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    Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne
    Von Thomas Vorwerk

    Wie man mit beharrlicher Vehemenz die eigene Talentlosigkeit leugnen und von seinem wenig objektiven sozialen Umfeld noch im Irrglauben an die eigenen „Superstar“-Qualitäten bestärkt werden kann, das wird in den Casting-Shows von Dieter Bohlen und Konsorten regelmäßig offenbar und sorgt für die traurige Belustigung eines johlenden Millionenpublikums. Xavier Giannoli („Chanson d'amour“) erzählt in seiner ungewöhnlichen Tragikomödie „Mademoiselle Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne“ nun die Geschichte einer vergleichbaren  (Selbst-)Täuschung, die von falscher Rücksichtnahme, Heuchelei und Ausbeutung flankiert wird. Das historische Vorbild für die reiche Protagonistin mit den fehlgeleiteten Gesangsambitionen ist die berüchtigte Florence Foster Jenkins, aber man entschied sich letztlich gegen ein Biopic (das kommt dafür 2016 von Stephen Frears mit Meryl Streep in der Titelrolle) und ließ sich von den wahren Begebenheiten lieber zu einer Fiktion inspirieren. So konnte Giannoli die Handlung nach Frankreich verlegen und seine Marguerite mit der wunderbaren Catherine Frot („Odette Toulemonde“) besetzen, die uns zeigt, wie man mit falschem Gesang dennoch den richtigen Ton trifft.

    1920, in der Nähe von Paris. Die Millionärin Marguerite Dumont (Catherine Frot) ist seit einigen Jahren mit dem Baron Georges (André Marcon) verheiratet. Sie führen eine Zweckehe und so kommt der Ehemann immer mal wieder zu spät zu diversen Terminen - als Ausrede dient ihm unter anderem eine vorgetäuschte Autopanne. Auch bei dem privaten Wohltätigkeitskonzert für Kriegswaisen, das ein von Marguerite geförderter „Musik-Club“ im Schloss der Dumonts veranstaltet, lässt sich der Gatte zunächst nicht blicken. Als Marguerite schließlich die berühmte Arie „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ der Königin der Nacht aus Mozarts „Die Zauberflöte“ zum Besten gibt, hat sich bereits ein nicht unerheblicher Prozentsatz der von ihren Missklängen geplagten Anwesenden in ein Nebenzimmer verkrochen. Die gefürchteten Koloraturen überfordern die Hausherrin erheblich, aber das will sie niemand spüren lassen. Der junge Journalist Lucien Beaumont (Sylvain Dieuaide) beschreibt ihre überaus schräge Darbietung in der Zeitung als „persönliche Interpretation“, die „den inneren Dämon austreibt“. Marguerite träumt weiter von Rampenlicht und Sangesruhm …

    Hat sie schon immer so gesungen?“ - „Sie hat große Fortschritte gemacht!“ Die Konzerte im sehr eingeschränkten privaten Rahmen vor dem vermeintlichen „Freundeskreis“ sind eine traurige und verlogene Angelegenheit: Alle sind entweder von Marguerites Geld abhängig oder erwarten sich für die Zukunft etwas von ihr und so wird sie konsequent von der unbequemen Wahrheit abgeschirmt. Besonders ihr Butler Madelbos (Denis Mpunga zeigt immense Präsenz in einer kleinen Rolle) tut sich dabei hervor und ihr Ehemann Georges liebt Marguerite zwar auf seine ganz eigene Art (was ihn nicht vom Fremdgehen abhält), aber auch er wagt nicht, ihr reinen Wein über ihr Gejaule einzuschenken - obwohl er die Peinlichkeit ihrer Auftritte nicht erträgt. So wird die Charade auch weitergeführt, als in der exzentrischen Marguerite der Wunsch nach einem öffentlichen Auftritt im großen Stil gedeiht. Es wird ein Gesangslehrer (Michel Fau) engagiert, der sich mit seinen ebenso langwierigen wie aussichtslosen Bemühungen finanziell gesundstößt und nebenbei noch eine parasitäre Entourage unterhält. Für all das nimmt sich Giannoli viel Zeit, manchmal auch zu viel, aber die unübersehbaren Längen trüben das Sehvergnügen nur geringfügig.     

    Catherine Frot brilliert als tragische Antiheldin, die sich nach Anerkennung und Liebe sehnt. Ihre meist um einen Hauch überzogene Darstellung ist über weite Strecken ein augenzwinkerndes Vergnügen und wenn aus der Komödie am Ende zunehmend ein Drama wird, wechselt sie bei Bedarf mühelos das Register. Der Humor bewegt sich hier ohnehin stets am Rande menschlicher Abgründe, so ist bei Marguerites Auftritten ihre inbrünstige Leidenschaft nicht von ihrer umfassenden Talentlosigkeit zu trennen. Sie macht sich zum Gespött, aber man leidet nicht nur akustisch unter ihren schiefen Arien, sondern durchlebt mit Marguerite Herz- und Seelenpein: Dies ist ohne Frage eine von Frots bisher emotionalsten Rollen. Xavier Giannoli ebnet ihr durch die anfängliche Einführung zahlreicher Nebenfiguren, die alle in unterschiedlicher Beziehung zu Marguerite stehen, wirkungsvoll die Bühne. Außerdem fügt er dem Porträt über das geschickt integrierte Thema Fotografie eine weitere Facette hinzu: Die Aufnahmen, die Butler Madelbos von seiner Chefin in verschiedenen Posen macht, verleihen dem Film nicht nur gemeinsam mit den stimmigen Ausflügen in die Kunst- und Vergnügungsszene der 1920er ein schönes Zeitkolorit, sondern erzählen nebenbei auch davon, wie man einen (Möchtegern-)Star inszeniert.

    Fazit: Xavier Giannolis tragikomisches Porträt einer Sängerin ohne jedes Talent wird von der umwerfenden Catherine Frot auch über kleine Längen hinweg getragen.

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