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    George W. Bush und Donald Rumsfeld sind lächerliche Typen: Unser Interview mit “Vice“-Regisseur Adam McKay

    Adam McKay legt mit „Vice - Der zweite Mann“ das wohl wildeste Polit-Biopic der jüngeren Vergangenheit vor. Auch in unserem exklusiven Interview nimmt der Oscarpreisträger kein Blatt vor den Mund, wenn es um das politische Amerika geht.

    Universum Film

    „Keine Fragen zu persönlichen politischen Ansichten.“ So die Bitte vor unserem Vieraugengespräch mit Adam McKay (50). Aber dann wurde die Einschränkung kurz vor dem Interview in Berlin zurückgezogen, schließlich ist das Biopic über Dick Cheney, den ehemaligen Vize-Präsidenten der USA (2001 bis 2009), ein hochpolitischer Film. McKay begründete seine Karriere zwar als Comedy-Regisseur mit Filmen wie „Anchorman“ und „Stiefbrüder“, ist aber inzwischen mit „The Big Short“ und jetzt der knallharten, achtfach oscarnominierten Polit-Abrechnung „Vice - Der zweite Mann“ ins Oscar-Fach gewechselt. Ein selbstbewusster Mann von 1,96 Meter Körpergröße, der mit seiner Meinung garantiert nicht hinter dem Berg hält – weder im Film noch im persönlichen Gespräch.

    FILMSTARTS: Wie bist du ausgerechnet auf Dick Cheney gekommen? Er ist schließlich nicht gerade die offensichtlichste Wahl als Hauptfigur für einen großen Hollywood-Film...

    Adam McKay: Ich mag genau diesen Fakt, dass er eben nicht die offensichtlichste Wahl war. Wenn man sich seinen Einfluss auf die Welt anschaut, ist er übergroß, geradezu riesig. Er ist ein Typ, der alles dafür getan hat, das Rampenlicht zu meiden und nicht im Mittelpunkt zu stehen. Gleichzeitig hat er sich eine enorme Macht geschaffen. In der heutigen Zeit, wo Berühmtheit alles ist, ist es eine sehr beeindruckende Geschichte, wenn ein Kerl, der genau das Gegenteil eines Celebrities ist, in der Lage war, so viel zu bewegen.

    FILMSTARTS: Du sagtest es selbst, Dick Cheney arbeitet gern im Hintergrund. Ist er für dich eine Art Marionettenspieler?

    Adam McKay: Ja, manchmal. Was er wirklich ist, ist ein Meister-Bürokrat. Er weiß, wie man in Washington, D.C. Dinge so arrangiert, dass sie zu seinem Vorteil gereichen. Er ist wie ein Kartenzähler. Es ist nicht sofort offensichtlich, aber jede Stunde gewinnt er ein Extraprozent mit seiner Methode – und am Ende des Tages hat er die Bank gesprengt.

    FILMSTARTS: Relativ früh in seiner Karriere hat Dick Cheney gemerkt, dass er nicht das Zeug für die erste Reihe in der großen Politik hat. Und ihm dämmerte da, dass er nie Präsident sein würde. Das zeigst du auch im Film…

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    Adam McKay: Ja, er war beileibe nicht der beste Wahlkämpfer, seine Reden waren nicht so geschliffen und mitreißend, wie es nötig wäre. Aber ich denke, er hat verstanden, worin er wirklich gut ist. Und das sind Details! Details ausarbeiten, keinen Trick auslassen. Er versteht Washington, D.C. wie kaum ein Zweiter.

    Dick Cheney hätte erstaunliche Dinge bewegen können

    FILMSTARTS: Siehst du Dick Cheney eigentlich als Bösewicht in deinem Film? Nach meinem Empfinden ist da zumindest ein bisschen Sympathie zwischendurch, selbst wenn du ihm am Ende die Rechnung für seine Taten während seiner Amtszeit als „Co-Präsident“ präsentierst.

    Adam McKay: Er hätte erstaunliche Dinge mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten tun können. Lyndon B. Johnson [der 36. Präsident der USA, 1963 bis 1969] war ein ähnlicher Typ, der wusste, wie man das bürokratische System nutzen kann. Er hat immerhin die Bürgerrechte vorangetrieben, wurde aber von Vietnam in die Knie gezwungen. Cheney hätte großartige Sachen mit seiner Macht anstellen können. Stattdessen hat er sich zu sehr der Macht als Selbstzweck verschrieben. Das hat ihn aufgefressen. Ich glaube, dass er ganz am Anfang gar kein schlechter Kerl war, ein normaler Junge aus Wyoming, der seine Frau und seine Familie stolz machen wollte. Sicher, er tendierte dann schon weiter nach rechts. Aber erst in der Zeit, in der er für die Ford-Regierung arbeitete [als Stabschef von 1975 bis 1977], wurde er immer mehr zu einem kaltblütigen Aufsteiger als zu einem Repräsentanten der Wähler. Und später wurde aus ihm etwas noch Monströseres.

