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    "Deutsche Serien sind so spannend wie nie": "Wir sind die Welle"-Macher Dennis Gansel im Interview

    Im FILMSTARTS-Interview zur Netflix-Serie „Wir sind die Welle“ kommt Produzent Dennis Gansel richtig ins Streaming-Schwärmen und verrät unter anderem, warum Netflix den Flug nach Hollywood für Filmemacher nicht mehr unbedingt notwendig macht...

    Netflix

    Die Jugendserie „Wir sind die Welle“ ist die neuste deutsche Netflix-Produktion und gerade erst auf dem Streaminganbieter gestartet. Lose basierend auf dem Third-Wave-Schul-Experiment des Lehrers Ron Jones aus dem Jahr 1967, unterscheidet sich „Wir sind die Welle“ deutlich von der deutschen Verfilmung „Die Welle“ aus dem Jahr 2008. Dennis Gansel, der Regisseur von damals, ist diesmal als Produzent mit von der Partie.

    Im Interview mit FILMSTARTS erklärt er den neuen Ansatz der Serie, die Veränderung der Serienlandschaft durch Netflix und natürlich die Männlichkeit von Jason Statham und Henning Baum.

    "Wir sind die Welle" ist aktueller als "Die Welle"

    FILMSTARTS: Woher kam die Idee, sich elf Jahre nach der Verfilmung von „Die Welle“ noch einmal mit dem Thema zu beschäftigen?

    Dennis Gansel: „Die Welle” hat mit ihren Grundthemen Gruppendynamiken und Ideologien von ihrer Brisanz erst einmal nichts verloren. Aber als wir uns mit Netflix zusammengesetzt haben und sagten, wir wollen eine aktualisierte Version der Thematiken machen, da war relativ schnell klar, wir wollen den Kinofilm nicht noch einmal 1:1 als Serie umsetzen. Der Film hat als solcher sehr gut funktioniert, wir sind aber eher daran interessiert, die Themen nochmal von einem neuen und frischen Blickwinkel zu betrachten.

    Das sind wir genauso angegangen wie damals beim Kinofilm: Wir haben uns mit Jugendlichen unterhalten und dabei sehr schnell festgestellt, dass ein Lehrer als Manipulator gar nicht mehr so zeitgemäß wäre. Dass viele gerade kritische Fragen eher von den Jugendlichen selbst kamen. Das haben wir besonders stark gemerkt, als wir in Schulen gegangen sind. Unsere Generation wurde sehr kritisch gesehen, nach dem Motto: „Findet ihr nicht, dass ihr die Welt ziemlich an den Rand gebracht habt; dass ihr die Dinge nicht mehr unter Kontrolle habt; dass mit der Wahl von Donald Trump das Unmögliche möglich wurde”.

    Fake News und all diese Themen prasselten auf uns ein und wir sagten: Um Gottes willen, das muss so eine Serie gefälligst auch aufnehmen und liefern. Deswegen fanden wir den Ansatz, dass das manipulative Element jemand ist, der selber Schüler ist und der die Schüler hinter Themen versammelt, hinter denen man erstmal sehr gut stehen kann, sehr zeitgemäß.

    FILMSTARTS: Was sind denn die brandaktuellen Themen, die angesprochen werden?

    Dennis Gansel: Erstmal natürlich die Vereinzelung der gesamten Jugendlichen und der Aufstieg der rechten Parteien und Populisten. Was sicher auch besonders stark wahrgenommen wird, sind die Umweltverschmutzung, die Klimakatastrophe, die Diskussion um SUVs. Überhaupt der gesamte Zustand der Welt... das sind die großen Themen, die uns immer wieder genannt wurden, die virulent sind und bei denen viele Jugendliche das Gefühl haben, dass die Generation, die jetzt an der Macht ist, nicht in der Lage und nicht willens ist, wirklich das Ruder rumzureißen.

