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    Kritik zur 2. Staffel "Luke Cage": Oft nahe am Meisterwerk und endlich ein guter Iron Fist

    Ab dem 22. Juni steht die zweite Season von „Luke Cage“ auf Netflix bereit. Wir haben alle 13 Episoden bereits gesehen und sind trotz mehrerer, teilweise auch eklatanter Schwächen begeistert…

    Netflix

    Getragen von den Rap-Beats aus dem im örtlichen Zentrum der Serie stehenden Club Harlem’s Paradise überzeugte die erste Staffel von „Luke Cage“ vor allem durch ihre Atmosphäre. Die Story blieb bei der fast schon zweigeteilten Geschichte jedoch auf der Strecke und die zweite Season scheint erst einmal daran anzuknöpfen. Auch wenn in Harlem’s Paradise nun zu Beginn die Gitarrenriffs dominieren, liefern die dortigen Auftritte einmal mehr den Hintergrund für ein eindrucksvoll-atmosphärisches Portrait des Lebens im New Yorker Viertel Harlem. Doch erneut scheint die Story dafür zurückstecken zu müssen – bis sich nach und nach erschließt, wie gekonnt die Macher alles vorbereiten, um später umso besser darauf aufzubauen.

    Angeknüpft wird dabei an „The Defenders“. In einer Zeit noch viele Monate vor dem Ende eines gewissen „Infinity War“ muss Luke Cage (Mike Colter) mit seinem Status als gefeierter Held von Harlem klarkommen. Vor allem ist er frustriert, dass Mariah Dillard (Alfre Woodard) weiter über Harlem regiert und mit ihrem Geliebten Shades (Theo Rossi) ihre dunklen Geschäfte noch ausbaut. Den Ärger, sie nicht stoppen zu können, teilt er mit Polizistin Misty Knight (Simone Missick), die zudem mit dem Verlust ihres Armes fertig werden muss. Doch dann ändert sich alles, als ein jamaikanischer Gangster, der sich nur Bushmaster (Mustafa Shakir) nennt, die Bildfläche betritt. Er ist fest entschlossen, Harlem zu übernehmen und dafür will er Mariah und Luke vernichten…

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    Die Nebenfiguren dominieren

    Eigentlich ist Luke Cage in der Netflix-Serie ein ziemlich langweiliger Held. Mit seiner kugelsicheren Haut lässt er sich von seinen Gegnern abballern, bis diese ihre Kugeln verschossen haben. Mit seinen übermenschlichen Kräften gibt er ihnen dann einen Schlag auf den Schädel oder wirft sie durch die Gegend, so dass sie bewusstlos in der Ecke liegen. Wie geht man damit um? Natürlich haben die Macher um Chefautor Cheo Hodari Coker ihrem Titelhelden ein paar Probleme auf den Leib geschrieben, um ihn interessanter zu gestalten, aber ihr bester Kniff ist es, ihm einfach ganz viele interessante Nebenfiguren zur Seite zu stellen.

    Denn diese dominieren die zweite Season von „Luke Cage“. Selbst kleine Figuren wie Lukes Vater (die kürzlich verstorbene „The Wire“-Legende Reg E. Cathey mit einer sensationellen Performance), der windige Anwalt Piranha Jones (Chaz Lamar Shepherd) oder Ex-Häftling Comanche (Thomas Q. Jones) bekommen interessante Plots spendiert. Ein Highlight ist dabei Fiesling Shades, der in der ersten Season weit hinter seinem Potential zurückblieb. Nun halten die Macher für Shades (und übrigens noch viele andere Beteiligte) in der zweiten Hälfte der zweiten Season eine wahre Achterbahnfahrt bereit, auf der der Zuschauer ihn teilweise verabscheuen kann, um dann wieder Mitleid zu haben. Dabei kann „Sons Of Anarchy“-Star Theo Rossi endlich zeigen, was in ihm steckt. Er steht exemplarisch für den Umgang mit Bösewichten in der zweiten Season.

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    Die Bösewichte sind das Salz in der Suppe

    Denn was für alle Nebenfiguren gilt, gilt besonders für die Bösewichte. Sie sind das Salz in der Suppe, gerade weil es nicht die klassischen Marvel-Widersacher sind. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen in der zweiten Staffel von „Luke Cage“ ohnehin nach und nach immer mehr – besonders konsequent dann am Ende. Das führt auch dazu, dass sich stetig neue Allianzen bilden und immer wieder Figuren im einen Moment Seite an Seite kämpfen, nur um kurz darauf wieder zu Erzfeinden zu werden.

    „Bushmaster“ John McIver sticht hier heraus. Wie so oft bei Marvel-Filmen und -Serien bedient man sich nur lose an der Comic-Vorlage, um eine eigene, komplexe Figur zu erschaffen. Die wirkt auf den ersten Blick mal wieder nach der so oft erprobten Kopie des Helden: ähnliche Fähigkeiten, aber dank Schnelligkeit ein besserer Kämpfer und damit überlegen. Doch nach und nach, sehr langsam, aber sehr konsequent, wird die Figur entblättert und bekommt ihre eigenen Seiten. Das trifft besonders auch wieder auf Harlems Verbrecherkönigin Mariah Dillard bzw. Stokes zu, die ihr altes Leben hinter sich lassen und komplett in die Legalität wechseln will. Aber auch auf diesem Weg gibt es natürlich zahlreiche Wendungen.

