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    Der Oscar-Abräumer: Unser Interview mit "Parasite"-Mastermind Bong Joon-ho!

    Die schwarzhumorige Thriller-Satire ist die Oscar-Sensation – vier Oscars für einen fremdsprachigen Film, darunter für den Besten Film und die Beste Regie. Das gab’s noch nie! Wir haben uns mit Bong Joon-ho über seinen grandios unterhaltsamen „Parasi

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    [Dieses Interview ist ursprünglich bereits zum deutschen Kinostart von „Parasite“ erschienen und wurde nun anlässlich des bahnbrechenden Oscar-Sieges noch einmal aktualisiert.]

    Wir haben den südkoreanischen Meisterregisseur Bong Joon-ho („The Host“, „Snowpiercer“, „Okja“) in einem Strandcafé in Cannes getroffen – und zwar nur wenige Tage, bevor er 100 Meter weiter mit der Goldenen Palme für „Parasite“ ausgezeichnet wurde. Inzwischen hat der ebenso dunkelschwarze wie gesellschaftskritische Thriller-Spaß, in dem sich die vier Mitglieder einer armen Familie aus Seoul nach und nach in den Haushalt einer sehr reichen Familie einschleichen, seinen weltweiten Siegeszug mit dem Abräumen bei den Oscars gekrönt. Denn dort gewann er nicht nur in der Kategorie Bester internationaler Film, sondern auch in den Königs-Kategorien Bester Film und Beste Regie. Wer mal wieder richtig gut unterhalten werden will, ohne dabei seinen Kopf abschalten zu müssen, ist hier jedenfalls genau richtig…

    FILMSTARTS: Im Zentrum von „Parasite“ steht ein sehr verdichteter Klassenkampf. Hast du dich dabei auch von persönlichen Erfahrungen inspirieren lassen – oder ist das alles allein deiner Imagination entsprungen?

    Bong Joon-ho: Wie haben ja wohl alle Verwandte und Freunde, von denen manche reich und andere arm sind. Ich habe die Inspiration also schon aus meinem Alltag und nicht etwa den Gelbwesten-Protesten in Frankreich oder anderen Bewegungen dieser Art gezogen. Als ich aufs College gegangen bin, habe ich auch bei einer sehr reichen Familie Nachhilfe gegeben – und das war schon ein ziemlicher Schock für mich.

    Die Szene in „Parasite“, als der junge Protagonist zum ersten Mal das Haus der reichen Familie betritt, habe ich ziemlich genau so auch selbst erlebt. Ich bin in einer Mittelklassefamilie aufgewachsen, also irgendwo zwischen den beiden Extremen im Film. Trotzdem hatte ich dieses gespenstische Gefühl, dort einfach nicht hinzugehören, als ich das Haus zum ersten Mal betreten habe. Sie hatten sogar eine Sauna im zweiten Stock, das hat mich auch wieder schockiert. Eine Sauna im Haus? Das erschien mir damals schon sehr merkwürdig.

    FILMSTARTS: Wer genau sind denn deiner Ansicht nach die Parasiten aus dem Titel? In Texten zum Film wurde ja schon viel diskutiert, ob damit nur die Armen oder nicht doch eher die Reichen gemeint sind…

    Bong Joon-ho: 2013 lautete der ursprüngliche Titel noch „Decalcomania“. [Anm.d.Red.: das ist eine Technik, mit der man etwa in der Töpferkunst ein Design von einem Blatt Papier auf eine andere Oberfläche überträgt.] Da standen sich die Familien auch noch gleichberechtigt in der Geschichte gegenüber. Aber das Projekt hat sich dann immer mehr dahin entwickelt, dass man als Zuschauer die Perspektive der armen Familie einnimmt – und damit hat sich dann auch die ganze Dynamik und schließlich auch der Titel geändert.

