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    Restrepo - Die blutige Wahrheit des Krieges
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Restrepo - Die blutige Wahrheit des Krieges
    Von Jan Hamm

    Kino ist Illusionsmagie – das macht seine Faszination aus und sichert uns ab. Denn sobald Filmbilder zur Belastung werden, ermöglicht der taktische Rückzug auf unser Wissen um ihre Künstlichkeit die notwendige Distanz. Die Kriegsdokumentation „Restrepo" provoziert einen solchen Rückzug, verweigert mit ihrem Paratext aber jeden Ausweg: Diese Bilder sind authentisch. Im Auftrag des US-Magazins Vanity Fair filmten Regisseur Sebastian Junger und Fotograf Tim Hetherington frei von militärischen Auflagen ab, was die US-Soldaten der 173. Airborne Brigade im afghanischen Korengal-Tal zwischen 2007 und 2008 erlebten. Aus 15 Monate schwerem Material hat das Duo eine Innenansicht des Stellungskrieges destilliert, die inhaltlich und formell einen zentralen Aspekt bewaffneter Auseinandersetzung skizziert: Krieg ist vor allem ein Scheitern der Kommunikation. Der politische und strategische Kontext bleibt undurchschaubar, so dass der übergeordnete Wert der Korengal-Mission für Soldaten und Publikum gleichermaßen ein Rätsel bleibt. Die Verständigung mit der Lokalbevölkerung muss unter diesen Vorzeichen ebenso scheitern, wie eine präzise Versprachlichung der Felderfahrung, um die sich in eingestreuten Interview-Sequenzen bemüht wird. „Restrepo" ist eine erschütternde Konfrontation, vor der es kein Entkommen gibt, sobald die wohlig gedimmte Kinosaalbeleuchtung einmal erloschen ist.

    Auf der langen Reise nach Afghanistan spaßen die Kameraden noch munter drauflos: „Wir ziehen in den Krieg – yeah!" Als besonders beliebter Witzbold tritt der Mediziner Juan „Doc" Restrepo in Erscheinung – er ist auch der erste, der sein Leben lassen muss. Im Gedenken taufen seine Kameraden ein auf der Grenze zum Feindesland errichtetes Schützennest „Restrepo". Rund ein Jahr werden sie im Korengal-Tal verbringen und eine Position verteidigen, deren Lage knapp 800 Meter vor der befestigten Basis im Gefechtsfall totale Isolation bedeutet. Eine gefühlte Ewigkeit später kehren die Überlebenden Afghanistan den Rücken: „Wir haben getan, wofür wir hergekommen sind. Jetzt nur raus hier!" Wenn Sebastian Junger, Autor des von Wolfgang Petersen adaptierten Katastrophenfilms „Der Sturm", einen Fehler bei der Strukturierung seines Materials macht, dann diesen: Er schließt die Interviewabschnitte mit einer Collage verstummter Soldaten ab. Krieg ist nicht unbeschreibbar, die Männer reden ja.

    Es fehlt nicht an Worten per se – es fehlt an richtigen, an hinreichend ausdrucksstarken Worten. Sprache scheint zu unvollständig, um deeskalierend wirken zu können. Zu den beeindruckendsten Szenen gehören so auch die Versammlungen, in denen die US-Truppe die Korengal-Bevölkerung von ihren guten Absichten zu überzeugen versucht: „Mit Gespräch meinen wir nicht Folter." Im gelegentlichen Gähnen der Ratsmitglieder spiegelt sich die Vergeblichkeit, aus einer Lebenswirklichkeit in die andere, von einer ideologischen und sozialen Wahrheit in die andere, zu übermitteln. Die Zuspitzung dieser Beobachtung braucht lediglich ein einziges Bild: Mühsam versucht ein altersgebeugter Afghane, einen Strohhalm in die vorgestanzte Öffnung einer Capri-Sonne zu treiben. „Restrepo" ergreift dabei keine Partei, die Perspektive des Amerikaners Junger ist so wertungsfrei, wie es ein aus amerikanischer Sicht geschilderter Film eben erlaubt. Einen Off-Kommentar braucht es dabei nicht, der Schnitt ist Narration genug.

    Junger wohnt kompensatorischen Männlichkeitsritualen bei: „Aus dir machen wir einen Mann – das ist es, was hier zählt!" Er zeigt bei Ballerspielen entspannende Soldaten und passend dazu Reflektionen, die wie eine Vorlage zu Kathryn Bigelows „Tödliches Kommando - The Hurt Locker" wirken: „In Lebensgefahr zu schweben ist der ultimative Drogentrip!" Dann wieder bleibt ein Mann mit zerschossenem Antlitz im Staub zurück, einer seiner Kameraden bricht daneben schluchzend zusammen. Die an die Vertreter des pseudodokumentarischen Horrorfilms gerichtete Glaubwürdigkeitsfrage – „würde man nicht um sein Leben laufen, statt die Digicam draufzuhalten?" – wird auf beunruhigende Weise obsolet, wenn ein gepanzerter Truck explodiert und Hetherington samt laufender Kamera durch die Luft geschleudert wird. Es ist Junger hoch anzurechnen, dass er fast ausschließlich auf Material zurückgreift, in dem die omnipräsente Kamera nicht weiter thematisiert wird. Dessen Authentizitätsgrad im Sinne des Cinéma vérité zu betonen, das hat er nicht nötig. Wozu auch? Ein taktischer Rückzug in die Sicherheit des Kinosaals ist hier ohnehin längst unmöglich.

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