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    Die Nile Hilton Affäre
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Nile Hilton Affäre
    Von Ulf Lepelmeier

    Eine spannende Geschichte um Verbrechen, Vertuschung und Ermittlungen reicht in aller Regel für solide Krimiunterhaltung. Wenn dazu auch noch von gesellschaftlichen Verhältnissen erzählt wird und die Atmosphäre einer ganz bestimmten Zeit auflebt, dann haben wir es mit gehobener Genrekunst zu tun. Was Bong Joon-ho in „Memories Of Murder“ für die Spätphase der Militärdiktatur in Südkorea und Alberto Rodriguez mit „La Isla Mínima – Mörderland“ für die schwierigen Anfangsjahre der Demokratie in Südspanien gelang, erreicht nun auch der schwedische Filmemacher Tarik Saleh („Metropia“, „Tommy“) mit „Die Nile Hilton Affäre“ für das Ägypten von 2011, indem er die angespannten Tage kurz vor Ausbruch der ägyptischen Revolution mit einem Mordfall zu einem stimmungsvollen Kriminalthriller verbindet und das Publikum dabei in ein engmaschiges Netz aus Korruption und Einschüchterung eintauchen lässt.

    Kairo im Januar 2011: Ohne Bestechungsgelder läuft im ägyptischen Polizeiapparat nichts. Auch der Polizeibeamte Noredin (Fares Fares), der sich seit dem tödlichen Autounfall seiner Frau in die Routine seines Jobs, in Alkohol und Tabletten flüchtet, lässt sich für jedwedes Anliegen Geld zustecken. Als in einer der Luxussuiten des Hotels Nile Hilton eine berühmte Sängerin tot aufgefunden wird, soll er eigentlich ermitteln. Doch noch bevor Noredin mit der Aufklärung beginnen kann, wird der Tod des Popstars schon als Selbstmord zu den Akten gelegt, obwohl das verschwundene sudanesische Zimmermädchen Salwa (Mari Malek) etwas Anderes gesehen haben soll. Als Gina (Hania Amar), eine Freundin der Toten, auf eine Wiederaufnahme des Falls pocht und neue Hinweise liefert, nimmt sich Noredin das Verbrechen noch einmal vor. Er entdeckt Hinweise darauf, dass führende Kreise des Landes in den Fall verstrickt sind. Während die Unruhen am Tahrir-Platz immer lauter werden, versinkt der Polizist zusehends in einem Sumpf aus Macht, Leidenschaft und Intrigen.

    Das Figurenrepertoire aus schweigsam, desillusionierten Polizeibeamten, undurchsichtiger Femme Fatale, hochkorruptem Chef und unschuldiger Zeugin in Gefahr entnimmt Regisseur Tarik Saleh dem Kanon des klassischen Kriminalfilms und auch bei der Dramaturgie folgt er den hergebrachten Genrekonventionen. Indem er die Handlung jedoch in der Zeit ansiedelt kurz bevor sich die unzufriedenen Bürger am 25. Januar 2011 am Tahrir-Platz in Kairo zum ‚Tag des Zorns’ versammelten, verleiht er seinem Film aber eine ganz spezifische und unverwechselbare Atmosphäre. Er beschwört nicht nur eindrucksvoll die Stimmung jener dramatischen Phase herauf, sondern legt auch die Strukturen des von Korruption und Vetternwirtschaft dominierten Staates offen und zeigt schließlich wie diese ins Wanken geraten.

    Regisseur Tarik Saleh, ein Schwede mit ägyptischen Wurzeln, wurde von der Ermordung der libanesischen Sängerin Suzanne Tamim im Nile Hilton Hotel in Dubai im Jahr 2008 zu seinem Film inspiriert. In den Fall waren damals wichtige Angehörige der politischen und wirtschaftlichen Elite Ägyptens direkt verstrickt, was für großes Aufsehen im Land gesorgt hat. Genau daran knüpft der Filmemacher nun an und schickt seinen Polizisten Noredin in die glänzende Welt der Reichen und Schönen. Der Weg des Ermittlers führt aber auch in schmuddelige Bars und sudanesische Flüchtlingsviertel – er ist selbst Teil eines von Korruption zerfressenen Polizeisystems, in dem die Beamten sich nicht einmal mehr die Mühe machen, zu verschleiern, dass „Gerechtigkeit“ für sie immer einen Preis hat. Die Sprengkraft der aufgeheizten Lage, die im Lande kurz vor dem Sturz von Präsident Mubarak herrschte, wird hier auch ohne explizite Darstellung der politischen Hintergründe spürbar. Das ist auch den ägyptischen Behörden nicht entgangen, die den Regisseur und seine Crew drei Tage vor Drehbeginn des Landes verwiesen. Kurzerhand musste der komplett in Kairo spielende Film in Casablanca gedreht werden.

    Der beim Sundance Film Festival 2017 mit dem Grand Jury Prize ausgezeichnete Krimi überzeugt auch auf darstellerischer Ebene. Der schwedisch-libanesische Hauptdarsteller Fares Fares („Zero Dark Thirty“), der bereits in der dänischen Carl-Mørck Reihe („Erbarmen“, „Schändung“, „Erlösung“) als Kriminalbeamter ermittelte, zeichnet Noredin als schweigsamen, unnahbaren Dandy mit einem Faible für romantisches Liedgut. Moralische Bedenken kennt der Ermittler nicht, er sieht es vielmehr als gegeben an, dass man es sich einfach leisten können muss, in den pulsierenden Straßen der ägyptischen Hauptstadt zu seinem Recht zu kommen. Neben Fares ragt zudem die durch ungeheure Präsenz bestechende Mari Malek in der Rolle der verängstigten, aber kämpferischen Zeugin Salwa aus dem Ensemble heraus. Die in New York als Model und DJ gefragte Schauspielnewcomerin verbrachte als Teenager vier Jahre in Ägypten und kennt die prekäre Situation der sudanesischen Flüchtlinge aus eigener Erfahrung.

    Fazit: „Die Nile Hilton Affäre“ ist ein atmosphärisch dichtes Neo-Noir-Krimidrama vor dem brisanten zeithistorischen Hintergrund der heraufziehenden Revolution in Ägypten 2011.

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