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    Verstörender Psycho-Trip: Darum ist "Sharp Objects" eine der besten Serien 2018

    Für „Sharp Objects“ hat HBO eine ganze Reihe hochkarätiger Talente zusammengetrommelt. Wir haben die komplette Miniserie bereits gesehen und klären euch zum deutschen Pay-TV-Start über ihre vielen Stärken auf – denn Schwächen gibt es fast keine.

    HBO

    Nach langer Zeit in die Heimat zurückzukehren (sollte man sie denn mal hinter sich gelassen haben), ist für viele wohl mit gemischten Gefühlen verbunden. Schöne Erinnerungen und ein anheimelndes Gefühl von Geborgenheit und (mitunter auch verklärender) Nostalgie treffen auf zwischenmenschliche Reibereien und das gedankliche Aufwärmen von Dingen, die man vielleicht lieber hinter sich gelassen hätte. Ganz ähnlich erlebt es auch die geschundene Hauptfigur aus „Sharp Objects“ – nur mit wesentlich weniger positiven Erinnerungen als bei den meisten. Durch und durch positiv fallen dafür die Meisterleistungen vor und hinter der Kamera der neuen HBO-Miniserie aus.

    Darum geht's in "Sharp Objects"

    Die ehrgeizige Journalistin Camille Preaker (Amy Adams) wird von ihrem Chef (Miguel Sandoval) in ihre kleine Heimatstadt Wind Gap geschickt. Dort soll sie nicht nur über die Morde an zwei jungen Mädchen berichten, sondern nach schweren mentalen Problemen auch durch die Konfrontation mit ihrer eigenen traumatischen Vergangenheit weiter therapiert werden. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft droht der Plan, nach hinten loszugehen. Unter dem kritischen Blick ihrer abweisenden Mutter Adora (Patricia Clarkson) und im ständigen Kampf mit ihren ganz eigenen Dämonen stößt Camille auf der Suche nach der Wahrheit schon bald an ihre Grenzen.

    Irgendwo zwischen Traum und Albtraum

    Verträumt gleitet die Kamera in den ersten Minuten von „Sharp Objects“ durch das verschlafene Örtchen Wind Gap. Trostlos und doch irgendwie einladend fliegen die Häuserfassaden an der jungen Camille (perfekt besetzt: „Es“-Jungstar Sophia Lillis) und ihrer Schwester Marian (Lulu Wilson, „Annabelle 2“) vorbei, die auf Rollschuhen eine gemeinsame Freiheit genießen, die ihnen ihre unwissende kontrollsüchtige Mutter nicht gönnen will. Die Szene entpuppt sich letztlich als Erinnerung der erwachsenen Camille, die fließend in einen Traum übergeht bzw. die ganze Zeit schon Traum war, an eine längst vergangene Zeit – und die einzigen wirklich unbeschwerten Momente in dieser. Wenig später erfahren wir, dass Camille schon kurz darauf ihre Schwester und damit eines der wenigen guten Dinge in ihrem jungen Leben verloren hat, was ihre Jugend endgültig zur Tortur gemacht und bald tiefe Narben (seelische wie selbst zugefügte tatsächliche) hinterlassen hat.

    Die Atmosphäre ist schon beim Einstieg zum Schneiden. Das eingangs erwähnte ambivalente Heimkehr-Empfinden ist in „Sharp Objects“ Programm. Die bisweilen gar surreale Stimmung, in der die letzten wohligen Anklänge nach und nach einem steten Unbehagen und dem Gefühl düsterer Vorahnungen weichen, ist prägend für die gesamte Serie. Dass es unter der unscheinbaren Oberfläche von Wind Gap, wo offenbar nur die wenigsten der Einwohner gerne leben, brodelt, ist schnell klar. Die zwei grausamen Mädchenmorde sind da nur die Spitze des Eisbergs. Überdeutlich ausbuchstabiert wird hier allerdings wenig, es bleibt oftmals bei unheilvollen, aber nicht minder aufwühlenden Andeutungen. Sinnbildlich ist hier auch das stattliche Anwesen von Camilles Familie, das einerseits (sowohl in Vergangenheit als auch Gegenwart) wiederholt als Zufluchtsort dient, im Inneren aber auch immer wieder beklemmender, bisweilen gar unheimlicher Schauplatz von Leid, Unterdrückung und Ablehnung ist.

