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    Wie "Schindlers Liste" die Karriere von gleich zwei Regie-Legenden veränderte

    Am 27. Januar kommt „Schindlers Liste“ noch einmal in die Kinos, am 28. März erscheint der Film auch in neuem Glanz fürs Heimkino. Anlass für uns, um noch einmal auf eine besondere Geschichte hinter dem Film zurückzublicken.

    Universal Pictures

    Bereits in den 1960er Jahren gab es erste Versuche, die wahre Geschichte hinter „Schindlers Liste“ zu verfilmen, in den 1980er landete das Projekt schließlich bei Steven Spielberg, nachdem zwischenzeitlich bereits ein Buch erschienen war. Für den Meisterregisseur war klar, dass dieser Stoff auf die Leinwand gehört. Doch er, der gerade „E.T.“ in die Kinos gebracht hatte, sah sich noch nicht bereit. Er fühlte sich nicht „erwachsen“ genug für den Stoff. Daher fasste er den Entschluss: In spätestens zehn Jahren werde er den Film in Angriff nehmen.

    Doch eine Dekade beantwortete Steven Spielberg die Frage, ob er als Blockbuster-Regisseur wirklich der Richtige für so einen ernsten Stoff, der ihm, selbst ein Jude, auch noch persönlich sehr nahe geht, ist, weiter mit einem klaren „Nein!“

    "Die Farbe Lila": Spielberg wird ernst

    Mit „Die Farbe Lila“ inszenierte Spielberg erst einmal einen anderen schweren Stoff, bei dem zumindest die persönliche Betroffenheit fehlte. Das Rassismus-Drama war ein voller Erfolg, schlug beim Publikum ein und wurde für elf Oscars in nahezu allen erdenklichen Kategorien nominiert – einer wurde aber übergangen: Regisseur Steven Spielberg. Der war in seiner Karriere zwar schon drei Mal nominiert, sein Ego war aber wohl trotzdem getroffen. Die persönliche Anerkennung seiner Leistung blieb ihm verwehrt, fast so, als wären alle anderen dafür verantwortlich, dass der Film so gut wurde, aber nicht der Regisseur. Dass man ihm bei den Oscars im Folgejahr den Irving G. Thalberg Memorial Award überreichte, den Ehrenpreis für Produzenten (!), dürfte für Spielberg erst recht Hohn gewesen sein. Die Botschaft: In den Augen Hollywood war er kein kreativer Regisseur, sondern ein geschäftstüchtiger Produzent.

    Spielberg legte mit „Das Reich der Sonne“ gleich noch einen weiteren ernsten Film nach, der für sechs Oscars nominiert wurde (Spielberg wieder nicht als Regisseur), aber beim Publikum floppte. Der Filmemacher sah sich in seinem Zweifel bestätigt: Er ist nicht der richtige Mann, um „Schindlers Liste“ zu inszenieren.

    Neuer Regisseur gesucht

    Spielberg, der über die Jahre hinweg mehrere Drehbuchautoren an „Schindlers Liste“ arbeiten ließ und im Verlauf der 1980er Jahre schon Schauspieler wie Kevin Costner, Mel Gibson, Harrison FordWarren Beatty und den Schweizer Bruno Ganz für die Hauptrolle im Sinn hatte, suchte die ganzen Jahre über bereits fieberhaft nach einem anderen Regisseur. Schon 1984, also noch vor „Die Farbe Lila“, versuchte er Billy Wilder, der 1933 selbst vor den Nazis aus Deutschland geflohen und über Paris in die USA emigriert war, aus dem Ruhestand zu holen, um die Regie zu übernehmen. Doch der sah in Spielberg den perfekten Mann für den Job und bot nur an, ihn gerne mit kritischen Kommentaren zum Skript zu unterstützen.

    In den Folgejahren lehnten erst Sydney Pollack und dann auch Roman Polanski trotz energischen Werbens von Spielberg den Job ab. Polanski, dessen Mutter in Auschwitz von den Nazis getötet worden war und der das Krakauer Ghetto überlebt hatte, sah sich noch nicht bereit für den Stoff. Er inszenierte später „Der Pianist“. Auch Sidney Lumet erteilte nach kurzer Bedenkzeit eine Absage.

