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    So entsteht eine deutsche Netflix-Serie: Unser Interview zu "Dogs Of Berlin"

    Mit „Dogs Of Berlin“ feierte kürzlich die zweite deutsche Netflix-Serie ihre Premiere. Zum Start sprechen wir mit Regisseur und Autor Christian Alvart über „sein Baby“ und die Zusammenarbeit mit einem experimentierfreudigen Streamingdienst.

    Netflix

    Nach dem großen Erfolg der ersten deutschen Netflix-Serie „Dark“ will der Streaming-Anbieter mit seiner zweiten hiesigen Produktion „Dogs Of Berlin“ nun daran anknüpfen. Mit Christian Alvart hat man sich dafür jemanden ins Boot geholt, der nicht nur schon einschläge Hollywood-Erfahrung („Pandorum“, „Fall 39“) vorzuweisen, sondern auch mit seinen hiesigen Filmen wie „Antikörper“, „Abgeschnitten“ oder auch den Til-Schweiger-Tatorten ein Händchen für große Bilder bewiesen hat. Uns verrät der Filmemacher im Interview in Berlin, wie „Dogs Of Berlin“ überhaupt zu Stande gekommen ist, welche Vorteile die Arbeit mit Netflix bietet und wie es denn mit zukünftigen Projekten wie einer zweiten „Dogs“-Staffel oder der schon lange geplanten „Captain Future“-Realverfilmung aussieht.

    FILMSTARTS: Große mediale Aufmerksamkeit ist ja längst nichts Neues mehr für dich, man denke nur mal an deine „Tschiller“-Tatorte mit Til Schweiger. Lastet auf einem dann trotzdem ein besonderer Druck, wenn man eine Netflix-Serie macht, gerade wenn es sich dabei um eine der ersten deutschen Netflix-Serien handelt?

    Christian Alvart: Nein. Ich bin natürlich wahnsinnig gespannt auf die Reaktionen, auch wie es weltweit angenommen wird. Und wenn es jetzt überwältigend negativ wäre, dann würde mich das natürlich auch belasten, aber ich will da mal Optimist sein. Den Druck gibt es höchstens beim Ausdenken, wenn man tatsächlich den Zuschlag bekommen hat und jetzt ordentliche Arbeit abliefern muss.

    FILMSTARTS: Immerhin wird das Ergebnis dann in 190 Ländern weltweit gezeigt. Sorgt der Gedanke bei der Arbeit nicht irgendwie für ein besonderes Gefühl?

    Christian Alvart: Nur wenn was nicht gelingt. Wenn es mal nicht so ein guter Drehtag war, weil das und das nicht funktioniert hat oder hierfür kein Geld mehr da war. An so einem Tag denkt man dann vielleicht mal an die vielen Zuschauer. Aber egal, wie andere das rezipieren oder wie Kritiker das sehen, ich habe ja meine eigene Theorie vom Filmemachen. Diesem Anspruch möchte ich zuallererst genügen und der ist in meiner Geschmacksskala sehr hoch. Ich will selbst stolz sein und das bin ich bei „Dogs Of Berlin“ total.

    FILMSTARTS: Hast du dich denn mal mit [den „Dark“-Machern] Baran bo Odar und Jantje Friese ausgetauscht?

    Christian Alvart: Nein, wir kennen uns nicht. In der Branche bin ich quasi noch immer ein Außenseiter. Ich komme ja vom Amateur-Film und habe das nicht studiert. Der Hauptunterschied liegt aber nicht immer im Handwerk, sondern beim Netzwerk. Als ich aus Amerika zurückkam, war ich hier plötzlich in einer Branche, wo ich niemanden wirklich kannte. Das ändert sich jetzt erst über die Jahre. Und bei der dritten deutschen Netflix-Serie „Die Welle“ sieht es vielleicht schon anders aus, da kriege ich mehr mit. [Produzent] Dennis Gansel kenne ich nämlich gut.

    Stefan Erhard / Netflix

    FILMSTARTS: Wie ist „Dogs Of Berlin“ überhaupt zustande gekommen? Wie hat alles angefangen?

    Christian Alvart: Das war schon 2009, als Roman. Nach zweieinhalb Kapiteln habe ich aber gedacht, dass es eher was Visuelles ist. Auf einen Spielfilm war das aber nicht runterzubrechen, also musste es eine Serie sein. Ich war jedoch zu wenig vernetzt, um zu wissen, wo man so eine Serie 2009 in Deutschland überhaupt unterbringen kann. Trotzdem habe ich daran festgehalten und das Pilotdrehbuch geschrieben, bis auf zwei, drei Sätze im Grunde schon so, wie es jetzt auch ist. Dann habe ich noch eine Aussicht auf die anderen Folgen geschrieben und das dann erstmal weggelegt und immer mal rausgeholt, wenn ich wieder eine Idee hatte, aber alles ohne Auftraggeber. Über meine NDR-Zusammenarbeit beim Schweiger-„Tatort“ habe ich dann angefangen, auch mal bei der ARD vorzufühlen, ob die sowas interessiert. Die fanden das zwar total spannend, wussten aber nicht, wie man es bei ihren Strukturen umsetzen und in ihrem Programm unterbringen sollte. Wenn du aus Jugendschutzgründen etwa erst nach 22 Uhr landest (was hier auf jeden Fall passiert wäre), gibt es auch ein anderes Budget als bei 20 Uhr, dann muss alles sehr viel billiger sein.