    Meisterlich inszenierte Charakterstudie

    Hauptverantwortlich für das ganz eigene faszinierende Flair von „Sharp Objects“ ist „Dallas Buyers Club“-Regisseur Jean-Marc Vallée, der damit direkt nach „Big Little Lies“ sein zweites HBO-Serienhighlight abliefert. Ähnlich wie schon in seinem oscarnominierten Selbstfindungs-Drama „Der große Trip - Wild“ nutzen Vallée und das sechsköpfige Cutter-Team (zu dem auch er selbst unter dem Pseudonym Jai M. Vee gehört) jede Menge assoziativ geschnittene Rückblenden, die oftmals nur für kurze Momente elegant in die Gegenwart eingeflochten werden. Durch diese virtuose Kontextualisierung des Geschehens und der Beziehungen von Figuren holt Vallée auf absolut unaufdringliche und natürliche Weise das Maximale aus seinen Szenen raus. Famose Vorarbeit liefern aber schon Buchvorlagen-Autorin Gillian Flynn (die unter anderem auch den ähnlich abgründigen „Gone Girl“ geschrieben hat) und Serien-Schöpferin Marti Noxon („To The Bone“, „Buffy“).

    In „Sharp Objects“ passiert im Grunde nicht viel und doch jede Menge. Die Nachforschungen in den Mordfällen werden über weite Strecken zweitrangig (laufen aber dennoch bis zu ihrer erschütternden Auflösung im Hintergrund immer spannend mit). Vielmehr dienen sie jedoch als roter Faden, an dem entlang das immer dichter werdende Porträt einer gezeichneten Frau gesponnen wird, die Wodka wie Wasser trinkt und die die schonungslose Konfrontation mit ihrer Vergangenheit beinahe um den Verstand bringt – woran man als Zuschauer aufgrund der (fast) ausschließlich durch ihre Augen wahrgenommenen Geschichte ganz unmittelbar Anteil hat. Trotz allem zwingt sich Camille dazu, in Wind Gap zu bleiben, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen und bei ihrer undurchsichtigen Teenager-Halbschwester Amma (Newcomerin Eliza Scanlen) das wieder gut zu machen, was sie glaubt, bei der verstorbenen Marian einst versäumt zu haben.

    Duell zweier Hochklasse-Schauspielerinnen

    Die einmal mehr zu Höchstform auflaufende (und inzwischen fünffach oscarnominierte) Amy Adams bringt uns das Leid, aber auch den Ehrgeiz von Camille allein schon durch ihre Körpersprache unglaublich nahe. „Sharp Objects“ ist generell eine Serie der leiseren Töne. Laute Gefühlsausbrüche gibt es selten, Gemütszustände werden primär durch vielsagende Gesten und Blicke veranschaulicht, die an vielen Stellen einen wesentlich intensiveren und noch länger nachhallenden emotionalen Effekt erzielen, ohne dass die Serie jemals gefühlsduselig werden würde. Wie Adams „ihre Mutter“ Patricia Clarkson („Maze Runner“, „House Of Cards“) nach einer schockierenden Enthüllung gegen Ende einfach nur mit ihren Bände sprechenden Augen konfrontiert, sorgt für einen absoluten Gänsehautmoment. Clarksons Adora, deren vorgeschobene sanfte Art im krassen Gegensatz zu ihren diabolischen Spitzen steht, ist als Gegenpart zu Camille nicht nur aufrichtig hassenswert, sondern irgendwann auch regelrecht furchteinflößend.

    Fazit

    Feinfühlig, subtil und ziemlich verstörend: „Sharp Objects“ geht unter die Haut und sichert sich schon jetzt einen Platz unter den besten Serien 2018.

    Sharp Objects“ feiert am heutigen 30. August 2018 seine deutsche Premiere bei Sky Atlantic, wo immer donnerstags um 20.15 eine der insgesamt acht Folgen zu sehen ist. Parallel dazu steht die Miniserie aber auch zum flexiblen Abruf über die Streaming-Dienste Sky Ticket, Sky Go und Sky On Demand bereit.

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