Filmstarts trifft... Reinhold Messner ("Nanga Parbat")
Freitag, 15. Januar 2010 - 17:01
Von Carsten Baumgardt

Reinhold Messner ist die Legende unter den Extrembergsteigern schlechthin. Der Südtiroler (Jahrgang 1944) bestieg als Erster alle 14 Achttausender, durchquerte die Antarktis sowie die Wüste Gobi und realisierte das Messner Mountain Museum. Für den Münchner Filmemacher Joseph Vilsmaier stand Messner bei den Dreharbeiten zu dessen Bergsteiger-Drama „Nanga Parbat“ als technischer Berater zur Verfügung. Der Film erzählt die tragische Geschichte von Reinhold Messner, der 1970 bei der Besteigung des Nanga Parbat seinen Bruder Günther verlor. Filmstarts traf Messner im Berliner Savoy Hotel zum Interview.

Filmstarts: Sind Bergsteiger Künstler?

Reinhold Messner: Ich würde das so konkret nicht sagen. Das Bergsteigen hat aber ein künstlerisches Element. Als Kletterer sehe ich mich der Kunst verwandter als dem Sport. Es geht immer darum, dass wir Initiatoren sind von unserem Tun. Der Sportler ist ja nicht Initiator. Er kommt zur Olympiade und da werden die Leute gegeneinander auf die Piste geschickt. Aber der Bergsteiger stellt sich vor, ich kletterte auf diesen Berg, über diese Wand, wo vielleicht noch niemand hochgestiegen ist. Und dann realisiert er diese Idee. Er zieht seine Linie. Das ist ein schöpferischer Akt.

Filmstarts: Wie geht es Ihnen, wenn Sie jetzt den fertigen Film sehen und damit die eigene Geschichte noch einmal durchleben?

Reinhold Messner: Ich sehe den Film als Film und nicht als meine Geschichte. Für mich ist das gar nicht so schwierig, weil mich jemand anderes spielt. Ich finde es aber auf mehreren Ebenen interessant. Ich habe Kinder und die sagen natürlich: „Papa, das bist nicht du.“ Weil sie mich kennen. Sie kennen ja meine Art und meinen Charakter. Sie sagen umgekehrt, der verstorbene Onkel auf der Leinwand, das ist der Günther. Den sehen sie jetzt so. Sie wissen auch, dass es ein Schauspieler ist, aber sie sehen: Das ist er. Ich weiß auch nicht, wie meine Brüder reagieren, nicht was den Nanga Parbat angeht, da waren sie alle, sondern wie sie unsere kleine enge Welt, in der wir groß geworden sind, auf der Leinwand dargestellt finden. Die ist nachempfunden, das sind meine Empfindungen, die Bilder helfen nur, diese Emotionen wachzurufen. Mir ist das Urteil der Brüder in diesem Zusammenhang wichtig. Wenn sie sagen, „so war das doch gar nicht“, würde mich das sehr treffen. Mein Ehrgeiz war es, bei dem Film zu helfen, möglichst nahe an die Realität von damals heranzukommen. Als Helfer im Hintergrund. Wir wollen diese Geschichte mit Emotionen erzählen. Was ich nicht gut finden würde, wäre, wenn die Leute im Kino sitzen und fragen: „Wie haben sie das jetzt eigentlich gemacht?“ „Vertical Limit“ ist so ein Bergfilm zum Beispiel. Der hat 35 Millionen Dollar gekostet und ich habe mich nur immer gefragt: Ist alles nicht möglich. Meine Vorstellung vom Kino ist: Ich erzähle eine Geschichte, möglichst breit, episch, und die Leute gehen in diese Geschichte hinein und sind Teil davon.


„Nanga Parbat“: Reinhold Messner, Florian Stetter, Andreas Tobias und Joseph Vilsmaier.

Filmstarts: Fühlen Sie sich denn im Film getroffen? Als schelmischer Draufgänger…

Reinhold Messner: Ja, meine Kinder sagen sogar, ich sei noch viel radikaler. Der Florian Stetter spielt gut. Aber ich empfinde mich selbst vielleicht nicht ganz so als Draufgänger, wie ich im Film dargestellt werde.

Filmstarts: Ist das Verhältnis zu Ihrem Bruder Günther im Film auch angemessen getroffen?

Reinhold Messner: Ja. Wir waren zwei Brüder, die extrem geklettert sind. Das war unsere Welt. Und ich war nun mal der ältere Bruder – fast zwei Jahre älter. Das ist beim extremen Klettern viel. Das heißt, ich war nicht nur der Größere, und hatte mehr Verantwortung, sondern es war auch klar, von Kindheit an, dass ich beim Klettern vorausgehe. Als wir am Nanga Parbat zusammenkamen, lag mehr Verantwortung bei mir, obwohl Günther auch Verantwortung mir gegenüber empfunden hat. Empfundene Verantwortung ist nie gleich juristische Verantwortung.

Filmstarts: Hat die Realisierung des Films noch einmal die ganzen tragischen Ereignisse aufgewühlt?

