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    Perspektive Deutsches Kino: Unsere Favoriten

    In der Berlinale-Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ begleitet man startende Filmemacher bei ihren ersten Schritten in eine hoffentlich rosige Zukunft. Wir haben uns alle 13 Filme des Jahrgangs 2019 angesehen und stellen euch unsere Favoriten vor.

    dffb (Pascal Houdus und Raha Emami Khansari in "Dreissig")

    Bester Spielfilm:

    „Dreissig“ von Simona Kostova

    Der Berliner Övünc (Övünc Güvenisik) wird heute 30 Jahre alt. So richtig motivieren scheint ihn dieser Umstand aber nicht. Erst ein Anruf von seinem Kumpel Henner (Henner Borchers) quält den Single aus dem Bett. Am Abend will Övünc mit seinen Freunden feiern. Mit dabei sind Pascal (Pascal Houdus) und Raha (Raha Emami Khansari), die sich erst kürzlich voneinander getrennt haben, sowie die unstete Kara (Kara Schröder), die ihre Nächte selten in der eigenen Wohnung verbringt. Beim Frühstück lernt Övünc zudem Anja (Anja Langer) kennen. Die Chemie stimmt, weshalb der 30-Jährige die sympathische Bekanntschaft ebenfalls zu seinem Geburtstag einlädt. Eine Kneipentour durch Neukölln steht an, die keinen von ihnen kalt lassen wird. Denn nach ballernden Bässen, tiefen Tränen und starken Schnäpsen folgt ein Kater, der mehr bereithält als nur Kopfschmerzen und Übelkeit...

    Schon in der allerersten Szene beeindruckt Simona Kostovas Regiedebüt „Dreissig“ mit einem detailverliebten Realismus, der die Messlatte für die kommenden knapp zwei Stunden hoch ansetzt. Övünc liegt im Bett. Die Kamera hält drauf. Nichts passiert. Und das geht so eine ganz Weile, bis endlich das Handy klingelt und er sich – wenn auch zögerlich – endlich aus dem Bett wagt. Ohne Schnitt und mit einer statischen Kamera, die einen Überblick über das knarzende Altbauzimmer des Geburtstagskindes verschafft, verlaufen die folgenden Minuten spektakulär unspektakulär. Övünc telefoniert, nimmt ein Handtuch, faltet es zusammen und legt es sorgfältig über seinen Stuhl, danach fängt er an zu staubsaugen. All diese Aktionen sind so banal, dass viele Drehbuchautoren gar nicht auf die Idee kommen würden, ihr Skript damit zu verwässern. Doch Kostova macht sie zum essenziellen Teil ihres Films. Die Eleganz, mit der die Regisseurin jede noch so unscheinbare Alltäglichkeit inszeniert, verleiht den oberflächlichen Handlungen eine existentielle Tiefe.

    Mumblecore-typisch verzichtet Kostova dabei bewusst auf Filmmusik. Sie dient lediglich als alltägliches Hintergrundrauschen in den verschiedenen Lokalitäten. Einmal wirkt sie aber doch lauter und bewusst gewählt: In einer der letzten Szene hören wir eine Version von The Korgis‘ „Everybody’s Got To Learn Sometime“, während sich Kara einsam durch die Menge der Feiernden kämpft. Ihr Blick offenbart dabei eine verzweifelte Leere. Songschreiber James Warren schrieb das Lied über eine Person, die versucht, den Kern ihrer inneren Verwirrung zu finden, mit ihr klarzukommen und dadurch ein besserer Mensch zu werden. Geschickt untermauert die Regisseurin damit subtil, was die sechs Figuren in ihrem Leben mit sich ausmachen. Die Berliner hängen in der Luft, sind zwar stetig in Bewegung und doch in ihrem eigenen Leben gefangen. Sie scheinen festzustecken und darauf zu warten, dass sie ankommen oder dass einfach irgendetwas passiert. Und letzten Endes ist es der Film selbst, der die „Antwort“ darauf liefert, wann dieser Zustand der inneren Verwirrung endlich ein Ende hat. Auf Karas Frage, wann denn endlich alles gut wird, gibt es die Antwort: „Ich weiß nicht. Bald.“

    Tondowski Films / real fiction

    Bester Dokumentarfilm:

    „Born In Evin“ von Maryam Zaree

    Im iranischen Folter-Gefängnis Evin wurden zehntausende Menschen eingesperrt, weil sie gegen den neuen Staatschef und religiösen Führer Ayatollah Khomeini waren. Die Schauspielerin Maryam Zaree, bekannt als Ehefrau des Clan-Anführers Toni Hamady (Kida Khodr Ramadan) aus „4 Blocks“, wurde in genau diesem Horror-Knast geboren. Nun hat sie sich für ihr sehr persönliches Regiedebüt „Born In Evin“ auf Spurensuche begeben.

