu großes Problem ist, solange man sich hin und wieder bewusst macht, was die Serie emotional mit einem anstellt und wie sie ihr Publikum manipuliert.

    Das Cold Opening aus Staffel sieben, Episode eins mag formal vom Rest der Folge abgetrennt sein, aber es ist mindestens genauso wichtig wie die späteren, leisen Szenen der Episode, denn „Game Of Thrones“ bedeutet nach wie vor an erster Stelle - alles andere wirkt letztlich nur darauf hin - Leiden und Jubeln. Hier war Letzteres der Fall: In dem Berliner Kino, in dem ich „Drachenstein“ sehen durfte, applaudierten die Leute im Saal tatsächlich spontan für Aryas Racheakt - für ihr darauffolgendes, friedvolles Aufeinandertreffen mit den Lannister-Soldaten hingegen nicht. Die jüngste Stark-Tochter mag nach allem, was sie durchlebt hat, zwar noch einen Rest Empathie in sich tragen, zugleich ist sie mittlerweile aber eine impulsive Tötungsmaschine. Eine nicht minder nachdenklich stimmende Entwicklung durchläuft im Moment außerdem ihre Schwester Sansa - sie hat sich zu einer berechnenden Strategin entwickelt, die ihre Bewunderung für Cersei nicht verbirgt. Der wiederum ist nunmehr alles egal und wir dürfen uns wohl auf eine diabolische Allianz zwischen ihr und Euron Greyjoy freuen.

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    Humanistische Einsprengsel gehören demgegenüber zwar unbedingt und schon immer zur Serie, vergleichbar sind sie allerdings eher mit einer Kerze im Schneesturm. Die Fans lieben es, im Wechsel vor Wut ihren Fernseher anzuschreien und triumphierend die Faust zu ballen, weil wieder einmal jemand abtreten musste, der es „verdient hat“. Den Autoren ist das vollkommen bewusst. Darum werden Benioff, Weiss und Co. auch in Zukunft vor allem eines nicht tun: Westeros auf Rosen betten.

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