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    50 Jahre "2001": Stanley Kubrick war ganz anders als gedacht

    In Cannes feierte die restaurierte Kinofassung von Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ seine Weltpremiere. Wir haben mit dem Kubrick-Produzenten Jan Harlan und Kubricks Tochter Katharina über das Gesamtwerk ihres Vaters gesprochen.

    Warner Bros.

    In Cannes feierte die restaurierte Kinofassung von Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ seine Weltpremiere. Wir haben mit dem Kubrick-Produzenten Jan Harlan und Kubricks Tochter Katharina über das Gesamtwerk ihres Vaters gesprochen.

    Der legendäre New Yorker Filmemacher Stanley Kubrick ist 1999 im Londoner Exil im Alter von 73 Jahren verstorben, aber sein Erbe lebt weiter. Dafür sorgen auch seine Stieftochter Katharina (die nur von Kubrick als ihrem Vater spricht – und nicht von ihrem biologischen Vater Werner Bruns), und ihr Onkel Jan Harlan, der Bruder von Kubricks Frau Christiane (und Katharinas Mutter). Harlan war ausführender Produzent bei den vier Kubrick-Filmen „Barry Lyndon“, „Shining“, „Full Metall Jacket“ und „Eyes Wide Shut“ sowie „A.I. – Künstliche Intelligenz“ von Steven Spielberg. Dieses Projekt hatte Kubrick an seinen Kollegen übergeben.

    Harlan, der Neffe von Regisseur Veit Harlan („Jud Süss“), gilt als ausgemachter Kubrick-Insider und hat jede Menge Anekdoten von damals zu erzählen. Gemeinsam mit seiner Nichte Katharina tritt der 81-Jährige überall in der Welt als Kubricks Nachlassverwalter und Repräsentant auf. Katharina Kubrick (64) spielte in Minirollen in Kubricks „Uhrwerk Orange“, „Barry Lyndon“ und „Eyes Wide Shut“ und arbeitete im Art Department bei „Eyes Wide Shut“ sowie „Supergirl“, „Der dunkle Kristall“ und „Midnight Express“. Im Duett geben sie eine Innenansicht auf Stanley Kubrick, die dem öffentlichen Bild des kühlen, unnahbaren Regie-Exzentrikers durchaus widerspricht.

    „2001 – Odyssee im Weltraum“ läuft im Juni 2018 zum 50-jährigen Jubiläum in ausgewählten Kinos mit einer tourenden Kopie in der von Christopher Nolan nach dem 70mm-Original restaurierten Fassung, ab dem 21. Juni wird eine 4K-Version in mehreren Lichtspielhäusern zu sehen sein.

    Die junge Generation hat "2001" damals gerettet

    FILMSTARTS: Wenn jemand „2001 – Odyssee im Weltraum“ 50 Jahre nach der Weltpremiere das erste Mal sieht, welchen Ratschlag gibst du ihm mit auf den Weg?

    Jan Harlan: Totaler Fokus. [lacht] Heutzutage sind die Menschen so daran gewöhnt, dass die Filme so schnell geschnitten sind – und „2001“ ist das genaue Gegenteil. Wenn jemand wirklich so relaxt ist, sich zurückzulehnen und zuzuhören, was eben nicht gesagt wird, wird er oder sie eine wunderbare Film-Erfahrung haben. „2001“ ist wirklich kein Actionfilm, nicht einmal ein Science-Fiction-Film, sondern ein philosophisches Werk. Das muss man erstmal verarbeiten und sich darauf konzentrieren.

    Es ist interessant, dass der Film 1968 von jungen Leuten vor dem Untergang gerettet wurde. Zuschauer, die so etwas wie „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ erwartet hatten, wussten auf einmal gar nicht, was auf der Leinwand vor sich geht. Aber die jüngeren Menschen nahmen etwas wahr, was sie nie zuvor gesehen hatten. Das hat auch etwas mit Respekt zu tun. Zu der Zeit damals sagten alle, „Lehrer sind blöd, die Regierung ist dumm, die Polizei sowieso“ – und dann kam Mr. Kubrick, der dem Militär mit seiner bösen Satire „Dr. Seltsam…“ einen Schlag in die Magengrube verpasst hatte, und verbeugte sich vor dem Unbekannten. Das war komplett neu.