    Mir ist bewusst, dass das ein gefährlicher Vergleich ist und man mir womöglich vorhält, dass ich die Armen als Parasiten bezeichne. Aber obwohl sie Betrüger sind, sehe ich sie ja auch nicht als die Bösewichte der Geschichte, sie agieren eher in einem Graubereich. Es sind die Situation und das System, die sie dazu zwingen, sich wie Parasiten zu benehmen – und so ist dann der Titel entstanden.

    Weniger Effekte, mehr Präzision

    FILMSTARTS: Deine vorherigen Filme „Snowpiercer“ und „Okja“ waren ja doch sehr effektlastig. War es eine bewusste Entscheidung von dir, diesmal wieder ein nicht ganz so technisches, menschlicheres Projekt anzugehen?

    Bong Joon-ho: „Okja“ hatte 300 Effekt-Einstellungen nur mit dem Schwein. Da geht es nicht nur um das benötigte Geld, es nimmt auch eine Menge Energie des Regisseurs in Anspruch. Bei „Parasite“ konnte ich meine Energie wieder ganz auf die Charaktere, die Story und die Nuancen verwenden. Ich hatte eine großartige Erfahrung mit „Okja“ und bereue nichts. Aber bei diesem Film konnte ich plötzlich alles wie durch ein Mikroskop beobachten. In Zukunft möchte ich deshalb auch gerne wieder mehr Filme dieser Größenordnung machen, wobei es auch in „Parasite“ eine Menge Computertricks gibt, die einem nur eben nicht sofort auffallen.

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    FILMSTARTS: Die Choreographien, mit denen sich die Figuren, aber auch die Kamera durch das Haus bewegen, sind derart präzise, dass man sich schon die Frage stellt, ob du auch beim Schreiben des Skripts immer schon ein kleines Modell der Villa neben dir stehen hattest, um das alles derart genau hinzubekommen?

    Bong Joon-ho: Weil ich nicht nur der Autor, sondern eben auch der Regisseur bin, kann ich schon beim Schreiben die Sichtlinien zwischen den Charakteren und ähnliche Dinge mitdenken. Deshalb kam auch unser Produktionsdesigner ganz schön ins Schwimmen, weil ich alle diese Anforderungen an die Struktur des Hauses gestellt habe. Denn wenn die eine Figur an einer Stelle gerade was macht, dann darf die andere ihn dabei in dem Moment eben nicht sehen. Diese Idee von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit war mir bei unseren Sets sehr wichtig.

    Unser Produktionsdesigner ist dann mit meinen Zeichnungen zu einem Architekten gegangen, der ihm gesagt hat, dass niemand jemals ein solches Haus bauen würde. Es sei völlig lächerlich. Und dann musste sich der Produktionsdesigner irgendwo zwischen meinen Ansprüchen und den Hinweisen des Architekten zurechtfinden.

    FILMSTARTS: Gibt es das Haus denn wirklich?

    Bong Joon-ho: Nein, das sind alles Sets. Das Haus der Reichen und das Haus der Armen, das wir dann ja auch noch mit Abflusswasser geflutet haben. Nur die Straße vor der Villa ist echt, alles andere haben wir im Studio aufgebaut.

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    FILMSTARTS: Nach Projekten wie dem nur in einem Zug spielenden „Snowpiercer“ und nun auch „Parasite“ hat man das Gefühl, dass du dich gern durch die Struktur und Settings deiner Filme limitierst…

    Bong Joon-ho: Ja, das fühle ich auch. Ich finde begrenzte und klaustrophobische Orte auch einfach spannender. Ich werde ganz unruhig, wenn ich eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten habe. Aber die Herausforderung bei „Parasite“ war, dass 90 Prozent des Films nur in den beiden Häusern spielen – so konnte ich die Orte wirklich auseinandernehmen, sie in kleine Scheiben schneiden und wie unter einem Mikroskop beobachten.

    FILMSTARTS: Findest du, dass eine schwarzhumorige Thriller-Satire ein besserer Weg als etwa ein Sozialdrama á la Ken Loach ist, um ein solches gesellschaftskritisches Thema anzugehen?