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    Humor und "Deadpool"-Anklänge zur Auflockerung

    „Luke Cage“ ist dabei wie in der ersten Season wieder aufgeladen mit gesellschaftskritischem Subtext, was der Serie zusammen mit der Gewalt im Kampf um die Vorherrschaft in Harlem natürlich eine gewisse Schwere verleiht. Das kontern die Macher jedoch mit wohldosiertem Humor, der bisweilen überraschend selbstreferenziell ist. Das ist eher subtil und bei Weitem nicht so massiv wie bei „Deadpool“, aber Anklänge an den Meta-Comic-Actioner sind nicht zu übersehen – er wird sogar direkt zitiert.

    An anderer Stelle verweist Luke so auch darauf, wie sich sein „Defenders“-Mitstreiter Iron Fist (Finn Jones) verändert hat. Ja, dieser mischt hier mit, was keine Überraschung ist, schließlich wurde es schon im Vorfeld groß angekündigt. Der Auftritt selbst ist relativ kurz, aber das Zitat mit der Veränderung passt: Denn man hat die vielkritisierte Figur einfach mal komplett überarbeitet und präsentiert uns nun einen viel entspannteren, gelösteren Helden, der so mit Luke ein wunderbares Doppel abgibt. Das dürfte Fan-Hoffnungen auf ein gemeinsames „Heroes For Hire“-Spin-off weiter befeuern – zumal es ausdauernd Verweise auf diesen Titel gibt.

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    Episodenbrüche als größte Schwäche

    Bei dem Auftritt von Finn Jones sind wir aber auch bei einer der größten Schwächen der zweiten Season. Netflix wird oft dafür gerühmt, dass die auf einen Schlag zur Verfügung gestellten Staffeln im Endeffekt ein ultra-langer Spielfilm sind. Doch bei „Luke Cage“ sind – wie schon bei den anderen Marvel-Serien – gerade die Brüche zwischen den einzelnen Episoden unübersehbar, was vor allem dazu führt, dass Figuren quasi von einer Folge zur nächsten komplett verschwinden. Das ist sicher den in den USA meist sehr komplexen Vertragssituationen geschuldet, aber es ist bisweilen störend, wenn komplette Handlungsstränge von Personen in eine feste Anzahl von Episoden gequetscht werden müssen, sie danach aber überhaupt nicht mehr auftauchen.

    Dass ein Gaststar in einer Folge mal kurz vorbeischaut, kommt deswegen eigentlich gar nicht vor. Entweder es gibt eine wichtige Handlung um diese Figur, dann ist sie auch richtig präsent. Dann ist diese Handlung aber abgeschlossen und sie fehlt danach komplett, taucht also überhaupt nicht mehr auf. An einer (ziemlich peinlichen) Stelle wird sogar so getan, als wäre die Figur gerade Off-Kamera doch in der Szene. Besonders negativ fällt dieses Problem bei Rosario Dawsons Claire Temple ins Gewicht, für die sich die Macher jedoch auch keine interessante Nebengeschichte ausgedacht haben und sie daher ziemlich schnell aufs Abstellgleis schieben, weil sie einfach nichts mit ihr anfangen können.

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    Langsamer Aufbau, starkes Finale und Fehler dazwischen

    Im Übrigen machen die Autoren und Regisseure ziemlich viel ziemlich richtig. Dazu gehört auch der für die Marvel-Netflix-Serien erneut sehr ruhige und sehr langsame Aufbau in den ersten Episoden. Der zahlt sich voll aus, denn was hier gesät wird, können die Macher später ernten und so in den finalen Episoden immer wieder kurzzeitig das Tempo anziehen und dabei auf komplexe Figuren mit vielschichtigen Charakterzügen zurückgreifen. Das gipfelt in einem richtig starken Finale.

    Dass die zweite Season von „Luke Cage“ zwar die bisher beste zweite Staffel einer Marvel-Netflix-Serie, aber eben kein Meisterwerk ist, ist einigen teilweise ärgerlichen Fehlern geschuldet. Da kommen in einer hochklassigen Sequenz kurzzeitig Computereffekte zum Einsatz, die so misslungen sind, dass sie den Zuschauer aus der Handlung reißen können. Und so herausragend die Schauspielerriege ist: In einigen Szenen rutschen gerade Mike Colter und Alfre Woodard dann eine Spur zu sehr in aufgesetztes Overacting ab.

    Fazit

    Die starke zweite Staffel von „Luke Cage“ macht vor allem eins: Lust auf noch mehr!

    Wichtig: Unsere Kritik bezieht sich die auf uns von Netflix zur Verfügung gestellte englische Originalfassung. Das ist hier besonders wichtig, denn wir möchten uns gar nicht vorstellen, wie das eigenwillige Englisch der Jamaikaner oder die verschiedenen Slang-Ausdrücke der verschiedenen Bewohner von Harlem synchronisiert wurden (schon in der ersten Season war das ziemlich grenzwertig). Zudem werden Aussprache und Betonung von vielen Schauspielern hier noch stärker für die Darstellung ihrer Figuren genutzt, was in einer Synchro zumindest teilweise verloren geht.

     

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