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    Goat
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Goat
    Von Christoph Petersen

    „Höllenwoche“ wird die erste Bewährungsphase bei der Bewerbung für die Elite-Verbindung Phi Sigam Mu im Studentenslang genannt – und der reißerische Begriff ist definitiv nicht übertrieben: Die jungen Männer werden mit verbundenen Augen wie Vieh im Keller gehalten und mit faulem Obst beworfen - und wer nicht schnell genug Bier trinkt, dem wird damit gedroht, dass er als Strafe eine Ziege ficken, töten und verspeisen muss. Mitte der 1990er verarbeitete Brad Land seine Erfahrungen als Verbindungsanwärter in dem Buch „Goat: A Memoir“, das „King Kelly“-Regisseur Andrew Neel nun als „Goat“ fürs Kino verfilmt hat. Es ist wenig überraschend und absolut verständlich, dass in der Vorlage wie im Film klar Stellung gegen das sogenannte „Hazing“ (also die Erniedrigung und Demütigung der angehenden Mitglieder) bezogen wird. Dennoch ist „Goat“ keine bloße Abrechnung (was auch okay gewesen wäre), sondern ein sehr subtil erzähltes Drama über das Mannwerden, das nur selten ins Voyeuristische abgleitet.

    Als Brad (Ben Schnetzer, „Pride“) nach einer Party zwei Fremde im Auto mitnimmt, wird er von ihnen ausgeraubt und brutal zugerichtet. Es dauert einen ganzen Sommer, bis die Wunden langsam verheilt sind, aber dann geht es dem 19-Jährigen doch wieder gut genug, um sich an der Uni einzuschreiben. Wie sein älterer Bruder Brett (überraschend gut: Nick Jonas von den Jonas Brothers) will auch Brad in die Verbindung Phi Sigma Mu – aber mit seiner Bewerbung für den elitären Säuferhaufen beginnt die gerade überwunden geglaubte Hölle wieder von vorne…

    „Goat“ basiert zwar auf wahren Ereignissen, aber eben nicht auf solchen, die schon groß die Schlagzeilen dominiert haben – und das macht den Film noch eindringlicher: Regisseur Andrew Neel beschreibt nicht etwa eine Ausnahme, sondern die Regel. Zudem ist Brad alles andere als ein typisches Opfer, sondern sogar ein ziemlich beliebter Typ mit einem – selbst nach dem brutalen Überfall – gesunden Selbstbewusstsein. Er identifiziert sich über weite Strecken des Films sogar mit der Studentenverbindung und ihren Methoden, selbst als dem Zuschauer schon längst die bittere Ironie der Situation ins Auge gestochen ist: Immerhin erklärt ihm ein biersaufender und sich stolz auf den nackten Oberkörper trommelnder Ehemaliger (James Franco in einem unpassend augenzwinkernden Cameo), dass Brad ja nun als Teil von Phi Sigam Mu nie wieder vor solchen White-Trash-Schlägern Angst zu haben braucht - denn wer einen von ihnen angreift, der müsse es schließlich mit allen aufnehmen. Zwei Szenen später wird Brad von seinen Verbindungsbrüdern im Rahmen des Initiationsritus gezwungen, fast nackt auf dem Kellerboden herumzukrabbeln.

    Wenn Andrew Neel bei jeder noch so würdelosen Erniedrigung voll draufhält, hat „Goat“ natürlich mitunter auch etwas Voyeuristisches an sich. Hier fehlt gelegentlich ein Quäntchen Feingefühl, aber grundsätzlich ist die Schonungslosigkeit einfach nötig, um zu verstehen, was diese Rituale tatsächlich bedeuten – und zwar für die Schikanierenden, die Erniedrigten und für eine Gesellschaft als Ganzes: Der wahre Abgrund tut sich für den Zuschauer nämlich erst nach dem Kinobesuch auf, wenn er darüber nachdenkt, wie sich das Hazing eigentlich auf all die anderen Bewohner eines Landes auswirkt, in dem ein solcher Ritus so stark verbreitet ist. Immerhin findet das Ganze vor allem an den Eliteschulen statt und es sind insbesondere die späteren Politiker und Wirtschaftsbosse, aber auch die Gefängnisdirektoren, die hier auf solch unmenschliche Weise gedemütigt wurden und selbst gedemütigt haben. Das erklärt einiges…

    Fazit: Differenziertes Drama über fehlgeleitete Männlichkeitsrituale.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2016. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 66. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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