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    Die wahre Geschichte hinter Martin Scorseses "The Irishman"

    In seinem Netflix-Thriller „The Irishman“ erzählt Martin Scorsese die Geschichte des angeblichen Mafia-Killers Frank Sheeran. Doch die ist höchst umstritten, weil sie stark angezweifelt wird. Manche denken dabei gar an „Forrest Gump“.

    Netflix

    Was passierte mit Jimmy Hoffa? Das spurlose Verschwinden eines der mächtigsten und schillerndsten Männer Amerikas im Jahr 1975 gilt heute noch als eines der größten, ungelösten Verbrechen der Welt (wenn es denn überhaupt eins wahr). Vieles spricht dafür, dass ihn die Mafia ermordet hat.

    In seinem 2004 veröffentlichten Buch „I Heard You Paint Houses: Frank ‚The Irishman‘ Sheeran And The Inside Story Of The Mafia, The Teamsters, And The Last Ride Of Jimmy Hoffa“ behauptet Autor und Rechtsanwalt Charles Brandt, den Fall endlich gelöst zu haben.

    Basierend auf einem umstrittenen Buch

    Brandt war zuerst Anwalt des angeblichen Mafia-Killers Frank Sheeran und freundete sich anschließend mit diesem an. Und der fing irgendwann an, für das Buchprojekt seine Geschichte zu erzählen. Sheeran gestand gegenüber Brandt unter anderem den Mord an Hoffa und lieferte später auch noch mehr Details dazu. Das Buch erschien dann aber erst nach dem Tod Sheerans 2003.

    Nun hat Martin Scorsese „I Heard You Paint Houses“ unter dem Titel „The Irishman“ verfilmt und entflammt damit alte Diskussionen neu. Denn der Wahrheitsgehalt von Sheerans Aussagen und damit der Vorlage ist höchst umstritten. Da sich Scorsese auf diese verlässt, ist natürlich mehr als fraglich, wie nah sein Film an der Wahrheit ist.

    War Frank Sheeran überhaupt ein Killer?

    In den Vorwürfen gegen die Vorlage geht es nicht einmal um kleine Details, sondern schon um Grundsätzliches – zum Beispiel um die Frage, ob der in „The Irishman“ von Robert De Niro verkörperte Frank Sheeran überhaupt ein Mafia-Killer war. Es gibt viele Leute, die das bezweifeln.

    So wird hinterfragt, warum die eng abgeschottete italienische Mafia einen Iren mit so wichtigen Morden beauftragt haben soll. Zwar gab es auch viele andere Mafia-Killer, die nicht-italienischer Abstammung sind, aber Sheerans angeblich damit verbundener Zugang in innerste Kreise geht weit über das normale Maß hinaus.

    Auch im Auftrag von Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa will Sheeran getötet haben. Dass Hoffa wirklich jemals einen Mord befahl, ist mehr als zweifelhaft. Ermittlungsbehörden konnten zudem für keinen einzigen der 25 bis 30 Morde, die Sheeran laut eigener Aussage begangen haben will, Beweise finden, die ihn damit in Verbindung bringen.

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    Selbst der Buchtitel „I Heard You Paint Houses“, den Scorsese ursprünglich auch als Filmtitel nutzen wollte und nun in Vor- und Abspann seines finalen Films noch gleichberechtigt mit „The Irishman“ einblendet, ist umstritten. Angeblich waren dies die ersten Worte, die Jimmy Hoffa (im Film gespielt von Al Pacino) an Frank Sheeran richtet. So zeigt es auch Scorsese in seiner Adaption.

    Es ist eine Anspielung auf die Killertätigkeit Sheerans, denn bei den Morden spritzt das Blut der Opfer wie rote Farbe an die Hauswände. Außerhalb von Charles Brandts Buch gibt es allerdings keine andere Erwähnung dieser schillernden Formulierung. Es gibt erhebliche Zweifel, ob die Mafia jemals diesen Slang benutzt hat. Brandt selbst verteidigte seine Quelle Sheeran damit, dass die Mafia-Familie in Nord-Ost-Pennsylvania, für die der Irishman tätig war, ihren eigenen Sprachcode hatte.

    Widersprüche, Widersprüche, Widersprüche

    Zweifel am Wahrheitsgehalt der „The Irishman“-Vorlage bestehen vor allem deswegen, weil viele Teile des Buches nicht nur fragwürdig sind, sondern ihnen sogar offen widersprochen wurde. So will Sheeran auch den Mafiosi Joe Gallo getötet haben (kommt im Film vor). Brandt zitiert unter anderem einen Polizisten, der angeblich Sheeran für den Täter hielt, um dessen Aussage zu stützen.