    FILMSTARTS: Habt ihr euch noch einmal mit Ron Jones, dem Lehrer des Originalexperiments, zum Ideenaustausch zusammengesetzt?

    Dennis Gansel: Ja, das haben wir auf jeden Fall. Ron Jones war Teil der Entwicklungsphase und auch er hat diese Veränderungen beobachtet. Er betreut zum Beispiel viele Theaterprojekte gerade in der San Francisco Bay und er hat gesagt: Die Jugendlichen, mit denen ich zusammenarbeite, die wären wahrscheinlich für meine Welle gar nicht mehr so empfänglich. Das würde gar nicht mehr so funktionieren wie 1967, weil es so viele kritische Geister unter den heutigen Jugendlichen gibt, die sich selbst in Frage stellen. Er hat es daher sehr unterstützt, dass wir diesen neuen Ansatz fahren.

    FILMSTARTS: Warum sollte man „Wir sind die Welle“ unbedingt schauen?

    Dennis Gansel: Es ist eine relevante und spannende, extrem unterhaltende Jugendserie, wie es sie da draußen sonst nicht gibt. Für jeden, der sich Gedanken macht und sagt, es ist nicht alles in unserer Welt in Ordnung und man müsste einige Dinge dringend ändern, und der das unterhaltsam umgesetzt sehen möchte, für den ist „Wir sind die Welle“ genau richtig.

    Netflix bringt Hollywood-Niveau nach Deutschland

    FILMSTARTS: Wie stehst du zur Entwicklung der Serienlandschaft in Deutschland, auch in Anbetracht von Streamingdiensten wie Netflix?

    Dennis Gansel: Grandios! Ich war ja bisher immer jemand, der sehr für das Genre-Kino gekämpft hat. Manchmal hat es funktioniert, manchmal habe ich mir auch eine blutige Nase geholt. Aber die Kollegen, die Serien gemacht haben – ich selbst bin ja noch neu – haben es wirklich geschafft, das Genre zurückzuholen. Der Zweite Weltkrieg ist mit „Das Boot” wieder als Serienthema da, wir haben Mystery mit „Dark”, hochpolitische Serien über die Bankenkrise.

    All die Themen, die für das Kino eigentlich oft Kassengift waren, werden jetzt in Serienform erzählt. Sie finden ihre Fans und das nicht nur in Deutschland, sondern auch international. Dadurch bringen sie die deutschen Genrethemen endlich wieder zurück. Viele von diesen Genres wurden in Deutschland zumindest auch mit erfunden. Es sind Goldene Zeiten für die Serie. Es läuft gerade für viele neue Autorentalente, Regietalente, Schauspieltalente wunderbar. Es könnte in diesem Bereich also gar nicht spannender sein als momentan.

    FILMSTARTS: Also gehörst du auch bald zu den populären Regisseuren, die für Netflix drehen?

    Dennis Gansel: Ja, super gern! Die Erfahrung war mehr als positiv und wir haben auch schon Ideen, die wir gemeinsam angehen wollen. Jetzt bringen wir erstmal diese Serie und ich hoffe, dass sie gut ankommt. Und danach machen wir die nächsten Schritte.

    FILMSTARTS: Sind nach „Mechanic: Resurrection” auch noch weitere Hollywood-Projekte geplant?

    Dennis Gansel: Ein bisschen was ist tatsächlich in Entwicklung, aber ich muss sagen, dass mich diese Arbeit hier in Deutschland gerade so fasziniert. Denn all das, weswegen ich für diesen Film in die USA gegangen bin, die Limitierung im Erzählerischen, das hat sich verändert. Man kann mittlerweile sehr gut von hier aus die Geschichten, die einen wirklich interessieren und faszinieren, erzählen und vor allem jetzt auch für ein großes Publikum machen. Wer hätte jemals gedacht, dass man etwas online stellen kann und in 190 Territorien ist es dann verfügbar? Davon haben wir doch alle Jahrzehnte lang nur geträumt. Jetzt ist es Wirklichkeit geworden! Das ist schon toll!