    Und mitten in diesen Überlegungen kam dann die Anfrage von Netflix, die über Facebook gefragt haben, ob ich einen Stoff habe. Da war das große Glück, dass ich sofort was hinschicken konnte. Das war 2015, da gab es auch noch kein „Dark“. Dann bin ich nach Marseille geflogen und habe mit denen über die Serie gesprochen und sie waren sehr daran interessiert. Aber ich steckte zu dem Zeitpunkt mitten in den Vorbereitungen für eine Doppelfolge „Tatort“, den Kino-„Tatort“ „Tschiller: Off Duty“, „Abgeschnitten“ und „Steig. Nicht. Aus!“. Deswegen hat es nochmal drei Jahre gedauert, bis wir dann wirklich loslegen konnten. Und ich hatte die ganze Zeit Angst, dass Netflix das Interesse verliert, weil ich in diesem frühen Stadium ja noch keine feste Zusage hatte.

    FILMSTARTS: Man hört ja immer von den großen Freiheiten, die Netflix Film- und Serienmachern gewährt. Ist es denn in der Praxis wirklich so, dass sie dir Geld in die Hand drücken und sagen „mach mal“ oder wie kann man sich den ganzen Prozess so vorstellen?

    Christian Alvart: Nein, das wäre wohl sehr unprofessionell, wenn es so bliebe. Es kann sein, dass es bei den ersten Aufträgen vielleicht so war. Aber du brauchst einfach einen Ansprechpartner. Du musst mit jemandem beim Produzenten und Einkäufer, also in diesem Fall Netflix, reden, Feedback kriegen und dich einigen, da sie es ja auch selbst vermarkten und dahinter stehen müssen. Und wenn du da völlig an deren Geschmack und Interesse vorbeiproduzierst, wäre das Blödsinn. Du hast also inzwischen auf jeden Fall eine Redaktion, mit der du zusammenarbeitest. Aber es gibt eine Grundhaltung, die sehr respektvoll ist: „Wir wollen deine Show machen, nicht unsere.“

    FILMSTARTS: Also hat man die kreative Freiheit, bekommt aber Input.

    Christian Alvart: Genau. Es gibt Absprachen, Feedback, Notes und auch Hinweise auf das internationale Publikum. Keiner weiß eigentlich, wie das alles in drei, vier Jahren sein wird. Es gibt sehr viele Theorien, aber alle – egal, ob Netflix oder Amazon – sind dabei, Abläufe zu testen. Das merkt man sowohl auf der technischen als auch auf der Redaktionsseite, da ändert sich alles alle paar Wochen. Eine der großen Konstanten war Veränderung.

    FILMSTARTS: Und inwiefern unterscheidet sich die Arbeit im Vergleich zu herkömmlichen Film- und TV-Produktionen?

    Christian Alvart: Für mich ist das nicht so ein Riesenunterschied, weil ich mit meinen Erfahrungen sehr viel Glück hatte. Es ist immer eine individuelle Erfahrung. Wenn man nicht mit seinem Redakteur kann, ist es egal, ob der bei Sat.1 oder Netflix sitzt. Wenn man sich aber mit jemandem versteht, dann kann es auch sein, dass man im ZDF eine sensationelle Erfahrung macht.

    FILMSTARTS: Gibt es trotz aller Freiheiten denn trotzdem auch bei Netflix gewisse Rahmenbedingungen für den Aufbau einer Serie, an die man sich halten muss?

    Christian Alvart: Es gibt zumindest Wünsche. Das kann sich aber ändern, sobald man ein Konzept vorlegt, das begeistert. Netflix ist auch noch jung genug, um sich nicht zu starr an diese 8-, 10- oder 13-Folgen-Vorgaben zu halten, die es durchaus gibt. Wenn ich jetzt einen Vierteiler pitchen würde, bei der jede Folge nur zehn Minuten lang ist, und die verstehen warum, kann man das denen glaube ich gut vorstellen. Da ist einfach noch Lust am Experimentieren.

    FILMSTARTS: Wurde von Netflix-Seite denn auch Wert auf das Fortsetzungspotential deiner Serie gelegt?

