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    Inside Llewyn Davis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Inside Llewyn Davis
    Von Carsten Baumgardt

    1961 betrat ein junger Folk-Musiker namens Bob Dylan die Szene im New Yorker Greenwich Village. Der Sänger-Songwriter mit der ungewöhnlichen nasalen Stimme, die nicht so klingt, als sei sie überhaupt fürs Singen geschaffen, startete bekanntlich eine Weltkarriere und hat bereits Filmemacher wie Martin Scorsese („No Direction Home“) und Todd Haynes („I’m Not There“) beschäftigt. Auch die Regie-Brüder Joel und Ethan Coen sind bekennende Dylan-Jünger, aber in ihrer subtilen Tragikomödie „Inside Llewyn Davis“, mit der sie ein liebevoll-lakonisches Porträt der New Yorker Folkszene zu Beginn der 60er zeichnen, spielt der spätere Superstar nur beim Schlussgag eine Rolle. Die querköpfigen Coens, die mit ihrem eigenwillig-betörenden „O Brother, Where Art Thou?“ bereits der traditionellen Folk-Musik huldigten, erzählen wie gewohnt lieber von der Kehrseite der Medaille und  widmen sich einem Gescheiterten, einem fiktiven Außenseiter, der seinen eigenen Kampf gegen die Welt ausficht. Der bei den 66. Filmfestspielen in Cannes im Wettbewerb uraufgeführte „Inside Llewyn Davis“ ist eine superb gespielte, subtil inszenierte und atmosphärisch brillante Charakter- und Milieustudie voller Zeitkolorit.

    New York, 1961: Llewyn Davis (Oscar Isaac) versucht sich als Solo-Folksänger in den Clubs des Greenwich Village durchzuschlagen. Doch er lebt von der Hand in den Mund, hat keine eigene Wohnung mehr und wechselt als Übernachtungsgast bei Freunden von einer Couch zur nächsten. Sein Debütalbum „Inside Llewyn Davis“ liegt wie Blei in den Regalen und privat läuft es auch nicht besser. Seine Bekannte Jean (Carey Mulligan) ist nach einem One-Night-Stand schwanger, Llewyn könnte der Vater sein. Doch mittlerweile ist sie mit Jim (Justin Timberlake), ebenfalls ein Sänger, verheiratet, der ebenfalls als Erzeuger zur Debatte steht. Das Paar tritt als Duo Jean & Jim auf, von dessen weichgespült-familienorientiertem Folk-Verständnis Llewyn schwer genervt ist. Er selbst setzt auf Wahrhaftigkeit und nimmt seine Musik todernst, er will als seriöser Künstler wahrgenommen werden. Als sich alles gegen ihn verschworen zu haben scheint, macht er sich mit Beat-Poet Johnny Five (Garrett Hedlund) und Jazzsänger Roland Turner (John Goodman) auf nach Chicago, um bei einem Vorsingen den großen Durchbruch einzufädeln.       

    „Inside Llewyn Davis“ basiert sehr lose auf den Memoiren „The Mayor Of MacDougal Street “, die der Folksänger Dave van Ronk 2005 veröffentlicht hat. Mit der Filmfigur des Llewyn Davis wird nicht etwa van Ronk selbst porträtiert, auch wenn der einen durchaus vergleichbaren Karriereverlauf hatte, sondern die Autobiografie liefert mit ihrer detailgenauen Schilderung der New Yorker Folkszene im Jahr 1961 lediglich das Rohmaterial für den Film. Es sind Zeiten des Umbruchs, der Folk steht am Scheideweg: Die wahren Gläubigen der Musik, wie van Ronk und im Film Llewyn Davis, stehen den kommerziell Orientierten gegenüber, die mit seicht-eingängigem Songs, die Plattenverkäufe ankurbeln und so zu Ruhm und Reichtum kommen wollen. Diese sehr kurze Phase war bald nach der Ankunft von Künstlern wie Bob Dylan, Paul Simon, Joni Mitchell und Leonard Cohen beendet. Diese machten gerade mit ihrem Eigensinn und ihrer Unangepasstheit Karriere, aber anderen Eigenbrötlern wie van Ronk war da weniger Erfolg beschieden. Das Gleiche gilt für Llewyn Davis: Die Coens, die mit dem Künstler- und Außenseiterporträt „Barton Fink“ 1991 in Cannes die Goldene Palme gewannen und ihren endgültigen Durchbruch feierten, sind in ihrem Element und rekapitulieren ebenso humorvoll wie ernsthaft eine desolate Woche im Leben des fiktiven Musikers.  