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    FILMSTARTS: Warst auch du überrascht, dass Stanley Kubrick damals etwas völlig anderes machte, als in seinen vorherigen Werken?

    Jan Harlan: Die Frage lautet: Wie neu ist „2001“ wirklich? Wenn du dir Kubricks Werk genauer anschaust, siehst du eine rote Linie, die alles miteinander verbindet. Es ist ein Blick auf die Zerbrechlichkeit der Menschheit, auf unsere Eitelkeit. Sieh dir „Wege zum Ruhm“ oder „Dr. Seltsam…“ an, bis hin zu „Eyes Wide Shut“ – es ist immer derselbe Fokus. Das ist typisch für großartige Künstler, dass sie sich ein Profil erschaffen, das wiedererkennbar ist. Man erkennt einen Van Gogh, man erkennt Mozart und Bach und man erkennt, ob ein Film von Ingmar Bergman oder von Stanley Kubrick ist. Ich arbeitete 30 Jahre lang mit Kubrick zusammen und bewunderte immer seine totale Konzentration auf den Punkt. Er hatte auch Angst davor, von seinen Emotionen übermannt zu werden, anstatt seinen Intellekt einzusetzen. Deswegen war er so interessiert an Napoleon. Der hatte herausragenden Erfolg, einen überragenden Geist, großartiges Talent … und war dazu absolut töricht und eitel.

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    Steven Spielberg führt ein weiteres Kubrick-Projekt fort

    FILMSTARTS: Steven Spielberg will jetzt für HBO eine Mini-Serie über Napoleon drehen und so Kubricks damals aufgegebenes Filmprojekt fertigstellen…

    Jan Harlan: Ich arbeite eng mit Steven Spielberg zusammen. Er ist wie der Pate für uns, weil er Kubrick auch in gewisser Weise repräsentiert. Er ist das Mastermind für diese sechsstündige TV-Serie für HBO. Und ich denke, Stanley würde das Projekt lieben! Kubrick sollte dazu genötigt werden, das Thema in weniger als drei Stunden abzuhandeln – was nicht genug ist. Man muss diese Figur richtig entwickeln, von Anfang bis Ende. Erst dann sieht man die Tragödie dahinter, Napoleons Eitelkeit und Exzentrik, kombiniert mit Brillanz.

    FILMSTARTS: Glaubst du eigentlich, dass Stanley Kubrick glücklich mit der „Shining“-Hommage in Spielbergs „Ready Player One“ gewesen wäre?

    Jan Harlan: Oh ja, das ist alles fein. Die beiden waren gute Freunde. Die Szene mit den Zwillingen ist total harmlos und lustig. Außerdem ist „Shining“ der einzige Kubrick-Film, der ein bisschen leichter ist. [lacht] Alle anderen Filme sind sehr ernsthaft.

    2001: Odyssee im Weltraum

    FILMSTARTS: Es gibt zahlreiche Bücher über „2001“. In einem aktuelleren steht die These, dass Arthur C. Clarke, der Autor der Buchvorlage, größeren Einfluss auf den Film hatte, als bisher angenommen. Auch das Ende soll seine Idee gewesen sein. Stimmt das?

    Jan Harlan: Ja, Arthur C. Clarke und Stanley Kubrick hatten beide großen Respekt vor der Unendlichkeit des Universums. Natürlich ist da mehr, als wir verstehen. Auf die Frage, ob es intelligentes Leben im All gibt, antwortete Arthur immer gern mit einer Gegenfrage: „Gibt es überhaupt intelligentes Leben auf der Erde?“ [lacht] Nein, für Clarke stand es völlig außer Frage, dass mit 100 Milliarden Sternen allein in unserer Galaxie irgendwo intelligentes Leben existieren muss.

    Christopher Nolan und "2001"

    FILMSTARTS: Katharina, wie kam es eigentlich dazu, dass Christopher Nolan hier in Cannes „2001 – Odyssee im Weltraum“ präsentiert hat und den Film auch selbst restaurierte?