    Martin Scorsese, übernehmen Sie

    Steven Spielbergs guter Freund Martin Scorsese bereite der Suche schließlich ein Ende und erklärte sich 1988 bereit, „Schindlers Liste“ zu inszenieren. Beide Regisseure sind seit ihren Anfangstagen in Hollywood befreundet und gehörten damals zu einer losen Clique von Filmemachern, die sich viel unterstützten, gegenseitig mit Ratschlägen versorgten und dem anderen auch mal mit ein paar Drehbuchzeilen aushalfen, seit sie ab Anfang der 1970er ungefähr parallel die Traumfabrik erobert hatten. Scorsese sagte genau deswegen auch zu. Er wollte dem Freund helfen, weil er wusste, wie wichtig es diesem war, dass diese Geschichte fürs Kino erzählt wurde.

    Doch nach der Zusage kam Spielberg neuerlich ins Zweifeln. Hatte er sich vorher nicht „erwachsen“ genug für den ihm so wichtigen Film gefühlt und Angst gehabt, es zu verbocken, trauerte er nun über einen Verlust. Später erzählte er in einem Interview, dass er den Film nach der Abgabe an Scorsese sofort „vermisste“ und sagte: „Ich habe die Chance weggeben, einen Film für meine Kinder und meine Familie über den Holocaust zu machen.

    Ein Projekttausch

    Doch wie wir heute wissen, konnte Spielberg noch umlenken. Die bereits angesprochene Regie- und Autorenlegende Billy Wilder („Boulevard der Dämmerung“) redete ihm zu, sich das Projekt zurückzuholen und auch Martin Scorsese kam zum Schluss, dass ein jüdischer Regisseur sich des Stoffes annehmen sollte. Doch das Problem war: Scorsese hatte mit „Schindlers Liste“ in einer schwierigen Phase seiner Karriere endlich wieder ein vielversprechendes Projekt. Spielberg wollte es dem Freund nicht wegnehmen. Ein Projekttausch war schließlich die Lösung.

    Denn Spielberg, der gerade mit „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ den nächsten Hit gelandet hatte, war bereits für Universal an Bord für ein Remake von „Kap der Angst“. Dem Regisseur gelang es, die Verantwortlichen des seit 1912 existierenden, traditionsreichen Filmunternehmens von einem interessanten Deal zu überzeugen. Das Studio akzeptierte Scorsese als neuen Regisseur von „Kap der Angst“ – anschließend gab man Steven Spielberg auch grünes Licht für „Schindlers Liste“. Einzige Bedingung: Der Regisseur durfte sein Herzensprojekt, bei dem Universal mit einem Verlustgeschäft rechnete, erst in Angriff nehmen, wenn er vorher „Jurassic Park“ machte.

    Spielberg erfindet sich neu

    Dass ausgerechnet Steven Spielberg „Schindlers Liste“ dreht, sorgte für Kontroversen in Hollywood. Der Begriff „Spielbergian“ gehörte längst zum festen Vokabular der Filmwelt. Die Beschreibung für Filme, bei denen das Ende durch irgendeine Wendung (Aliens!) noch irgendwie glücklich wurde, galt bei vielen Brancheninsidern als Schimpfwort. Der australische Regisseur Fred Schepisi („Das Russland-Haus“) flehte Spielberg sogar öffentlich an, den Film nicht zu machen: „Gib mir den Film, du wirst nicht den Mut haben, auf Kran und Kamerawagen zu verzichten“, erklärte er in Anspielung auf die fliegenden und fahrenden Bilder, die man von dem Regisseur auch heute noch kennt und mit denen in Spielbergs Filmen oft die ganze Landschaft auf wundervolle Weise erkundet wird. Die typisch-spielbergischen-elegischen Bilder über den Holocaust? Da grauste es vielen…

    Doch in „Schindlers Liste“ gibt es keine einzige Aufnahme, für die ein Kamerakran eingesetzt wurde – ganz im Gegenteil. Wenn über den Stil von „Schindlers Liste“ geredet wird, geht es meist sehr schnell um Spielbergs Wahl, seine Geschichte weitestgehend in Schwarz-Weiß zu erzählen, doch viel interessanter ist der Einsatz der Kamera selbst. Die befindet sich oft mitten unter den Menschen, denen der Regisseur so ganz nahekommt. Natürlich gibt es daneben auch zahlreiche Aufnahmen „von oben“, aber hier „schaut“ die Kamera aus Fenstern, steht auf Dächern und nimmt so eine beobachtende Stellung ein. Der Zuschauer hat das Gefühl, durch die Augen eines Menschen zu sehen und nicht der prächtigen Inszenierung eines distanzierten Filmemachers beizuwohnen.