    FILMSTARTS: Die wichtigste aller Fragen! Wer ist männlicher: Jason Statham oder Henning Baum?

    Dennis Gansel: (lacht) Beide auf ihre Art sehr! Wobei, ich muss sagen: Jason ist wahrscheinlich noch ein bisschen mehr der klassische Macho. Da ist alles echt... die Cockney-Vergangenheit, der hat auf der Straße wirklich gefaktes Parfum verkauft vorm Harrods. In „Bube, Dame, König, grAs”... das ist eigentlich wirklich er. Und der Henning hat ja noch einmal einen ganz anderen Ansatz. Klar ist er muskelgestärkt und eigentlich noch imposanter als Jason, wenn man ihn denn mal in all seiner Schaffenskraft vor sich sieht. Aber er ist ja eigentlich ein Waldorfschüler und kommt daher ganz woanders her. Also beide auf ihre Weise sehr interessante Typen.

    Handwerkliches Erzählen in "Wir sind die Welle"

    FILMSTARTS: Was war für dich der spannendste Aspekt von „Wir sind die Welle”?

    Dennis Gansel: Ganz klar die Ideenentwicklung! Zusammenzusitzen mit Jan Berger und Peter Thorwarth und über neue Ideen zu sprechen ... mit beiden habe ich ja schon oft zusammengearbeitet. Überhaupt, der kreative Writers‘ Room. So etwas hatte ich vorher noch nicht. Wir hatten zum Beispiel mit Ipek Zübert eine Autorin mit türkischem Hintergrund. Das war für mich total spannend. Sie hat dann auch gesagt: Wenn wir eine Geschichte machen über einen muslimischen Migranten, einen Araber, dann lass mich das bitte machen. Ich bin mit diesen Leuten und Situationen aufgewachsen und ich kann das authentischer erzählen als ihr.

    Solche Elemente in die Gesamtarbeit einfließen zu lassen, das fand ich wirklich unglaublich spannend. Und das könnte ich mir wirklich auch für Kinofilme vorstellen. Das ist ein handwerkliches Erzählen, das ich so noch nicht kannte und das auch zu der Qualität, die wir gerade in den deutschsprachigen Serien haben, enorm beigetragen hat. Hochspannend!

    Netflix

    FILMSTARTS; Wie sehr spiegeln die Schauspieler von „Wir sind die Welle“ ihre Rollen wider? Wie war da der kreative Prozess?

    Dennis Gansel: Die sind schon sehr anders als die Rollen, die sie in der Serie spielen. Das ist ja auch das Tolle daran! Wir haben zwar sehr früh versucht, ihnen noch eigene Biografien zu ihren Figuren mitzuliefern. Vieles ist dann aber auch der sehr guten Probenarbeit von Anca Miruna Lăzărescu und Mark Monheim, unseren beiden tollen Regisseuren, zu verdanken. Sie haben bei der Figurenentwicklung wirklich versucht, noch viel mehr mit den Schauspielern zu arbeiten. So konnten diese auch einiges selbst einfließen lassen. Das ging dann bis in die Sprache hinein.

    Ludwig Simon [spielt Tristan] und Michelle Barthel [spielt Zazie] als Beispiel haben ab und zu gesagt, so würde ich jetzt nicht sprechen in dem Alter und wir haben natürlich erwidert: Okay, dann versucht, die Dialoge gerne so zu verändern, dass sie für euch glaubhaft klingen. Wir sind jetzt Mitte 40, ein Paar Autoren gehen auf die 50 zu. Ihr seid natürlich noch viel näher dran an euren Figuren. Macht es so, dass es für euch authentisch ist. Denn das ist für so eine Serie wirklich wichtig.

    „Wir sind die Welle“ läuft seit dem 1. November 2019 auf Netflix.

    Flach, flacher, "Wir sind die Welle": Darum lohnt sich die neue Netflix-Serie nicht
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