    Katharina Kubrick: So wie ich die Geschichte verstanden habe, arbeitete er in Los Angeles an seinen eigenen Filmen und traf dann Ned Pryce, den Restaurationschef von Warner. Christopher Nolan ist ein so großer Fan und Bewunderer von Stanley Kubricks Arbeit, deshalb war es ihm eine Herzensangelegenheit, bei diesem Projekt dabei zu sein. Das Aufregende daran ist, dass die Menschen den Film nahezu in der Fassung sehen werden, wie ich ihn 1968 gesehen habe – auf der großen Leinwand, in all seiner Pracht und Intensität. Die Kinonerds werden ausflippen! Ich habe vergangenen Abend mit Nolan gesprochen und ihm gesagt: „Ich bin so dankbar, dass jemand mit solch einer Reputation die Sache in die Hand nimmt und repräsentiert.“

    FILMSTARTS: Wenn du dir „2001“ ansiehst, kannst du ausblenden, dass Stanley Kubrick dein Vater war? Oder kommen da ganz automatisch Erinnerungen an die Dreharbeiten hoch?

    Katharina Kubrick: Ich habe den Film jetzt soooo viele Male gesehen, dass ich meine Erinnerungen von den Arbeiten am Set trennen kann. Nach der Schule ging ich in die Studios, nur um meinen Vater zu sehen, lief überall am Set herum. Ich habe meine Meinung zu „2001“ auch einige Mal geändert, jedes Mal, wenn ich ihn sehe, sehe ich etwas, was ich nie zuvor entdeckt habe. Jüngst habe ich „2001“ mit einem Live-Orchester in London geschaut – und plötzlich Anschlussfehler bemerkt, die ich nie zuvor bemerkt hatte.

    FILMSTARTS: Du wirst uns sicher nicht verraten, welche…?

    Katharina Kubrick: Nein. [lacht] Das muss jeder selbst rausfinden. Nach 50 Mal Sehen hast du es raus!

    Aufregung und Durcheinander nach der Premiere 1968

    FILMSTARTS: Als „2001“ damals 1968 in die Kinos kam, waren die Reaktionen der Kritiker zumindest geteilt. Ab wann galt der Film als Meisterwerk? Und wie hat dein Vater darauf reagiert?

    Katharina Kubrick: Ich erinnere mich – mit dem Blick eines 14-jährigen Mädchens – an die Premiere, wo Leute aus dem Film gingen. In der Lobby des Ritz Hotel in New York waren viele Menschen aufgebracht, viele Zeitungsredakteure waren da und liefen aufgeregt umher. Papa fühlte sich nicht gut, Mama war aufgebracht. Ein Durcheinander. Dann erinnere ich mich aber auch noch sehr gut an diesen DJ, der im Radio meinte, „Leute, ihr müsst diesen Film unbedingt sehen.“ Er erzählte es den jungen Leuten, die diesen Film deswegen entdeckt haben. Und plötzlich hatte „2001“ eine Mundpropaganda und es bildeten sich lange Schlangen um die Häuserblocks der Kinos. Die Marketingabteilung sprang auf den Zug auf und warb mit „2001 – Der ultimative Trip“. Sie hatten die Marketingstrategie komplett geändert. Und so wurden Zuschauer belohnt, die offen für Neues waren und kein festgefahrenes Bild über Science-Fiction-Filme im Kopf hatten.

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    FILMSTARTS: Noch einmal zurück zum Meisterwerk…

    Jan Harlan: Sehr, sehr bald galt der Film als Meisterwerk. „2001“ wurde wie schon erwähnt von der jungen Generation gerettet. Stanley bekam auch hunderte von Liebesbriefen von jungen Männern. Und dann war da diese Überzeugung von ihm, dass wir uns selbst zerstören, wenn wir uns weiterhin so verhalten wie bisher. Die Menschheit hat keine Chance zu überleben, dachte er – vielleicht haben wir noch 500 Jahre, oder nur 50?! Die Menschheit wird untergehen. Das ist immer unterschwellig im Film spürbar. Wir werden nicht gerettet werden, weil wir uns selbst zerstören.

    FILMSTARTS: Oder wir können nochmal von vorn anfangen, wie in „A.I. – Künstliche Intelligenz“…

    Jan Harlan: Stanley Kubrick liebte das Projekt „A.I.“ für viele, viele Jahre – und dann gab er die Geschichte Steven Spielberg, weil er glaubte, der sei der bessere Regisseur dafür. Alles fein, ein sehr guter Film. Aber: Es ist dasselbe Thema wie in „2001“ oder auch in „Eyes Wide Shut“ und „Full Metal Jacket“.