    Allerdings geht dieser mittlerweile verstorbene Polizist in seinen eigenen Memoiren von einem anderen Killer aus – dem Italiener Carmine Di Biase. Auch Zeugenbeschreibungen passen besser auf den kleinen italienischen Gangster als auf den großgewachsenen Iren Sheeran. Abgesehen davon passt auch der Tatablauf besser zur Theorie der Polizei, wonach Die Biase der Killer sei, als zu Sheerans Erzählung.

    Vielen weiteren Stellen des Buches wurde ebenfalls offen widersprochen. Ein weiterer Autor, dem gegenüber Sheeran angeblich den Mord an Hoffa gestanden haben soll, dementierte das zum Beispiel energisch. Andere Journalisten, die umfangreich recherchiert haben, gehen zwar davon aus, dass Sheeran als enger Vertrauter zeitweise sogar eine Art Bodyguard von Hoffa war und höchstwahrscheinlich am mysteriösen Verschwinden des Gewerkschaftsführers beteiligt war (indem er ihn zum Beispiel an einen bestimmten Ort lockte) – aber sie halten es für unwahrscheinlich, dass Sheeran der Mörder von Hoffa war.

    Sheeran ist übrigens nur einer von (über einem Dutzend!) Menschen, die erzählten, Hoffas Mörder gewesen zu sein. Zum Beispiel behauptete dies auch Richard Kuklinski, dessen Geschichte 2012 mit Michael Shannon in der Hauptrolle in „The Iceman“ verfilmt wurde.

    Nur das ist gesichert

    Sicher ist über Frank Sheeran nur: seine auch im Film thematisierte Vergangenheit im Krieg (die dort dargestellten Kriegsverbrechen sind schon wieder umstritten), seine Zeit als Lastwagenfahrer, seine Beziehung zu Jimmy Hoffa, sein einsames Ende im Altenheim sowie sein Familienleben.

    Dass er für Hoffa arbeitete, stimmt also. Ob er für ihn und später auch diesen selbst tötete, ist wie dargelegt dagegen höchst umstritten. Wir werden es wohl nie erfahren, sind doch mittlerweile fast alle Menschen, die damals beteiligt gewesen sein könnten, tot, die Leiche von Hoffa wohl für immer verschwunden.

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    Dass Martin Scorsese nun trotz der unklaren Faktenlage und trotz aller Widersprüche einzig und allein der Erzählung von Frank Sheeran via Charles Brandt folgt (letzteren sogar als Berater für seinen Film engagierte) und Bücher anderer Autoren, die umfangreicher recherchierten, ignorierte, brachte ihm einiges an Kritik ein.

    Schadet "The Irishman" der freie Umgang mit Wahrheit?

    Alle berechtigte Kritik an Charles Brandts Vorlage sollte man aber nicht direkt auf Martin Scorseses „The Irishman“ übertragen. Das für Netflix produzierte Mafia-Drama des „GoodFellas“-Regisseur ist am Ende des Tages ganz klar ein fiktiver Spielfilm. Es ist eine mögliche Interpretation der Wahrheit, es wird aber nie der Anspruch erhoben, die Wahrheit zu zeigen.

    Das wäre auch gar nicht möglich. Die Mafia war so erfolgreich, weil sie so verschwiegen war. Was sich wirklich abgespielt hat, weiß niemand. Scorsese und sein Drehbuchautor Steven Zaillian („Exodus: Götter und Könige“, „Gangs Of New York“, „Schindlers Liste“) können also ohnehin nur eine fiktive Geschichte erzählen.

    Scorsese vermeidet den "Forrest Gump"-Vergleich

    Scorsese scheint aber auch sichtlich bemüht, die Kritik an der Sachbuchvorlage nicht ganz an seinen Spielfilm heranzulassen. Einige Kritiker werfen Frank Sheeran vor, eine Art Forrest Gump der Mafia-Geschichte zu sein. Der in der Verfilmung von Winstom Grooms Bestseller von Tom Hanks gespielte Gump ist ja dafür bekannt, dass er in allerlei historische Ereignisse reinplatzt und dort mitmischt.

    Genau das behauptete Sheeran von sich. Er wollte überall seine Hände im Spiel gehabt haben – nicht nur beim Verschwinden von Hoffa, sondern auch bei der Schweinebuchtinvasion in Kuba oder als Waffenlieferant bei der Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy. Dies reduziert Scorsese im Film deutlich, spielt zwar auf mehrere Ereignisse an, zeigt aber Sheeran nur selten in einer aktiven Rolle. Denn auch ihm dürfte klar gewesen sein, dass es dann doch ziemlich unglaubwürdig wäre, wenn Sheeran überall mitgemischt hätte.

    Erst im Kino, dann auf Netflix

    Seit dem 14. November 2019 läuft „The Irishman“ übrigens in einigen wenigen deutschen Kinos. Ab dem 27. November 2019 gibt es das Mafia-Drama dann auf Netflix.

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