    Christian Alvart: Ja und ich habe auf jeden Fall auch den Wunsch nach mehreren Staffeln und habe auch schon ein Gesamtkonzept, da ich es nicht mag, loszulegen und nicht zu wissen, wohin die Reise geht. Ich möchte, dass man das nochmal schauen kann und merkt, dass jemand in der ersten Folge wusste, wie die letzte Folge endet. Aber jetzt muss man erstmal sehen, wie es ankommt und ob ich das dann auch wirklich darf.

    Stefan Erhard / Netflix

    FILMSTARTS: Trotz des tollen Arbeitsklimas ist wahrscheinlich nicht alles Zuckerschlecken, nachdem man grünes Licht bekommen hat. Was waren denn so die größten Herausforderungen bei „Dogs Of Berlin“?

    Christian Alvart: Die größte ist auf jeden Fall, einfach eine Menge umzusetzen. Wir haben uns da viel vorgenommen, 100 Drehtage am Stück für zehn Folgen. Das bedeutet, dass du zehn Tage pro Folge hast, bei der Menge an Stoff sind das etwa sechs Spielminuten am Tag, für die man drehen muss. Und das ist für so eine Produktion wirklich viel, vor allem wenn es keine Dialoge am Schreibtisch sind, sondern es auch auf den Straßen spielt und man zum Beispiel 300 Komparsen bei einer Schlägerei im Kunstregen mitten im Winter hat. Das war sehr, sehr anstrengend. 100 Tage sind viereinhalbmal so lang wie ein „Tatort“, das ist einfach eine ganz andere Reise.

    FILMSTARTS: Aber du würdest sie trotzdem nochmal machen?

    Christian Alvart: Nach einer Pause, ja. Es gibt Projekte, die mache ich wegen der Story oder aus Liebe zum Genre, wie bei „Abgeschnitten“. Bei „Dogs“ ist es so, dass ich diese Figuren alle total liebe und gerne Zeit mit ihnen verbringe, wie bei Serien, die ich selbst nur gucke. Und die Menschen, die sie spielen, sind auch alle spannend, die sehe ich ja auch nicht dauernd. Auch um sie wiederzusehen, reizt mich daher der Dreh, egal wie anstrengend er ist. Es sind einfach tolle Menschen, tolle Hunde.

    FILMSTARTS: Aktuell spielen immer mehr Serien in Berlin. Was war für dich der besondere Reiz an der Hauptstadt?

    Christian Alvart: Die Frage nach dem Schicksal und den Privilegien, die uns per Geburt mitgegeben werden, kann man hier einfach wunderbar aufgreifen. In unserer Debatte in der Gesellschaft benutzen wir ja auch immer wieder Bilder über Berliner Stadtteile. Um daran teilzunehmen, kann man einfach mit gewissen Codes arbeiten, die überall verstanden werden. Diese schmerzende Ungerechtigkeit, dass wir alle in unser Schicksal hineingeboren werden, in unseren Körper, unsere Zeit, uns das nicht aussuchen können, aber einfach in die Welt geschubst werden, ist so schön in Berlin personifiziert. Maximilian von und zu in Zehlendorf, Mehmet in Neukölln oder Kevin in Marzahn, das sind natürlich alles verdichtete Schlagworte, aber trotzdem kann man damit arbeiten. Und dass so viel in Berlin spielt, war 2009 ja auch noch gar nicht abzusehen. Wir haben dann überlegt, ob wir es ändern sollen, um dieser Frage auszuweichen, aber ich finde es einfach stark genug und absolut nicht so schlimm. Guck dir an, wie viele Filme in New York und L.A. spielen.

    FILMSTARTS: Aber wenn schon das reale Berlin, warum dann ein fiktives Gebiet namens Kaiserwarte zum Brennpunkt machen?

    Christian Alvart: Weil wir über einen Clan sprechen und im realen Berlin reale Straßen zu realen Clans gehören. Ich wollte mich nicht damit auseinandersetzen müssen, dass ein bestimmter Clan denkt, er sei gemeint. Ich möchte keine Aussage über einen bestimmten Clan treffen, der in einer bestimmten Straße regiert – weder im Guten noch im Schlechten. Kaiserwarte klingt so, als könnte es diese U-Bahnstation in Berlin wirklich geben. Und die Inspiration habe ich mir bei der Serie „The Shield“ geholt. Da haben sie den Stadtteil Farmington in L.A. erfunden und hatten damit große Freiheiten. Genau sowas wollte ich für Berlin.

    FILMSTARTS: Und ganz abseits von „Dogs Of Berlin“: Wann kommt eigentlich „Captain Future“?

    Christian Alvart: Ich habe gerade eine große letzte Pitchrunde dazu hinter mir, wo ich aber noch nicht weiß, was das Ergebnis ist, sonst würde ich es auch ankündigen. Kann aber auch sein, dass es nichts wird, wir brauchen sehr viel Geld.

    Alle zehn Folgen der ersten „Dogs Of Berlin“-Staffel können seit dem 7. Dezember 2018 bei Netflix abgerufen werden.

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