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    FILMSTARTS: Aber nochmal zurück: Empfindest du im Film einen Hauch Sympathie für ihn?

    Adam McKay: [windet sich] In einer gewissen Weise, wenn man sieht, dass „Vice“ ein Suchtfilm ist. Ich denke, Cheney und Lynne waren anfangs sehr verliebt. Aber die Sucht nach der Macht hat sie letztendlich aufgefressen und die Familie entzweit. Und seine Familie war ihm heilig, sie war alles für ihn. In gewisser Weise hat er auch sein Land gestürzt, was er so liebte. Es ist eine Tragödie, eine Geschichte über Sucht. Am Ende hat er seine Persönlichkeit aus den Augen verloren. Also, ich fühlte schon auf seltsame Weise mit ihm. Versteh‘ mich nicht falsch: Ich habe wesentlich mehr Mitgefühl mit der irakischen Nation und der Welt wegen des Schadens, der angerichtet wurde – und mit Leuten, die gefoltert wurden. Aber ich sehe, dass er etwas dafür aufgeben musste, das ihm in seinem Inneren wichtig war.

    Das ist das gute Zeug!

    FILMSTARTS: Dein Regiestil ist für ein Politiker-Biopic wirklich außergewöhnlich einfallsreich und kühn – ähnlich wie schon bei „The Big Short“. Kannst du deinen Ansatz erklären, warum du aus dem üblichen Genre-Muster ausbrichst?

    Adam McKay: Bei „The Big Short“ ergab sich das aus der Herausforderung, dass wir diese komplizierten Finanzprodukte irgendwie interessant visualisieren und erklären mussten. Dazu gibt es dieses generelle Gefühl der Konfusion, wenn es um die Finanzwelt und die Wall Street geht, das wollten wir reproduzieren. In „Vice“ geht es um etwas anderes. Viele Menschen haben das Gefühl bekommen, dass Politik und Regierung etwas für alte Männer geworden ist. Das ist sehr langweilig, ganz speziell in den Vereinigten Staaten. Wir wollten das Leben in diesen Betrieb zurückbringen: „Schaut, hier geht’s wirklich zur Sache. Um die Krone. Das ist das gute Zeug!“ Der Stil von „Vice“ ist etwas anders, mit Leben gefüllt, wir wollten etwas Unerwartetes präsentieren. Normalerweise folgen diese Biopics einer Erzählformel...

    FILMSTARTS: … ganz genau. Und ihr brecht aus dieser Formelhaftigkeit radikal aus.

    Adam McKay: Ja, genau das wollten wir. Die Zuschauer sollten nicht denken: „Oh, genau, das wird jetzt als nächstes passieren.“

    Universum Film

    FILMSTARTS: Es gibt völlig verrückte Ideen in dem Film. Plötzlich rollt der Abspann schon nach der Hälfte des Films über die Leinwand und du fragst dich als Zuschauer: „Was zum Geier ist das jetzt bitteschön?“

    Adam McKay: [lacht laut] Das ist mein Lieblingseinfall.

    FILMSTARTS: Ich mag das auch sehr… Auf der anderen Seite spaltet ein außergewöhnlicher Film wie dieser auch das Publikum und die Kritiker. „Vice“ hat zwar acht Oscar-Nominierungen erhalten, steht bei Rotten Tomatoes aber nur bei 66 Prozent…

    Adam McKay: Schau, wenn du einen Film wie diesen machst, speziell in der Zeit, in der wir leben, weißt du ganz genau, dass du gemischte Reaktionen hervorrufen wirst. Das war also nicht so überraschend. Es gab ein paar Medien, die uns extrahart angegangen sind. Ich dachte: „Wow. Was ist da los?“ Wenn der Film nicht von linker und rechter Politik handeln würde, wäre der Score sofort um 14 Punkte nach oben gegangen. Wir können damit leben. Das ist okay.

    Ein amerikanischer Rorschachtest

    FILMSTARTS: Einige Kritiker werfen dir vor, du würdest Dick Cheney in einen Cartoon-Bösewicht verwandeln?

