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    Predestination
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Predestination
    Von Lars-Christian Daniels

    Was war zuerst da: die Henne oder das Ei? Diese vieldiskutierte Frage stellt sich im fesselnden Zeitreise-Thriller „Predestination“, der auf dem Filmfest München 2014 seine Europapremiere feierte, immer wieder aufs Neue. Die in Deutschland geborenen, mittlerweile in Australien ansässigen Zwillingsbrüder Michael und Peter Spierig („Daybreakers“), die für Regie und Drehbuch des Films verantwortlich zeichnen, adaptieren Robert A. Heinleins Kurzgeschichte „All You Zombies“ und schicken ihr Publikum in bester „Looper“-Manier auf einen spannenden Trip durch die Jahrzehnte. Vier Jahre nach Christopher Nolans Meisterwerk „Inception“, an das „Predestination“ nicht nur wegen seines düsteren Soundtracks erinnert, inszenieren die Filmemacher einen ähnlich verschachtelten Mindfuck – ein als verwirrendes Paradoxon angelegtes Thrillerdrama mit hohem Unterhaltungswert. Dabei liefert die bis dato eher unbekannte australische Schauspielerin Sarah Snook mit ihrer starken Performance ein eindrucksvolles Bewerbungsschreiben für weitere Kino-Engagements ab.

    Die Handlung sei angesichts der vielen Twists und der vielschichtigen Charaktere nur grob umrissen: Ein Barkeeper (Ethan Hawke), der früher als Zeitreise-Agent tätig war und in der Vergangenheit vergeblich nach dem berüchtigten „Fizzle Bomber“ suchte, lässt sich an der Theke von einem unscheinbaren Mann namens John zu einer Wette überreden. Der Gast, der als Autor unter dem Namen „The Unmarried Mother“ tätig ist, behauptet, er habe die außergewöhnlichste Geschichte auf Lager, die der Barkeeper je gehört habe. Das weckt dessen Neugier: Er bietet John als Wetteinsatz eine Flasche Whiskey an. Schon nach wenigen Worten dämmert ihm, dass er bald um diese Flasche ärmer ist: „Als ich ein kleines Mädchen war...“ beginnt John (Sarah Snook) – und berichtet in der Folge von seiner unglücklichen Kindheit, Pubertät und jungen Erwachsenenzeit im Körper des hochbegabten Mädchens Jane, das nach einer folgenschweren Affäre, einer lebensgefährlichen Entbindung und einer unausweichlichen Geschlechtsumwandlung zu einem verbitterten, einsamen Mann geworden ist. Die Antwort des Barkeepers kommt prompt: Er bietet dem Geschichtenerzähler an, jenen Menschen ungestraft töten zu können, der sein Leben ruiniert hat...

    Wer Steven Spielbergs „Minority Report“ gesehen hat, dürfte bei „Predestination“ ein Déjà-vu erleben: „Wir verhindern Verbrechen, bevor sie geschehen“, erklärt der Personalchef des Zeitreise-Unternehmens Space Org. der verdutzten Jane, die noch nichts von den Tätigkeiten der Firma ahnt und dank ihrer physischen und intellektuellen Ausnahmequalitäten dennoch vor einer großen Karriere steht. Dass Sprünge durch die Dekaden ihre Hauptaufgabe im neuen Job sein würden, weiß der rothaarige Teenager zu diesem Zeitpunkt noch nicht – anders als der Zuschauer, der sich den Hauptfiguren oft einen Schritt voraus glaubt. Das zeigt sich auch bei Johns erstem Auftritt: Während der Barkeeper die femininen Gesichtszüge seines Gegenübers im Dunst der Kneipe übersieht, merkt das Publikum sofort, dass das Konterfei des redseligen Gastes ein Geheimnis birgt. Die international noch eher unbekannte Newcomerin Sarah Snook („Sleeping Beauty“, „Jessabelle“) deutet ihr schauspielerisches Potenzial in dieser Sequenz bereits an und bekommt im Mittelteil des Films dann ausgiebig Gelegenheit, Aushängeschild Ethan Hawke („Training Day“, „Boyhood“) vorübergehend die Schau zu stehlen. Hawke, der als zeitreisender Actionheld mit Barkeeper-Tarnung ebenfalls überzeugt, gehört dafür das Schlussdrittel.

    Das Gespräch in der Kneipe, das sich an den actiongeladenen Prolog des Films anschließt und vom Zuschauer zunächst nur vage in Zusammenhang gesetzt werden kann, bildet den erzählerischen Rahmen der Geschichte, die sich zu einer wendungsreichen Jagd durch die Jahrzehnte und einem faszinierenden Verwirrspiel entwickelt. Während sich die Gedanken des Publikums mit jeder neuen Erkenntnis stärker im Kreis drehen, ziehen die Spierig-Brüder die Spannungsschraube kontinuierlich an: Nach dem die Filmemacher zunächst in eher gemächlichem Tempo nachzeichnen, wie aus der hochtalentierten Außenseiterin Jane nach einer folgenschweren Affäre der verbitterte John werden konnte, springt die Geschichte bald fleißig zwischen den zeitlichen Ebenen und führt tief in ein als Paradoxon angelegtes Netz aus Frustration, Rache und einer unausweichlichen Katastrophe. Am Ende ist es der Barkeeper, der die Fäden des Handelns in der Hand hält: Seine Suche nach dem „Fizzle Bomber“, dessen Gräueltaten durch eine Reise in die Vergangenheit verhindert werden sollen, treibt das Geschehen bis in die Schlussminuten voran.

    „Predestination“ ist einer dieser Filme, den man unbedingt ein zweites Mal sehen sollte. Das liegt zum einen an der komplexen, verschachtelten Erzähltechnik, mit der die Spierig-Brüder das Hirn des Zuschauers auf Trab halten und ihm ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit abverlangen. Vor allem sorgt dafür aber die freche Schlusspointe, durch die die zuvor aufgeworfenen Fragen mit einem Paukenschlag beantwortet werden, aber die zentrale noch einmal neu gestellt wird: Ist es die Henne oder das Ei? Die sich dabei zweifellos offenbarenden logischen Schwächen anschließend „Predestination“ vorzuwerfen, geht indes am Thema vorbei: Den Spierig-Brüdern geht es insgesamt weniger um das Erzählen einer von A bis Z schlüssigen Geschichte, als um das Ausloten der Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft. Am Ende steht folglich auch ein Twist, der das Gesehene noch einmal komplett aus den Angeln hebt – und es macht einfach unheimlich Spaß, sich in das verwirrende Henne-Ei-Paradoxon hineinzudenken und auf die vergebliche Suche nach einer eindeutigen Antwort zu machen.

    Fazit: Packendes Sci-Fi-Thriller-Drama mit Anleihen an „Inception“ und „Looper“, das hervorragende Unterhaltung bietet und auch lange nach dem Abspann noch für Gesprächsstoff sorgt.

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