    Im Gefängnis musste Maryam Zarees Mutter, die Kommunalpolitikerin Nargess Eskandari-Grünberg, unter widrigsten Umständen gebären, bevor sie später mit ihrer zweijährigen Tochter nach Deutschland fliehen konnte. Nie sprach sie mit Zaree über die Zeit im Knast oder die genauen Umstände ihrer Geburt. Die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 35 Jahre alte Zaree wollte dennoch genauer wissen, was ihrer Mutter und den anderen damals inhaftierten Iranerinnen angetan wurde. Warum schwiegen so viele der Frauen, statt über ihre grausamen Erfahrungen zu sprechen?

    Mit „Born In Evin“ hat Zaree eine Doku über die Opfer des Khomeini-Regimes und über ihre Gründe, stumm zu bleiben, gedreht. Doch Zaree zeigt auch sich selbst: Wir sehen jemanden, dem es wehtut, nicht genug über die Vergangenheit der Mutter zu wissen – ohne selbst genau sagen zu können, warum die offenen Fragen eigentlich so belastend sind. Wir sehen außerdem, wie Zaree daran scheitert, alle Antworten zu bekommen und wie sie schließlich zweifelt: War es überhaupt eine gute Idee, in der Vergangenheit der Mutter zu wühlen, die das gar nicht will?

    Maryam Zaree wird Gegenstand ihrer eigenen Doku, da die Auswirkungen der Gefangenschaft in Evin auch ihre Generation betreffen. „Born In Evin“ ist eindringlich, weil persönlich – und sehr sympathisch, weil das Scheitern hier offen gezeigt wird und der Film dennoch optimistisch stimmt: Die große Erlösung gibt’s am Ende für keine der Seiten, weder für die Mutter noch für die Tochter, aber zumindest ist man sich auf dem Weg ein wenig nähergekommen.

    dffb

    Besondere Erwähnung:

    „Das melancholische Mädchen“ von Susanne Heinrich

    Das melancholische Mädchen“ hat erst vor wenigen Wochen als Bester Spielfilm auf dem Max-Ophüls-Festival gewonnen und läuft in der Berlinale-Sektion Perspektive Deutsches Kino darum nur als Gast-Beitrag. Alle anderen Filme der Reihe waren noch nirgendwo anders zu sehen, aber es passt einfach, dass die freche, irritierende, inspirierende Komödie von Susanne Heinrich auch an dieser Stelle einmal mehr aus der Reihe tanzt. Die Titelheldin, eine junge Schriftstellerin aus einem hippen Viertel Berlins (Marie Rathscheck), widersetzt sich schließlich auch beständig jeder Vereinnahmung.

    Der Widerstand beginnt schon bei der Form: Regisseurin Susanne Heinrich irritiert durch Sets, die an abstrakte Theaterbühnen erinnern. Zudem lässt sie ihr melancholisches Mädchen sowie alle ihre Bekanntschaften dermaßen gekünstelt sprechen, dass man ihnen ihr affektiertes Gehabe am liebsten mit ein paar Backpfeifen aus den Gesichtern klatschen würde.

    In 14 Episoden ätzt Heinrichs melancholisches Mädchen dann in trauriger Grundstimmung gegen alles, was in der modernen, großstädtisch-intellektuellen Welt Glück und Sinn versprechen soll. Seien es Babys, Sex, Beauty-Produkte oder Yoga, denn diese Entspannungsübungen sind ja auch nur systemstützende Selbstoptimierung und nicht der total individuelle Weg zum eigenen Glück, für die sie manche halten.

    Seine lakonische Frechheit ist saulustig, aber so richtig bejubeln will man das melancholische Mädchen dafür irgendwie auch nicht. Dafür geht es einem in seiner larmoyanten Selbstfixierung doch ein bisschen zu sehr auf den Zeiger. Dem melancholischen Mädchen ist es scheißegal, ob wir uns mit ihm identifizieren –  das ist wahre Rebellion!

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