    Adam McKay: Da sind so viele Beschuldigungen und Verurteilungen unterwegs. Manche Leute sagen, wir haben Dick Cheney zu sehr vermenschlicht. Andere meinen, wir haben aus ihm wie gesagt eine Cartoon-Figur gemacht. Andere wiederum behaupten, er sei zu sehr als Bösewicht dargestellt. Wieder andere sind der Meinung, wir hätten aus ihm einen zu netten Typ gemacht. Dann hieß es, wir betrieben linke Propaganda, oder eben nicht genug davon. Ich habe wirklich alles an Behauptungen gehört. Ich mache dieses Geschäft schon eine Weile. Ich habe ein dickes Fell. Die beste Beschreibung: Journalisten bezeichneten „Vice“ als amerikanischen Rorschachtest. Die Leute sehen darin, was sie sehen wollen. Es ist ein schwieriges Thema in einer harten Zeit in Amerika.

    Vice - Der zweite Mann

    FILMSTARTS: Was mir besonders an deiner Karriere gefällt, ist deine Vielseitigkeit. Von „Saturday Night Live“ zu Komödien wie „Anchorman“ und „Stiefbrüder“ zu Oscar-Filmen wie „The Big Short“ und „Vice“. Steckt hinter dieser Entwicklung ein großer Masterplan?

    Adam McKay: Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, in welche Richtung sich das entwickeln könnte. Man erledigt einfach eine Sache und danach folgt die nächste. Ich fing in meinen frühen 20ern an mit Stand-Up-Comedy. Das hat mich dann aber gelangweilt, außerdem war ich nicht gut genug. Danach habe ich Improvisationstheater in Chicago gemacht, was ich wirklich geliebt habe. Bei „Saturday Night Live“ habe ich auch mehr geschrieben, produziert und Regie geführt. Jeder Schritt und Fortschritt hat auf natürliche Weise stattgefunden. Dann kamen wir zu solchen Filmen wie „Anchorman“ oder „Stiefbrüder“, ich liebte Filme schon immer. Ich lernte immer mehr dazu. Und plötzlich stellte sich die Welt auf den Kopf, wurde wahnsinnig, und ich dachte: „Du musst was damit anfangen, kannst das nicht einfach ignorieren“ - und daraus entstand „The Big Short“. Das meiste in meiner Karriere entstand also als Reaktion auf die Entwicklung in der Welt.

    FILMSTARTS: War es denn schwierig, „The Big Short“ [Budget: 28 Millionen Dollar] zu finanzieren, du hattest vorher nur Komödien gedreht und warst in dem Genre verankert?

    Adam McKay: Weißt du, was es wirklich gebracht hat? Paramount mochte das Drehbuch, aber als wir Christian Bale und Brad Pitt an Bord hatten, war’s das. In einer Woche hatten wir Bale, Pitt und Ryan Gosling bekommen – und am Ende dieser Woche war die Finanzierung unter Dach und Fach.

    FILMSTARTS: Und am Ende hat alles funktioniert.

    Adam McKay: Ja, es lief alles gut, der Film hat Geld gemacht [spielte weltweit 133 Millionen Dollar ein], bekam gute Kritiken [Metacritic 81/100], ich durfte den nächsten Film machen. Und das Studio scheint ziemlich glücklich mit „Vice“ zu sein. Also alles gut!

    Viel Kritik für George W. Bush, Donald Rumsfeld und Donald Trump

    FILMSTARTS: Steve Carrell als Donald Rumsfeld, das ist ein starkes Stück. Spielst du hier mit der dünnen Linie zwischen Comedy und Drama? Gleiches gilt natürlich auch für Sam Rockwell als George W. Bush…

    Adam McKay: Wir haben viel darüber geredet. Die beiden sind lächerliche Typen. Donald Rumsfeld zum Beispiel eiert in dieser Errol-Morris-Dokumentation [„The Unknown Known“] anderthalb Stunden herum und versucht, nicht eine ehrliche Antwort zu geben. Das ist eine der lustigsten Sachen, die ich je gesehen habe. George W. Bush ist ein lächerlicher Mann. Da war diese Sache mit der Tür, die sich nicht öffnet [nach einer Pressekonferenz, wo Bush sich zum Gespött macht] oder die vielen unkorrekten Wörter, die er so gern verwendet hat. Ich habe also mit Steve Carrell und Sam Rockwell gesprochen, „schaut, ihr müsst diese Typen wie im wirklichen Leben spielen. Aber sie sind auf ihre Art lächerlich, lasst euch davon nicht abschrecken.“ Ich kenne einige Leute, die George W. kennen und die sagen: „Genauso ist er.“ Es wäre leicht gewesen, diese Figuren zu glätten und ihnen damit Vitalität zu entziehen, aber wir haben uns entschieden, das nicht zu machen.