    Bong Joon-ho: Ich bewundere Ken Loach, „Kes“ ist einer meiner 50 Lieblingsfilme aller Zeiten. Aber am Ende sehe ich mich selbst eben als Genre-Regisseur. Ich mag die Aufregung und die Erwartungen, die mit den Genre-Konventionen zusammenhängen – ganz egal, ob man diese Konventionen dann erfüllt oder bewusst enttäuscht. Ich mag es aber nicht, wenn ein soziales Thema wie ein Nagel aus einem Film heraussticht. Ich möchte den Zuschauer unterhalten und bei dem Prozess sollten die satirischen Elemente möglichst ganz natürlich in die Geschichte hineinschmelzen.

    Das Lachen soll einem im Hals stecken bleiben

    FILMSTARTS: In „Parasite“ gibt es eine ganze Reihe von Szenen, die schon in Richtung einer schwarzhumorigen Farce gehen. Etwa wenn eine Frau beinahe beiläufig und fast schon slapstickhaft im Hintergrund eine Treppe hinuntergestoßen wird…

    Bong Joon-ho: Aber das ist ja nicht nur lustig, sondern auch erschreckend. Das kommt so unerwartet, dass man ganz verblüfft ist – und ich mag dieses Gefühl. Ich zögere, das so zu sagen, weil ich nicht zu sehr wie ein Perverser rüberkommen will. Aber wenn der Zuschauer in solchen Momenten lacht, dann fühlt es sich im selben Moment auch schuldig, weil es spürt, dass es darüber vielleicht gar nicht lachen sollte. Ich mag es total gern, das Publikum so in die Bredouille zu bringen.

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    FILMSTARTS: Die Struktur mit den reichen Besitzern und den armen Angestellten erinnert ja auch an „Hanyo – Das Hausmädchen“, einen der bekanntesten Werke der südkoreanischen Filmgeschichte…

    Bong Joon-ho: Zu den DVDs, die ich mir als Filmliebhaber während der Vorbereitung auf „Parasite“ hervorgekramt habe, zählen neben „Hanyo“ von Kim Ki-young auch noch „Der Diener“ von Joseph Losey und „Das Biest muss sterben“ von Claude Chabrol. Kim Ki-young ist ja so etwas wie mein Mentor. Ich schaue alles seine Filme immer wieder und sie haben mich sehr beeinflusst. Man nennt Filme wie „Parasite“ oder „Hanyo“ auch Staircase-Cinema, weil die Struktur der Häuser so wichtig für den Film ist. „Hanyo“ ist ja auch im Westen sehr bekannt, aber ich empfehle unbedingt auch „Das Insektenweib“ von Shôhei Imamura, in dem spielt auch ein Haus mit einer sehr interessanten Struktur eine wichtige Rolle.

    FILMSTARTS: Bevor die Familie ihre Jobs bei der reichen Familie antritt, hält sie sich mit dem Falten von Pizzakartons über Wasser – und der Vater schaut sich extra ein YouTube-Video an, indem eine junge Frau unfassbar schnell solche Kartons faltet. Hattet ihr auch einen Wettbewerb am Set, wer es am schnellsten schafft? Und hast du es auch mal ausgetestet?

    Bong Joon-ho: Ich habe es ein paar Mal probiert. Aber das Mädchen aus dem Video ist eine reale Person aus Kanada. Wir haben sie extra kontaktiert, um das Video lizenzieren zu können. Sie will sich den Film auch unbedingt anschauen, wenn er dann in Kanada in die Kinos kommt. Und ihr Video ist jetzt wegen „Parasite“ viral gegangen…

    Hier könnt ihr euch das Video ansehen – es hat mittlerweile mehr als 1,3 Millionen Views, obwohl die Kanadierin Breanna Gran nicht mal 300 Abonnenten hat. Zudem sind erstaunlich viele Kommentare unter dem Video mit koreanischen Schriftzeichen verfasst:

    „Parasite“ läuft immer noch in den deutschen Kinos - ab dem 14. Februar zusätzlich auch in einer extra angefertigten Schwarz-Weiß-Fassung.

    Parasite
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