Reinhold Messner: Wenn ich den ganzen Film sehe, gibt es schon gewisse Momente, vor allem, wenn er ganz nah dran ist an der Realität, da brechen die Emotionen wieder auf. Aber ich habe ja inzwischen Bücher geschrieben und x-mal auf der Bühne gestanden zu diesem Thema. Für mich war der Tod meines Bruders am einfachsten zu verarbeiten, für unsere Mutter gestaltete sich das viel schwieriger. Sie hat ihr Kind ja am Ende der Welt verloren! Ohne Bilder dazu, ohne etwas Greifbares, ohne Leiche. Wir Menschen haben keine Ruhe, bis wir den Toten beerdigt haben. Die bekannte argentinische Katastrophe, die es vor Jahrzehnten gegeben hat, da haben die Mütter nicht aufgegeben und so lange suchen lassen, bis die Toten gefunden wurden. Dieses Phänomen habe ich eigentlich erst nach der „Nanga Parbat“-Geschichte verstanden. Wir haben eine Art genetische Regelung in uns, die sagt, dass wir die Toten bestatten müssen. Nur so können wir den Tod verarbeiten und akzeptieren, Trauerarbeit leisten.


„Nanga Parbat“-Berater Reinhold Messner.

Filmstarts: Wie oft gab es in Ihrem Leben noch Situationen, wo Sie dem Tod direkt ins Auge geblickt haben?

Reinhold Messner: Ein paar Mal, aber nicht Dutzende Male. Ich würde sagen, ein halbes Dutzend Mal bei extremen Touren.

Filmstarts: Was treibt Sie dabei immer wieder an?

Reinhold Messner: Im Grunde ist es nicht erklärbar. Die Aussage von Gottfried Benn ist die beste: „Bergsteigen ist am Tod provoziertes Leben.“ Es ist eigentlich völlig schizophren, wenn jemand dort hingeht, wo er sterben müsste, um nicht zu sterben. Ja, um nicht zu sterben. Jeder von uns hat einen ausgeprägten Überlebensinstinkt. Ich glaube auch, dass der Außenstehende weiß, dass wir nicht mit unserem Leben spielen. Das wäre nicht der richtige Ausdruck. Vielmehr stellen wir uns immer wieder selbst in Frage und testen aus, wie das Leben an der Grenze des Möglichen ist. Wir wissen dann intensiver als andere, dass das Leben begrenzt ist, dass es mit dem Tod zusammenhängt. Das Leben ist wie ein Bogen, eingespannt zwischen Geburt und Tod. Und je klarer mir das ist, desto intensiver kann ich leben.

Filmstarts: Hatten Sie damals nach dem Unglück mal den Gedanken, mit dem Bergsteigen aufzuhören?

Reinhold Messner: Meinen Bruder konnte ich nicht mehr lebendig machen. Es nützte also gar nichts, wenn ich daheim bliebe und Architekt werde, sagte ich mir. Sein Tod ist Tatsache, auch Teil meiner Biographie, Teil meiner Verantwortung. Ich hatte trotzdem das Recht, mein Leben weiterzuleben. Warum sollte ich in meinem Leben nicht meine Sache machen? Warum muss ich irgendwelchen Leuten folgen, die mich gern da oder dort hinschicken würden? Dieser Gedanke war ein wesentlicher Schritt in meinem Leben. Ich habe es bis heute so gehalten, dass ich meine Dinge durchziehe. Das wird mir immer als Egoismus ausgelegt. Aber ich wäre froh, wenn alle Menschen ihre Sache machen würden. Wir hätten viel weniger soziale Probleme, viel weniger Aggressionen und wir wären viel erfolgreicher auf der Welt. Die meisten Leute dürfen nicht machen, was sie am liebsten machen, was sie am besten können. Weil sie irgendwelchen Zwängen folgen müssen – ein Häuschen gebaut, drei Kinder... Diese Zwänge werden mit zunehmendem Alter, wenn man sich nicht rauskatapultiert, immer schlimmer. Ich habe eine Tochter. Sie ist 22. Sie macht es genauso wie ich. Das finde ich sehr gut.


„Nanga Parbat“-Hauptdarsteller Florian Stetter und Andreas Tobias.

Filmstarts: Begleitet Sie Ihr verstorbener Bruder manchmal, wenn sie auf Tour sind?

Reinhold Messner: Ja. Ich sage immer, solange sich jemand an einen Toten erinnert, ist dieser in irgendeiner Form noch da. Im Kopf, oder wo auch immer. Allein in den Dolomiten haben wir beiden 50 Erstbegehungen gemacht. Wenn ich da mit meinen Kindern herumgehe und ihnen die Geschichten von früher erzähle, ist Günther lebendig für mich. Aber auch meine Mutter ist lebendig. Es gibt kaum einen Tag, an dem ich nicht an meine Mutter denke, die vor 15 Jahren verstorben ist.

Filmstarts: Sie sind bekannt dafür, dass Sie sich immer neuen Herausforderungen stellen. Was ist Ihr nächstes Projekt? Vielleicht ein Film?