    FILMSTARTS: George W. Bush ist im Film wirklich lustig und unterhaltsam…

    Adam McKay: Und der wirklich George W. Bush ist genauso. Jeder, der ihn kennt, wird das bestätigen. Er ist ein lustiger Typ, mit dem man gerne abhängt. Er reißt Witze, mag Baseball. Ich denke, Sam Rockwell hat hervorragende Arbeit geleistet, diesen Geist einzufangen.

    FILMSTARTS: Also ist George W. Bush nur ein schlechter Politiker?

    Adam McKay: Er ist so unterqualifiziert, dass ich nicht weiß, ob man ihn überhaupt Politiker nennen sollte.

    Wenn eine Hauskatze dein Land regiert

    FILMSTARTS: Also so ähnlich, wie dieser andere Kerl, der gerade euer Land regiert…

    Adam McKay: Es ist wie eine Hauskatze, die plötzlich dein Land führt. George W. Bush war als Politiker unterqualifiziert. Aber Donald Trump? Das ist, als wenn man einen Waschbär im Weißen Haus von der Leine lässt. Das Wort Politiker fällt mir dazu nicht ein.

    Universum Film

    FILMSTARTS: Ist dir als Amerikaner dein Präsident peinlich?

    Adam McKay: Ich denke, die ganze Sache ist ziemlich traurig. Es ist eine herzzerreißende Tragödie, was gerade in Amerika geschieht. Das Land wird von den Mächtigen, hinter denen das ganz große Geld steckt, auseinandergerissen. Sie manipulieren die Leute. Ich lache nicht einmal über Donald Trump, ich gucke ihn mir nicht an und ich höre mir auch seine Reden nicht an. Ich tue so, als ob er nicht da wäre. Für viele von uns ist es herzzerreißend – es ist jenseits von peinlich. Aber ich weiß nicht, ob es überhaupt besser wird, wenn er verschwunden ist. Ich sehe hier keinen, der bereit ist, seine Meinung zu ändern. Das ist das wirklich Furchteinflößende. Unser Land ist in zwei Teile gespalten. Die eine Hälfte interessiert sich einfach nicht, will die Regierung zerstören oder die Apartheid einführen. Alles, was ich sagen kann, ist „Entschuldigung“.

    Warum Will Ferrell und John C. Reilly nicht dabei sind

    FILMSTARTS: Hattest du eigentlich darüber nachgedacht, deine Kumpel Will Ferrell und John C. Reilly in „Vice“ zu besetzen?

    Adam McKay: [windet sich] Weißt du, es hätte passieren können, dass die beiden das Publikum aus dem Film reißen würden, wenn ich sie besetzt hätte. Es war schwierig genug, den Film überhaupt realisiert zu bekommen. Will Ferrell und ich haben einmal darüber gescherzt, aber das hätte nicht funktioniert.

    FILMSTARTS: Steve Carrell hast du immerhin im Film…

    Adam McKay: Ja, aber Carrell hat in den vergangenen fünf Jahren eine Menge dramatische Rollen gespielt, da ist es jetzt nicht mehr so überraschend, ihn in so einem Film zu sehen. Ferrell hat das nicht, die Leute machten Witze darüber, dass er Bush spielen solle [wie schon bei „Saturday Night Live“].

    FILMSTARTS: Das wäre wahrscheinlich zu viel des Guten gewesen…

    Adam McKay: Der Film wäre zerbrochen. Nichts gegen den guten Will, natürlich. Aber du weißt, wie ich es meine.

    FILMSTARTS: Kannst du mir etwas über die Ideen zum Casting von Christian Bale erzählen? Er sieht in natürlicher Form überhaupt nicht wie Dick Cheney aus. Aber er ist auch berühmt-berüchtigt für seine Extravaganz bei der Vorbereitung auf eine Rolle…

    Adam McKay: Das ist genau das, was ich wollte. Das Faszinierende an dem Film ist, dass Cheney ein Mysterium ist. Wir wissen so wenig Handfestes über ihn. Viele Dokumente gingen verloren, er redet so wenig. Ich brauchte also jemanden, der sich leidenschaftlich auf die Suche macht, diesen Charakter zu ergründen. Und da gibt es keinen Besseren als Christian Bale. Wenn man sich fragt, wer Dick Cheney wirklich ist, haben wir einige Antworten gefunden. Aber wenn du wirklich eine Antwort haben willst, findest du sie in Bales Performance. Gott sei Dank hat er es gemacht.

    „Vice - Der zweite Mann“ läuft seit dem 21. Februar 2019 in den deutschen Kinos.

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