    1993 Universal City Studios & Amblin

    Spielberg erklärte später, dass sich hin und wieder noch seine vorherige Handschrift eingeschlichen habe. Doch er habe in der Post-Produktion jede Szene, die ihn an einen seiner früheren Filme erinnerte, gnadenlos rausgestrichen. Dass er entschied, diesen Film komplett anders in Angriff zu nehmen, half dem Meisterregisseur, sich neu zu erfinden. Spielberg wäre heute ohne „Schindlers Liste“ ein schlechterer Regisseur – stattdessen aber ist er ein Meister, der auch mit über 70 Jahren noch neue Ansätze findet und sich in allen Bereichen des Kinos sicher bewegt.

    Man denke nur an die berühmte Eröffnungsszene von „Der Soldat James Ryan“. Ohne „Schindlers Liste“ und die Bestätigung von Publikum, Kritik und Kollegen (hier gab es dann auch den ersehnten ersten Oscar als Bester Regisseur) wäre die Handkamera mitten im Schlachtgetümmel von Spielberg unvorstellbar.

    Eine Befreiung für Scorsese

    Eigentlich wäre damit die Geschichte schon an einem perfekten Ende, doch es gibt ja noch den zweiten Regisseur, der von diesem Tauschgeschäft profitierte und dessen Karriere „Schindlers Liste“ veränderte. Heute vielleicht unvorstellbar, war Martin Scorsese damals in einer Sackgasse. Es war nach einer Reihe von Flops schwerer denn je, neue Projekte finanziert zu bekommen. „Die letzte Versuchung Christi“ wurde teilweise von Kinos boykottiert, was aus seinem neuen Film „Goodfellas“ werden würde, war noch nicht klar, gab es doch schon sehr kritische Stimmen, dass er die Mafia damit verherrlichen würde. Spielberg erklärte seinem guten Freund deswegen, dass der unbedingt einen kommerziellen Film wie „Kap der Angst“ machen müsse, um wieder alte Freiheiten zu erlangen.

    Und Spielberg sollte recht behalten. „Kap der Angst“ wurde zum Hit, dem bis dato größten in Scorseses Karriere. Erst mit diesen zwei Erfolgen im Rücken („Goodfellas“ avancierte schon direkt davor zum Oscar-Gewinner) galt Scorsese in Hollywood endgültig als etabliert genug, um ihm auch größere Flops zu verzeihen (von denen es direkt danach welche geben sollte) und trotzdem noch Projekte zu finanzieren. So hätte der Filmemacher ohne „Kap der Angst“ womöglich nicht zehn Jahre später das Herzensprojekt „Gangs Of New York“ machen dürfen, das er schon über 20 Jahre mit sich herumtrug – und das die damals für ein solches Projekt verrückte Summe von 100 Millionen Dollar verschlang.

    "Schindlers Liste" in neuem Glanz

    Wie eingangs erwähnt, gibt es nun die Möglichkeit, „Schindlers Liste“ wieder auf der großen Leinwand zu sehen. Zum 25-jährigen Jubiläum läuft der Klassiker, der heute aktueller denn je ist, zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2019 bundesweit in über 400 Kinos.

    Ab dem 28. März 2019 steht zudem die limitierte „Schindlers Liste – 25th Anniversary Edition“ im Handel. Die Version gibt es dann nicht nur als Blu-ray, sondern auch erstmals als 4K Ultra HD. Nicht nur Bild und Ton (Dolby Atmos) wurden dafür aufgemotzt, sondern es wird auch neues Bonusmaterial und ein umfangreiches Booklet geben. Zum ersten Mal wird der Film in der Heimkino-Veröffentlichung übrigens auch Audiodeskription haben, so dass auch blinde und sehbehinderte Menschen ihn erfahren können.

     

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