    Stanley Kubrick hat sich um alle und alles selbst gekümmert

    FILMSTARTS: Wie war denn dein Vater eigentlich zuhause, Katharina?

    Katharina Kubrick: Es ist schwer zu sagen, weil ich keine Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Vätern habe. Mein Heim war eine Filmschule, eine Kunstschule und ein Malstudio! Überall liefen Kreative herum, die an den Projekten arbeiteten. Ich erinnere mich an eines der Häuser, in dem wir wohnten. Dort hatte ich ein Zimmer ganz oben unter dem Dach. Ich musste an Jans Büro, dem der Produktionssekretärin und einem weiteren vorbei, nur um auf Toilette zu gehen. In unserer Garage hatten die Cutter sich ein Studio eingerichtet. An unserem großen Küchentisch saßen immer sehr viele Leute herum, während mein Vater Sandwiches für alle machte oder meine Mutter kochte.

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    Er war eine Person, die sich um jeden und alles kümmerte. Er wollte seine Familie um sich, abends in seinem eigenen Bett schlafen, dafür sorgen, dass die Katzen nachts zuhause waren, wollte, dass der Golden Retriever okay ist. Und wenn dein Hund krank war, rief er den Tierarzt an, damit es deinem Tier besser geht. Er war ein sehr fürsorglicher und leidenschaftlicher Mensch. Wenn ich mich für irgendwas interessierte, ermutigte er mich immer und brachte mir Dinge bei.

    Er gab mir meine erste Kamera, hat mir gezeigt, wie man fotografiert, gab mir Tonnen von Büchern über Fotografie und Fotografen, über die wir diskutierten, zeigte mir, wie man Negative herstellt. Er war ein sehr geduldvoller und leidenschaftlicher Lehrer. Ich konnte aber auch bei seinen Filmen in die Art Departments gehen und mit den Locationsscouts mitlaufen oder solche Sache. Was auch immer uns interessiert hat, konnten wir umsetzen. Meine Schwester Anya [*1959-2009] war eine Opernsängerin, Vivian [*1960] machte eine Dokumentation über „Shining“ und schrieb die Musik zu „Full Metal Jacket“. Wir waren eine künstlerisch-kreative Familie. Die Arbeitsethik war stark in unserem Haus, es war nicht erlaubt, faul zu sein.

    Stanley Kubricks blieb am liebsten zuhause

    Jan Harlan: Aber er wäre im Leben nicht zum Filmfestival nach Cannes gekommen.

    Katharina Kubrick: … nicht in einer Million Jahre. [lacht]

    Jan Harlan: Alle Menschen kamen zu ihm. Er mochte es nicht, rauszugehen. Er mochte es einfach nicht, zu reisen [Anm. der Red.: Stanley Kubrick hatte schwere Flugangst].

    Katharina Kubrick: Er wollte einfach zuhause [in London] sein. Die Leute sagten, er sei verrückt. Aber das stimmt nicht. Er hatte seine Arbeit, seine Frau, seinen Hund – alles zuhause. Er mochte Fußball und Tennis in Wimbledon, er hatte seine Zeitungen aus Amerika, seine Schwester schickte ihm Videos von American-Football- und Baseball-Spielen. Er stand mit absolut allem in Verbindung und blieb immer ein New Yorker Junge. Wenn er nicht solche Flugangst gehabt hätte, wäre er vielleicht ein paar Mal nach Amerika zurückgegangen.

    FILMSTARTS: Stanley Kubrick ist als Perfektionist bekannt, der immer sehr viele Takes in seinen Filmen drehte. Wie war die Zusammenarbeit am Set für dich? War er wirklich so streng?

    Jan Harlan: Erst einmal denke ich, dass es ein Kompliment ist, wenn man sagt, dass jemand ein Perfektionist ist. So war Bach, so war Mozart. Die ganz großen Künstler versuchen immer, es perfekt hinzubekommen. Manche waren schneller, wie Picasso. Andere waren langsamer, wie Vermeer. Aber beide wollten alles perfekt machen. Doch sicher, Stanley Kubrick war sehr fordernd, das stimmt. Deswegen war es so aufregend, für ihn zu arbeiten. Und manchmal bekam man es tatsächlich hin [lacht]. Er verlangte sich zuallererst selbst sehr viel ab. Bis er zufriedengestellt war, dauerte es sehr lange.

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