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    Wofür ich "Dem Horizont so nah" dann doch loben muss

    Ich halte das Liebesdrama „Dem Horizont so nah“ für misslungen, aber darum soll es hier nicht gehen. Denn eine Sache bekommen die Macher vortrefflich hin: Sie inszenieren die 90er-Jahre ohne aufdringlichen Retro-Kitsch à la „Stranger Things“.

    Studiocanal GmbH / Tom Trambow

    +++ Meinung +++

    Ich bin Jahrgang 1985. Meine Generation denkt an die Zukunft des Planeten und belächelt es, wenn Eltern sich über irgendeinen Heimatfilm-Schmachtfetzen freuen, der mal wieder im Fernsehen läuft. Wir sind total vorwärtsgewandt – zumindest so lange, bis wir „Stranger Things“ gucken und uns dabei in unsere eigene warme Nostalgie-Decke kuscheln. Ach ja, war das schön damals mit Arcade-Automaten und den „Goonies“ auf VHS.

    In Produktionen wie „Stranger Things“ lebt die Popkultur alter Tage geradezu kitschig deutlich wieder auf, so als hätten damals alle dieselben Frisuren getragen oder dieselben Sachen geguckt. Das Alte wird betont, weil Menschen sich halt wohlfühlen, an alte Zeiten erinnert zu werden (die ganze Scheiße, die einem im Alltag notwendigerweise passierte, wird vom Gehirn verdrängt).

    Das HIV-Liebesdrama „Dem Horizont so nah“ nun spielt in den Neunzigern, dem derzeit angesagtesten Retro-Jahrzehnt – aber zum Glück, ohne daraus eine große Sache zu machen.

    Dem Horizont so nah und den 90ern so fern

    Jessica (Luna Wedler) lernt ihren Danny (Jannik Schümann) 1999 kennen, als wir über lahme Modems ins Internet gegangen sind, der Handy-Akku die ganze Woche über hielt und Jeansjacken in Mode waren. Kristina Löbert, eine Produzentin von „Dem Himmel so nah“, bringt die Herangehensweise ans Jahrzehnt im Film-Presseheft so auf den Punkt:

    Der Film muss auch in der heutigen Zeit funktionieren. Der Zuschauer sollte nicht im Kino sitzen und denken: ‚Damals, wie lustig, was wir für Klamotten getragen haben...‘ Es sollte sehr heutig wirken.

    Dieses Ziel wurde erreicht! Nur selten hatte ich den Eindruck, dass hier die Neunziger betont werden sollten (etwa als Danny plötzlich einen dicken Game Boy in der Hand hat, obwohl er mir vorher nicht als Zocker aufgefallen ist). „Dem Horizont so nah“ spielt in den Neunzigern, das ist zu erkennen – wegen der Aids-Angst und wegen der Trainingsjacke des wunderbar schnoddrigen Kickboxtrainers (Frederick Lau) –, aber ich werde nur selten mit der Nase draufgestoßen.

    Ganz im Gegenteil wirkt „Dem Horizont so nah“ gelegentlich geradezu unhistorisch. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass im echten Deutschland des Jahres 1999 noch kaum jemand den Begriff „stalken“ benutzt hat, so wie es heute üblich ist und er auch im Film fällt (in einer Ausgabe „Wer wird Millionär?“ aus dem Jahr 2000 jedenfalls war die Antwort auf die Frage, was Stalking ist, 250.000 Mark wert).

    „Dem Horizont so nah“ läuft seit dem 10. Oktober 2019 in den Kinos.

    Die FILMSTARTS-Kritik zu "Dem Horizont so nah"

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