Reinhold Messner: Im Moment bin ich dabei, meine aktuelle Herausforderung zu Ende zu bringen. In den vergangenen zehn Jahren habe ich vor allem das Messner Mountain Museum gemacht. Das war für mich die gleiche Befriedigung, wie den Mount Everest zu besteigen. Das glauben die Leute zwar nicht. Ich hatte zuerst eine Idee, dann habe ich mich mit ein paar Fachleuten unterhalten. Diese haben gesagt, das sei nicht möglich. Ich aber glaubte fest daran. Es funktionierte wieder einmal. Ich habe die Idee umgesetzt. Brauchte Mittel, Partner, aber natürlich eine Menge Energie und Zeit. Ich bin noch nicht ganz durch, aber 2010 wird alles fertig. Dann bin ich wieder frei, absolut frei. Ich schließe einen Film nicht aus. Ich hatte das große Glück, Jospeh Vilsmaier über die Schulter schauen zu dürfen. Es war einer der Gründe, warum ich mitgemacht habe. Ich wollte lernen. Er ist ein offener, sozialer Mensch. Er hat nie gesagt: „Du, das geht dich nichts an, wie ich das mache oder was ich da tue.“ Er hat mir alles erklärt. Ich habe oft nicht verstanden, warum das gerade so gemacht wird. Ich bin kein Filmschaffender, ich bin ein völliger Neuling, der die Möglichkeit hatte, das Filmen als Ganzes zu sehen. Ich glaube, der Film ist die beste Möglichkeit, eine Geschichte über den Berg, über Mensch und Natur zu erzählen.


Reinhold Messner auf dem Nanga Parbat.

Filmstarts: Wie ist das Projekt „Nanga Parbat“ entstanden?

Reinhold Messner: Ich hatte mal mit Joseph Vilsmaier geredet, so generell. Er wählte dann dieses Thema aus. Er hat gesagt, wenn schon, dann macht er nur den „Nanga Parbat“. Er hat Recht gehabt. Auch ich sage, dass von meinen erlebten Geschichten nur diese einen Spielfilm trägt. Bei den anderen müsste ich fünf Geschichten zusammenbasteln, dann könnte es einen Film ergeben. Aber ich hatte den Vilsmaier angesprochen, weil ich ein paar Filme von ihm gesehen hatte. Was er sehr gut kann, ist, Menschen in eine bäuerliche, alpine Welt zu stecken. Und das war ja auch Teil dieses Films. Am Berg musste ich ihm helfen, aber Szenen wie in der Kirche, die kann niemand besser als er.

Filmstarts: Könnten Sie sich in Zukunft noch einmal vorstellen, eine große Tour anzugehen – als nächstes Projekt?

Reinhold Messner: Ja, aber nie mehr in der Dimension, wie ich sie früher gemacht habe. Es wäre dumm, in meinem Alter nochmal die Rupalwand zu machen. Ich hatte nie vor, mich umzubringen. Auch die Nordpol-Durchquerung, bei der ich ja gescheitert bin, mute ich mir nicht mehr zu. Ich werde kleinere Berge besteigen, ich war zu Weihnachten gerade noch beim Klettern mit meinem Sohn in Afrika. Ich gehe ein bisschen klettern. Bergsteigen ist nicht mehr mein Fokus. Es ist jetzt die kulturelle Arbeit, das Museum. Oder vielleicht eine Filmgeschichte. Oder wieder ein Buch. Mein Ziel ist es, dass ich nicht verroste, weiterhin aktiv bin. Ich schreibe wahrscheinlich dieses Jahr wieder ein Buch, um nicht dem Alzheimer anheim zu fallen. Das ist ja das große Risiko, wenn wir älter werden. Ich habe bisher sechs Lebensphasen durchlebt: Als Kletterer, Höhenbergsteiger, Grenzgänger in der Horizontalen - Wüsten und Eiswüsten – Forscher „Heilige Berge“ und Yeti, richtige Forschungsarbeit, und jetzt als Museumsarbeiter. Seit zwölf Jahren mache ich das nun. Mein Geld und meine ganze Energie habe ich da reingesteckt. Jetzt wird es langsam fertig. Und es funktioniert besser, als ich es je für möglich gehalten hätte.

Filmstarts: Pflegen Sie noch Ambitionen als Umweltschützer?

Reinhold Messner: Ja und nein. Ich habe dazugelernt. Ich mache jetzt alles konkret. Das heißt, ich habe drei Bauernhöfe, die ich alternativ führe. Da kommen Hunderte von alpinen Bauern, um zu schauen, wie das funktioniert. Die können das abschauen und weitertragen. Ich mache also Projekte und zwar selber. Immer konkret und real. Aber keine Protesthaltung mehr. Ich würde nie mehr zu einem Protest gehen. Stattdessen mache ich Vorschläge und lebe diese selber vor. Und wenn sie nicht funktionieren, baue ich um oder gebe wieder auf. Lernen durch Versuch und Irrtum.


„Nanga Parbat“ startet am 14. Januar 2010 in den deutschen Kinos.

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