    Die Coens lassen das Milieu der Musiker und den Zeitgeist der frühen 60er mit vielen liebevollen Einzelheiten lebendig werden, auch Kameramann Bruno Delbonnel („Harry Potter und der Halbblutprinz“) kann dabei stimmungsvolle Akzente setzen. Und wenn die vierfach mit dem Oscar ausgezeichneten Regie-Brüder detailversessene Innenaufnahmen mit ausdrucksstarken Einstellungen endloser Weite kontrastieren, dann sind wir unverkennbar im unverwechselbaren Kino-Universum der Coens, wo subtiler Spott und lakonischer Humor blühen. So ist es königlich-amüsant, dass Oscar Isaac dem Zuschauer immer wieder ein fragendes „what?“, „oh“ oder „aha!“ entgegenraunt, zugleich wird damit aber auch ganz treffend von Llewyns Schwierigkeit erzählt, mit der Welt in Verbindung zu kommen. Der ganze Film ist auf diese Außenseiter-Figur zugeschnitten, er ist intim angelegt und die Perspektive ganz bewusst auf einen ganz kurzen und spezifischen Zeitraum verengt. Anders als in Musiker-Biopics wie „Ray“ oder „Walk The Line“, in denen weite erzählerische Bögen gespannt werden, verzichten die Coens auf die erklärende Einbettung in (musik-)historische Zusammenhänge: „Inside Llewyn Davis“ ist musikalisch betrachtet ganz klar ein Liebhaberprojekt, zugleich aber auch ein universell verständliches Charakterporträt.

             

    Am Anfang von „Inside Llewyn Davis“ steht eine Szene, in der Davis nach einem Konzert von einem schimpfenden älteren Mann zusammengeschlagen wird, erst ganz am Ende kehren die Coens zu diesem Moment zurück und liefern uns die dazugehörige Auflösung. Wenn man so will, steckt in dieser einen Sequenz also der ganze Film, der sich dramaturgisch als einzige elegant eingefädelte Kreisbewegung entpuppt. Und auf dem Weg zum Anfang zurück entwickeln die Regisseure (die wie fast immer auch das Drehbuch geschrieben haben) dann auch keine übergreifende Story, sondern zeigen uns episodenhaft die Erlebnisse ihres Protagonisten. Passend für einen Musikfilm, ist es der wunderbare Rhythmus dieser Einzelszenen, der den Fortgang der Erzählung bestimmt. Prominente Nebendarsteller wie John Goodman („Flight“, „Argo“), Justin Timberlake („Back in the Game“) und Garrett Hedlund („On the Road“) kommen dabei kaum über die Rolle von Gaststars hinaus, aber sie hinterlassen trotzdem mächtig Eindruck. Vor allem der launige Goodman als zynischer Jazzer, der sich trockene Dialog-Gefechte mit Hauptdarsteller Oscar Isaac liefert und der herrlich selbstironisch und uneitel auftretende Timberlake als Folkspießer glänzen. Etwas mehr Leinwandzeit bekommt einzig die großartige Carey Mulligan (Oscar Isaacs Filmfrau in „Drive“), die als resolute Furie Jean kratzbürstig aufspielt. Besonders reizvoll ist hier der Gegensatz zwischen der braven Bühnenperformance und der rasenden Attacke im Privaten, wenn Jean auf Llewyn losgeht, weil der sie geschwängert haben könnte.

    Die Erzählstruktur gibt es vor und der Schauspieler löst es ein: Der Star und das Erlebnis von „Inside Llewyn Davis“ ist Oscar Isaac in der Titelrolle. Der in Guatemala geborene und in Miami aufgewachsene Darsteller sollte mit dieser eindrucksvollen Talentprobe seinen großen Durchbruch feiern, denn Isaac, der bisher eher in Nebenrollen („Das Bourne Vermächtnis“, „Sucker Punch“) auf sich aufmerksam machte, ist einfach überragend. Charismatisch, eigenwillig, kämpferisch, verzweifelt, zynisch und humorvoll: Isaac reißt fast alle Szenen an sich und macht das Publikum zu seinem Komplizen. Er ist ein ernsthafter, leicht depressiver junger Mann, der gegen den Strom anschwimmt und dabei unterzugehen droht - von der Welt missverstanden. Dabei überzeugt Isaac nicht nur als toller Schauspieler, er erweist sich auch als ebenso guter Sänger, was für diese Rolle ja durchaus von entscheidender Bedeutung ist. Isaac hat alle Songs (musikalisch betreut wurde der Film wie schon „O Brother, Where Art Thou?“ von T Bone Burnett) selbst eingesungen und gibt seiner Rolle in den musikalischen Darbietungen eine zusätzliche Dimension.   

    Fazit: Mit der superben Charakterstudie „Inside Llewyn Davis“ fügen die Coen-Brüder Ethan und Joel ihrer facettenreichen Filmographie eine weitere bemerkenswerte neue Note hinzu. Die in der Folkszene der frühen 60er angesiedelte Tragikomödie glänzt mit stilsicherer Regie, viel Zeitkolorit und einem mitreißenden Hauptdarsteller.   

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